Der tiefe Schlaf der Ratingagenturen
Crash bei Bürobonds
Der tiefe Schlaf der Ratingagenturen
Der Einbruch als hoch sicher geltender amerikanischer Bürobonds zeigt das strukturelle Versagen von Fitch, S&P und Konsorten.
Von Alex Wehnert
Ratingagenturen haben 16 Jahre nach der Finanzkrise in einem neuerlichen Crash am US-Immobilienmarkt versagt. Standen sie 2008 zurecht dafür in der Kritik, infolge von Interessenskonflikten zu hohe Bonitätsnoten für hypothekenbesicherte Wertpapiere mit Bezug auf den amerikanischen Häusermarkt ausgestellt zu haben, verschliefen sie zuletzt auf verantwortungslose Weise die Abwärtsspirale im Gewerbe-Segment. Ihre strukturellen Probleme bei der Einstufung von Immobilieninvestments werden in einer Ecke des Anleihemarkts deutlich, die eigentlich als ultrasicher galt und die nun vor einem Kollaps steht: Sogenannten Single-Asset-, Single-Borrower-Bonds.
Schwerwiegende Fehlannahmen
Dabei handelt es sich um Papiere, die Private-Equity-Firmen und andere Vermieter dazu nutzen, um Käufe einzelner Shopping-Malls oder Bürogebäude zu finanzieren. Zwar fällt bei diesen der Diversifikationsvorteil weg, den Mortgage Backed Securities auf Basis eines großen Pools an Gewerbeimmobilien aufweisen. Doch gelten die Einzelasset-Anleihen als leichter zu analysieren und auch deshalb als verlässlich, weil die Käufer der Gebäude bei den Transaktionen zugleich hohe eigene Mittel aufwendeten. In den Modellen der Ratingagenturen führte dies allerdings zu schwerwiegenden Fehlannahmen bezüglich der Wertentwicklung der zugrundeliegenden Immobilien.
Infolge der restriktiven Geldpolitik und des Homeoffice-Trends ist der Markt eingebrochen. Der Wert der Immobilien erodiert, viele Schuldner können den Zinsdienst nicht mehr leisten – der Anteil der Bonds, die kurz vor dem Default stehen oder diesen Punkt schon überschritten haben, beläuft sich laut dem Branchenverband CRE Finance Council auf 8,7% und hat sich damit binnen zwei Jahren nahezu verdreifacht. Besonders problematisch: Der Einbruch hat Investoren kalt erwischt. Denn obwohl die Krise am Gewerbeimmobilienmarkt spätestens seit dem Regionalbankenkollaps 2023 für jeden Finanzamateur ersichtlich ist, stellten Ratingagenturen noch lange nach Ausbruch der Corona-Pandemie „AAA“-Bonitätsnoten für Single-Asset-, Single-Borrower-Bonds aus.
Blackstone mit herbem Verlust
Damit kamen viele Papiere auf Ratings, die besser ausfielen als jene von US-Staatsanleihen. Dies galt auch für Bonds, die Blackstone 2014 nutzte, um die Übernahme eines Wolkenkratzers in Manhattan für 605 Mill. Dollar zu finanzieren. Zehn Jahre später steht durch den 200 Mill. Dollar schweren Verkauf des Gebäudes ein herber Verlust fest. Blackstone verweist darauf, das Investment schon 2021 abgeschrieben zu haben. Das kann institutionelle Adressen wie den Versicherer MetLife, die mit den „AAA“-gerateten Bonds nun mindestens ein Viertel ihrer Anlage verbrannt haben sollen, allerdings kaum trösten.
Investoren stehen nun vor der unangenehmen Wahl, die Bonds abzustoßen und damit ihre Verluste zu realisieren oder an diesen festzuhalten und damit mehr Mittel für die Risikovorsorge zurückstellen zu müssen – mit entsprechenden Belastungen für den Shareholder Return. Die Lust, auf Emissionen zu bieten, dürfte nun massiv abgenommen haben. Das hat schwere Konsequenzen: Laut der Fed von Philadelphia werden in den kommenden zehn Jahren Single-Asset-, Single-Borrower-Bonds im Volumen von mehr als 240 Mrd. Dollar fällig. Es droht eine Abwärtsspirale, bei der ein Einbruch der Finanzierungsaktivität Schuldner noch stärker unter Druck setzt und Gläubiger sich zunehmend weiter zurückziehen.
Daseinsberechtigung steht in Frage
Die Ratingagenturen müssen sich die Frage gefallen lassen, warum ihre Modelle auch diese Notlage nicht vorhergesehen haben. Ihre Fürsprecher werden einwenden, dass niemand die Coronakrise und ihre Konsequenzen hätte prognostizieren können. Doch sollte die Rolle der Ratingagenturen darin bestehen, Marktteilnehmern belastbare Annahmen über die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners zu ermöglichen – und dabei eben alle möglichen Härtefälle einzubeziehen. Zudem befanden sich S&P und Konsorten auch dann noch in tiefem Schlaf, als die Krise längst lief. Indem sie ausgerechnet in Situationen an ihrer Aufgabe scheitern, in denen der Markt am dringendsten verlässliche Informationen braucht, machen die Ratingagenturen ihre Daseinsberechtigung zunichte.