BlickfeldRegulierung

Der komplizierte Kampf gegen die Bürokratie-Krake

Der Normenkontrollrat sieht den sprunghaften Belastungsanstieg für Unternehmen vorerst gestoppt. Eine echte Trendwende steht aber noch aus – auch wenn es an guten Vorschlägen zum Bürokratieabbau nicht mangelt.

Der komplizierte Kampf gegen die Bürokratie-Krake

Der komplizierte Kampf gegen die Bürokratie-Krake

Der Normenkontrollrat sieht den sprunghaften Belastungsanstieg für Unternehmen vorerst gestoppt. Eine echte Trendwende steht aber noch aus – auch wenn es an guten Vorschlägen zum Bürokratieabbau nicht mangelt.

Von Andreas Heitker, Berlin

Marco Buschmann ist frustriert. Er fühle sich mitunter wie Sisyphus, gab der Bundesjustizminister Ende vergangener Woche auf einer Konferenz der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) preis. Beim Kampf gegen den Bürokratieabbau befördere die Bundesregierung große Brocken den Berg hinauf. Und oben angekommen, stehe dann EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und stoße sie wieder hinunter – wo die Steine dann noch tiefer rollten als in der Ausgangslage.

Buschmanns Ausflug in die griechische Mythologie hatte einen sehr konkreten Hintergrund: Am Donnerstagvormittag hatte der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) IV beschlossen. Es ist Teil des „Meseberger Entlastungspakets“, das die Ampel als das „größte Bürokratieabbau-Programm in der Geschichte Deutschlands“ feiert. Allein das BEG IV soll Wirtschaft, Verwaltung und Bürger jährlich von fast 1 Mrd. Euro Kosten befreien.

Sisyphusarbeit Bürokratieabbau? Der Normenkontrollrat stellt klar: „Bürokratieabbau ist möglich – wenn die Politik es will.“ (Foto: picture alliance / Zoonar | Elnur Amikishiyev).

Am Donnerstagnachmittag, also nur Stunden nach dem BEG-Beschluss, musste die Koalition im Bundestag aber die Umsetzung der EU-Richtlinie zur künftigen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) einbringen. Wie Buschmann selbst sagt: ein „bürokratisches Dickschiff“, das Unternehmen mit zahllosen weiteren Berichtspflichten überzieht. Jährliche neue Umsetzungskosten: 1,6 Mrd. Euro.

Wirtschaft will mehr Entlastung

Dabei ist die Wirtschaft mit dem neuen Entlastungspaket der Ampel noch nicht einmal zufrieden: Das Gesetz bleibe weit hinter den Standort-Erfordernissen zurück, monierte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Sie verwies darauf, dass allein die Informationspflichten nach nationalem Recht die Unternehmen 66,5 Mrd. Euro im Jahr kosteten. „Von daher wirken kleinteilige Maßnahmen wie einige gestrichene Schriftformerfordernisse und eine Reduktion der Aufbewahrungsfristen von zehn auf acht Jahre in der Praxis wie ein Tropfen auf einen inzwischen glühenden Stein“, so Gönner. Der DIHK kritisiert, dass die Wirtschaft deutlich mehr Vorschläge eingereicht hatte. Und auch im Handwerk heißt es, das Paket sei zu zögerlich, um spürbare Entlastungseffekte in der Breite zu erzielen.

Die schlechte Stimmung quer durch alle Branchen ist schnell zu erklären: In den letzten drei Jahren sind die Bürokratiekosten so sehr in die Höhe geschnellt wie noch nie. Der jährliche Erfüllungsaufwand des deutschen Gesetzesrahmens liegt heute 27 Mrd. Euro höher als noch 2011. Seit dem Start der Ampel-Regierung ist der jährliche Aufwand um 16 Mrd. Euro geklettert, wie aus dem neuen Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) hervorgeht. Davon entfällt mit 9,7 Mrd. Euro der Löwenanteil auf die Wirtschaft. Hinzu kommen noch zusätzliche Milliarden als Einmalkosten bei der Einführung neuer Gesetze.

„Deutschland ist und bleibt ein kompliziertes Land, das sich eingemauert hat in eine Vielzahl von Regeln und Verfahren“, klagte am Dienstag der NKR-Vorsitzende Lutz Goebel. Auch laut Ifo-Ökonomenpanel ist der Komplex Bürokratie und Regulierung mittlerweile die größte Schwäche des Wirtschaftsstandorts. „Deutschland leidet unter einem Bürokratie-Burnout“, sagt FDP-Mann Buschmann. Und DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben verweist darauf, dass Bürokratie bei den Unternehmen noch nie ein solches Aufregerthema gewesen sei wie heute.

Die Politik in Berlin sowie in Brüssel, woher nach Angaben des Justizministers mittlerweile 60% der Bürokratiekosten kommen, scheinen die immer schrilleren Alarmrufe mittlerweile verstanden zu haben. EU-Kommissionschefin von der Leyen hat in ihrem neuen Führungsteam den erfahrenen Letten Valdis Dombrovskis zu einem „Kommissar für bessere Rechtsetzung und Vereinfachung“ berufen. Zu seinen Aufgaben gehört ganz offiziell, die Berichtspflichten um 25% und für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sogar um 35% zu senken.

Wirtschaft sieht neue EU-Versprechen skeptisch

Die Leiterin der Kommission in Deutschland, Barbara Gessler, versprach am Freitag, Brüssel werde den Fokus künftig zudem eher auf die Umsetzung schon beschlossener Regulierung legen und nicht auf neue Gesetze. Die Skepsis in der deutschen Wirtschaft bleibt allerdings groß: Nach Schätzungen des DIHK summiert sich nämlich der zusätzliche Erfüllungsaufwand der Verordnungen und Richtlinien, die aktuell bereits in der EU-Pipeline stecken, auf einen mittleren zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag.

Auch die Ampel will es bei dem BEG IV nicht belassen, auch wenn das Meseberg-Paket in den letzten gut zwölf Monaten Entlastungen von 3,5 Mrd. Euro gebracht hat. Buschmann strebt nun ein jährliches Bürokratieabbaugesetz an. Die neu eingeführten Praxischecks für Gesetze sollen ausgeweitet werden und mit einem „Gebäudetyp-E-Gesetz“ soll die Bauwirtschaft mehr Spielräume erhalten. Am Montag begann bereits die Ressortabstimmung zur Reform des Vergaberechts. Die 200 Einzelvorschläge sollen jährliche Entlastungen von 1,3 Mrd. Euro bringen – gut 300 Mill. Euro für die Wirtschaft.

Negative Bilanz in Brüssel

Das Bemühen in Berlin zeigt durchaus erste Erfolge, wie aus dem Jahresbericht des Normenkontrollrates hervorgeht. Die jüngste „One in, one out“-Bilanz für das zurückliegende Jahr ergaben Entlastungen aus Bundesrecht (abzüglich neuer Belastungen) von 1,5 Mrd. Euro. Da aus EU-Richtlinien allerdings wieder einmal deutlich mehr Be- denn Entlastungen hinzukamen, blieben vom ganzen Bemühen im Endeffekt nur Kostensenkungen von gut 400 Mill. Euro übrig.     

Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (Foto: picture alliance/dpa | Hannes P Albert).

Laut Normenkontrollrat ist im Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 der Erfüllungsaufwand nur noch um 400 Mill. Euro gestiegen, was in diesem Fall die öffentliche Verwaltung schultern muss. Die Wirtschaft wird hingegen erstmals seit 2019 entlastet – um 433 Mill. Euro. Dabei sinken die durch Informationspflichten verursachten Bürokratiekosten sogar um 655 Mill. Euro. „Bürokratieabbau ist möglich – wenn die Politik es will“, stellte der NKR-Vorsitzende Goebel bei der Vorstellung des neuen Jahresberichts klar.

Er fordert von der Bundesregierung nun eine verbindliche Zielgröße: 25% weniger Bürokratiekosten und Erfüllungsaufwand innerhalb von vier Jahren. Damit würden die Belastungen bei Verwaltung, Unternehmen und Bürgern Jahr für Jahr um 5 Mrd. Euro sinken. Zu den wichtigsten Ansatzpunkten auf diesem Weg gehören demnach eine bessere Gesetzgebung und eine effizientere Verwaltung. Der Ampel hat der NKR gerade 55 neue Vorschläge vorgelegt, wie dies umzusetzen wäre.

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