Dumm gelaufen für die EU-Kommission
Notiert in Brüssel
Dumm gelaufen für die EU-Kommission
Von Detlef Fechtner
Die Europäische Union hat alles, was mit Gesetzen zu tun hat, bekanntermaßen auf mehrere Standorte aufgeteilt. In Brüssel werden Gesetze geschrieben, in Straßburg werden sie diskutiert, in Brüssel und Straßburg kriegen sie ihren letzten Segen. In Luxemburg wiederum wird entschieden, wie europäisches Recht konkret zu verstehen ist. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs, des EuGH, haben das letzte Wort. Und können nicht nur Strafen gegen nationale Regierungen verhängen, die EU-Vorgaben nicht umsetzen, oder Geldbußen gegen Firmen bestätigen, die sich nicht an EU-Regeln halten. Sondern sie können auch die EU-Kommission zu Strafen verdonnern. Dann nämlich, wenn die gegen eigene Vorgaben verstoßen hat – so wie jüngst im Streit um persönliche Daten.
Kommission muss klagendem Bürger 400 Euro zahlen
Ein in Deutschland lebender Bürger hatte die EU-Kommission verklagt, weil er sein Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten verletzt sah. Beim Besuch einer Website zur Zukunft Europas hatte er den speziellen Authentifizierungsservice der EU-Behörde benutzt, das sogenannte EU Login – und zwar über die Anmeldeoption „Mit Facebook“. Auf diese Weise sei seine IP-Adresse an den US-Konzern Meta übermittelt worden. Weil zum Zeitpunkt dieses Transfers noch kein EU-Beschluss darüber vorlag, dass die USA ein angemessenes Schutzniveau für Personendaten böten, habe die EU-Kommission gegen EU-Recht verstoßen. Sie muss dem Bürger daher 400 Euro Ersatz für immateriellen Schaden überweisen. Dumm gelaufen.
Der Fall dokumentiert auf ein Neues, wie vielfältig die Aufgaben eines EU-Richters sind. Es geht in seinem Berufsalltag nicht nur um die Beurteilung großer politischer Kontroversen wie der Rechtmäßigkeit von Anleihekäufen oder dem Anwendungsbereich von Russland-Sanktionen. Vielmehr geht es oft um kuriose Fragen aus der alltäglichen Lebenspraxis. Neulich etwa mussten die Richter in einer Klage nichtbinärer Aktivisten klarstellen, dass die französische Bahn von Kunden nicht verlangen dürfe, dass sie sich beim Online-Ticketkauf als „Herr“ oder „Frau“ klassifizieren müssen. Diese Auswahl sei für den Fahrscheinerwerb „nicht objektiv unerlässlich“.
Kuriose Fälle
In berühmt-berüchtigten Fällen der Vergangenheit ging es unter anderem darum, ob Frauen 1,70 Meter groß sein müssen, um griechische Polizistinnen zu werden. Ob Zyklonstaubsauger in Energieverbrauchstests nicht massiv gegenüber Saugern mit Beuteln benachteiligt sind. Ob ein deutsches Standesamt akzeptieren muss, dass sich Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff umbenannt hat in Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff. Oder ob „Fack Ju Göthe“ deswegen nicht als Unionsmarke geschützt werden darf, weil damit ein Schriftsteller posthum in vulgärer Weise verunglimpft wird. Einige dieser Fragen klingen – Hand aufs Herz – eher nach Pubquiz denn nach Gerichtsverhandlung. Auf jeden Fall belegen sie, dass man am EuGH über alles klagen kann, nur nicht über mangelnde Abwechslung.