Im BlickfeldLuftfahrtbranche

Der lange Weg zum klimaneutralen Fliegen

SAF gilt als größter Hoffnungsträger der Luftfahrtbranche, um ihre CO2-Emissionen zu senken. Doch die Produktion reicht noch nicht aus, um geplante Vorgaben erreichen zu können.

Der lange Weg zum klimaneutralen Fliegen

Luftfahrtbranche

Der lange Weg zum klimaneutralen Fliegen

Nachhaltiger Treibstoff gilt als größter Hoffnungsträger, doch die Produktion reicht nicht aus.

wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris

Dichtgedrängt stehen Reisende mit ihren Koffern auf den Rolltreppen in die Abflughallen des Pariser Flughafens Roissy-Charles de Gaulle. Ähnliches Gedränge herrscht auf den Zufahrtsstraßen zum Dubai International Airport. An anderen Flughäfen in der Welt sieht es ähnlich aus. Die Menschen reisen wieder. Mit 5 Milliarden erwarteten Passagieren ist die Luftverkehrsbranche auf dem besten Wege, den Rekord aus dem Vorkrisenjahr 2019 zu übertreffen.

Von Überlegungen, den Anstieg von Flugreisen zu bremsen, um den Schadstoffausstoß des Sektors zu reduzieren, hält Willie Walsh dennoch nichts. Das sei eine typisch europäische Debatte, die es in anderen Teilen der Welt so nicht gäbe, sagte der Generaldirektor des Branchenverbandes IATA (International Air Transport Association) auf einer Pressekonferenz in Dubai. Anstatt das Wachstum zu bremsen, müsse sich die Branche dekarbonisieren. „Es gibt so viele Initiativen dafür.“

Die Luftfahrtindustrie macht weltweit rund 2 bis 3% der CO2-Emissionen aus. Wegen ihrer guten Sichtbarkeit ist sie ein beliebtes Ziel für die Kritik von Politikern und Umweltschutzorganisationen. So wurde die Hauptversammlung von Air France-KLM in der Nähe von Paris diesen Mittwoch durch Aktivisten gestört. Dabei hat sich die französisch-niederländische Fluggesellschaft das ehrgeizige Ziel gesetzt, ihren CO2-Ausstoß pro Passagier und Kilometer bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 30% zu senken. 2050 dann will sie wie die gesamte Branche komplett klimaneutral fliegen.

Hoffnungsträger SAF

Dabei helfen sollen neue, schadstoffärmere Flugzeuge und nachhaltige Kraftstoffe, die sogenannten SAFs (Sustainable Aviation Fuels). Rund 87.000 Tonnen davon hat Air France-KLM letztes Jahr verflogen, Lufthansa immerhin 13.000. Airbus verspricht zudem für 2035 ein Wasserstoffflugzeug. Der europäische Flugzeugbauer und sein US-Rivale Boeing forschen daneben an neuen Flugzeugdesigns und Materialien, um Aerodynamik und Gewicht und so letztendlich die Nachhaltigkeit zu verbessern. Auf dem Weg zum nachhaltigen Fliegen setzt die Branche auch auf ein verbessertes Air Traffic Management.

Ihre größten Hoffnungen jedoch ruhen auf SAF. Auf dem diesjährigen Treffen der IATA in Dubai Anfang der Woche gab es denn auch kaum eine Debatte oder Veranstaltung, auf der die alternativen Treibstoffe nicht zur Sprache kamen. Immerhin will die Europäische Union (EU) bereits ab nächstem Jahr verbindliche Quoten für SAF einführen. So müssen für die Betankung von Flugzeugen an Flughäfen in der EU dann 2% davon beigemischt werden, bis 2030 dann 5%.

„Ich glaube, 2030 schon 5% SAF haben zu wollen, ist sehr ehrgeizig“, sagt Walsh. „Meiner Meinung nach wird das nicht überall rund um den Globus erreicht werden, aber in anderen Teilen der Welt schon.“ Das zeige eine Analyse, wo in SAF investiert und wo produziert werde. In Südamerika etwa gibt es noch kein einziges Projekt für eine SAF-Produktion. „Es dauert bis zu fünf Jahre, um eine SAF-Produktionsstätte aufzubauen“, erklärt IATA-Chefökonomin Marie Owens Thomsen, die bei dem Branchenverband auch für Nachhaltigkeit zuständig ist.

Vorbild Wind- und Solarenergie

Derzeit gibt es ihren Angaben zufolge 140 Projekte für erneuerbare Kraftstoffe, die 2030 in Betrieb gehen und auch SAF produzieren können. Sollten sie alle realisiert werden, kämen sie auf eine Produktionskapazität von 51 Mill. Tonnen. Davon müssten rund 27% auf SAF entfallen, um das von der ICAO (International Civil Aviation Organization) gesteckte Ziel erreichen zu können, die CO2-Emissionen des Luftverkehr mit Hilfe von SAF bis 2030 um 5% zu senken, so die IATA.

Zum Vergleich: Letztes Jahr wurden gerade mal 500.000 Tonnen SAF produziert. In diesem Jahr dürfte sich die SAF-Produktion dann auf 1,5 Mill. Tonnen verdreifachen, erwarten die Experten des Verbandes. Das entspräche 0,53% des Treibstoffbedarfs der Luftfahrt. Damit 2050 tatsächlich wie von der Branche geplant 65% der CO2-Reduzierungen mit Hilfe von SAF erzielt werden können, müsste sich die Produktion bis dahin aber vertausendfachen, sagt IATA-Chefökonomin Owens Thomsen.

Dieses Ziel könnte erreicht werden, meint sie. „Wir denken, dass unsere Industrie dafür jährlich Investitionen von rund 150 Mrd. Dollar benötigt. In die Öl- und Gas-Branche fließen jedes Jahr 800 Mrd. Dollar.“ Die Wind- und Solarenergie hätten in der Vergangenheit ähnliche Wachstumsraten erzielt, die jetzt für die SAF-Produktion notwendig seien, sagt Owens Thomsen. „Unser Investitionsbedarf ist ähnlich zu dem, als der Markt für Wind- und Solarenergie geschaffen wurde. Wir sollten schauen, was damals gemacht wurde und es ebenso tun.“

Branche fordert Anreize

Denn der Markt für SAF muss erst noch aufgebaut werden. „Nur 6% der erneuerbaren Kraftstoffe in diesem Jahr gehen an die Luftfahrtindustrie“, sagt IATA-Chef Walsh. Denn die bestehenden Produktionsstätten seien dafür ausgelegt, die Dieselproduktion zu maximieren. Sie profitierten zudem oft auch neben der langjährigen Nachfrage durch den Straßenverkehr von Anreizen dafür. Obwohl SAF das Doppelte bis Fünffache von herkömmlichem Kerosin kostet, rentiert es sich für die Öl- und Gas-Industrie offenbar noch nicht, die Produktion auszubauen.

Angesichts der Elektrifizierung der Automobilindustrie müsse die Produktion jetzt zugunsten von SAF für die Luftfahrt verlagert werden, fordert Walsh. Anreize könnten dabei helfen. „Das 5%-Ziel für 2030 ist ein Ziel der Regierungen“, sagt er. „Die Regierungen haben deshalb die Verantwortung, uns dabei zu helfen, es erreichen zu können.“ Dabei plädiert er auch für Anreize wie etwa Steuergutschriften, um Investitionen in erneuerbare Kraftstoffe zu fördern.

Erschwinglichkeit ist ausschlaggebend

Obwohl die Nachfrage das Angebot an SAF übersteigt, ist die Finanzierung von SAF-Anlagen nicht einfach. Da Fluggesellschaften in der Regel nicht bereit sind, Abnahmeverträge für Treibstoffe mit Laufzeiten von mehr als zehn Jahren zu unterzeichnen, ist es teilweise schwierig, Investoren zu überzeugen, in SAF-Projekte zu investieren.

Für Fluggesellschaften wiederum werden sich durch SAF-Vorgaben die Treibstoffkosten erhöhen. Das sei für einige schwierig zu verdauen, meint der Chief Sustainability Officer von Qantas, Andrew Parker. Dabei sei die Erschwinglichkeit ein Schlüsselfaktor.

„Und wir müssen einen strategischen Fahrplan haben“, fordert er. Denn noch gibt es keine weltweit einheitlichen Regeln.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.