London

Die Maut kriegt, wer sich traut

Eigentlich hatte Londons Bürgermeister Sadiq Khan versprochen, die Innenstadtmaut nach 18 Uhr nicht mehr zu erheben. Andererseits könnte der Nahverkehrsbetreiber TfL das Geld gut gebrauchen.

Die Maut kriegt, wer sich traut

Geht es nach dem täglichen Verkehrsaufkommen, hat London längst wieder das Niveau erreicht, das vor der Pandemie üblich war. Das weckt Begehrlichkeiten: Bürgermeister Sadiq Khan drohte bereits, die Innenstadtmaut (Congestion Charge) anders als geplant auch weiterhin nach 18 Uhr zu erheben. Transport for London (TfL) braucht dringend Geld. Der öffentliche Nahverkehrsbetreiber musste seit Beginn der Pandemie heftige Einbußen hinnehmen. Denn anders als vergleichbare Nahverkehrsunternehmen in Paris oder New York, wo lediglich gut ein Drittel der Kosten durch Beförderungsentgelte bestritten werden muss, liegt dieser Anteil in London doppelt so hoch. Auch nach Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen bleiben viele Hauptstadtbewohner bis heute lieber zu Hause, zumal viele bequem aus dem Homeoffice arbeiten konnten. Was liegt da näher, als eine geplante Lockerung der Mautbestimmungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag aufzuschieben? Zumal sich so eine Entscheidung prima als Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel verkaufen ließe.

Im Mai vergangenen Jahres kündigte Khan an, die Maut, die bis dahin lediglich werktags von 7 bis 18 Uhr erhoben wurde, sieben Tage die Woche bis 22 Uhr einzutreiben. Zugleich wurde sie von 11,50 auf 15,00 Pfund erhöht – eine Bedingung des ersten Bail-outs der Regierung für TfL. Im Finanzjahr 2020/21 brachte das TfL 113 Mill. Pfund zusätzlich.

Man wolle die Bürger zum Verzicht auf das Auto ermuntern, lautete die Begründung. Premierminister Boris Johnson hatte den Bürgern einen Monat zuvor das genaue Gegenteil empfohlen. Sie sollten den öffentlichen Personenverkehr nach Möglichkeit meiden. „Und wenn Sie zur Arbeit gehen, tun Sie das mit dem Auto oder noch besser zu Fuß oder mit dem Fahrrad“, lautete damals der Rat des Regierungschefs. Die Londoner hatten schon vor Johnsons Auftritt gerne zum Autoschlüssel gegriffen. Als Khan anfangs die Maut vorübergehend aussetzte, um den Mitarbeitern der Rettungsdienste und anderen wichtigen Berufsgruppen während des Lockdowns den Weg zur Arbeit zu erleichtern, war ein dichterer Autoverkehr als vor der Pandemie die Folge.

Am 28. Februar kommenden Jahres steht eigentlich die Rückkehr zur bisherigen Regelung an Wochentagen an, zumindest was den Zeitrahmen angeht. Dann natürlich wird die Gebühr, die bei Einführung 2003 bei 5 Pfund gelegen hatte, nicht wieder auf 11,50 Pfund gesenkt. Khan hatte vor der Bürgermeisterwahl in diesem Jahr versprochen, die Maut abends nichts mehr zu erheben. An Wochenenden und Feiertagen soll sie nur noch zwischen 12 und 18 Uhr fällig werden. Das überraschte alle, die sich noch daran erinnern konnten, dass Khan mit den zusätzlichen Einnahmen eigentlich die kostenlose Beförderung von Ju­gendlichen unter 18 Jahren und Über-60-Jährigen finanzieren wollte, die vom Staat nicht mehr übernommen wird.

Will er zurückrudern, dürfte Khan entgegenkommen, dass sich bereits eine Vielzahl von Bedenkenträgern gemeldet hat, die Gefallen an der aktuellen Regelung gefunden haben. Der ÖPNV-Nutzerverband London Travelwatch fürchtet etwa, dass Busse nach 18 Uhr im Verkehr steckenbleiben könnten. Es sei an der Zeit, über ein ausge­feilteres Mauterhebungsverfahren nachzudenken, das die Nachfrage und die zurückgelegte Entfernung berücksichtigen könne. Wie der „Evening Standard“ berichtet, hatte sich die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von Bussen während der Lockdowns auf 18,2 km/h erhöht. Seitdem ging sie allerdings schon wieder auf 15,5 km/h zurück und liegt damit nur noch wenig über den 15,0 km/h, die vor der Pandemie üblich waren. Die London Cycling Campaign warnte vor den Gefahren, die von einem höheren Verkehrsaufkommen für Radfahrer und Fußgänger ausgehen.

Die U-Bahn-Nutzung erreichte zuletzt 70 % des Vorkrisenniveaus. An den Details zeigt sich, dass die Bewohner der Metropole die „Tube“ lieber zum Ausgehen oder Shoppen nutzen als für den Weg zur Arbeit. In den vergangenen vier Wochen erreichten die Passagierzahlen an Werktagen lediglich drei Fünftel des früher üblichen Aufkommens. An den Wochenenden waren es dagegen vier Fünftel.