Notiert inTokio

Der sonderliche Herr Ishiba

Japans designierter Premierminister fällt in seiner Heimat als Otaku auf, das japanische Pendant zum englischen Begriff Nerd.

Der sonderliche Herr Ishiba

Notiert in Tokio

Der sonderliche Herr Ishiba

Von Martin Fritz

Japans Dauerregierungspartei LDP hätte bei der Neuwahl ihres Vorsitzenden am vergangenen Freitag entweder Japans jüngsten Premierminister aller Zeiten oder Japans erste Premierministerin küren können. Aber die LDP-Abgeordneten, die den Parteichef bestimmen, hoben Shigeru Ishiba auf den Schild. Schon am Dienstag tritt der 67-Jährige auch die Nachfolge von Fumio Kishida als Premierminister an.

Fast niemand hatte diesen Wahlausgang vorhergesagt, da Ishiba sich mit seiner Dauerkritik am langjährigen Premierminister Shinzo Abe zum Zaungast in seiner eigenen Partei gemacht hatte. Seine Kandidatur am Freitag war bereits sein fünfter Versuch, in eigenen Worten seine „letzte Schlacht“, LDP- und damit Regierungschef zu werden, obwohl er kaum Parteifreunde hat. Er sagt sogar von sich, dass er drei Bücher am Tag lese und das lieber tue, als sich unter die anderen LDP-Abgeordneten zu mischen.

Modellbauten für Botschafter

Wenn Ishiba redet, spricht er jedes Wort langsam aus und starrt sein Gegenüber an. Das kann einschüchternd wirken, wie er selbst zugegeben hat. Sein häufiges Stirnrunzeln verschwindet aber, sobald er über seine wahren Leidenschaften spricht – den Bau von Kriegsschiff- und Kampfflugzeug-Miniaturmodellen, das Eisenbahnfahren und das Essen von Nudelsuppen. „Er ist ein bisschen ein Sonderling unter den Politikern“, räumte sein Wahlkampfleiter Takeshi Iwaya ein. Die Japaner sprechen von „Otaku“, Menschen, die von alltäglichen Dingen besessen sind und mit anderen nicht gut kommunizieren können.

Wenn ein wichtiger Botschafter, Minister oder Offizier aus anderen Ländern Ishiba treffen möchte, dann erkundigt er sich vorab, auf welchen Schiffen ihrer Marine sie schon einmal mitgefahren sind und überreicht ihnen beim Treffen dann ein selbstgebasteltes Miniaturmodell davon. Dem aktuellen US-Botschafter Emanuel Rahm zum Beispiel schenkte er ein P3-Patrouillenflugzeug und einem damaligen früheren Verteidigungsminister von Russland das Modell eines russischen Flugzeugträgers, das er nach eigenen Angaben in einer langen Nachtsitzung zusammengeklebt hatte. Aufgrund seines starken Interesses an allem Militärischen trägt der Ex-Verteidigungsminister, wenn auch nur für ein Jahr, den Beinamen „Verteidigungs-Freak“.

Seine zweite Leidenschaft gilt dem Bahnfahren. Mehr als 1.000 Mal will er mit dem Schlafwagenzug zwischen Tokio und seinem Wahlkreis im ländlichen Tottori hin- und hergefahren sein. Auf Instagram und Youtube begeistert er sich für bestimmte Züge, einmal setzte er die Mütze eines Schaffners auf und ahmte typische Armbewegungen nach.

Fan von Ramen-Nudelsuppen

Ebenso ins Schwärmen kommt er bei Ramen-Nudelsuppen, Japans populärster Speise. Öffentlich sinniert er darüber nach, ob Nudeln mit importiertem oder japanischem Weizen besser schmecken. Auch leitet er eine Gruppe von 50 Ramen-Fans im Parlament. Aber Vorrang erhält nun der Machterhalt, für den 27. Oktober will er Neuwahlen ansetzen.

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