Durchbruch für Climate Fintechs
Von Antje Kullrich, Düsseldorf
Wer weiß schon, wie viel CO2 eine gerade bezahlte Tankfüllung verursacht? Bei 60 Litern Benzin sind es gut 140 Kilogramm, Diesel in der Menge bläst knapp 160 Kilo des Treibhausgases in die Luft. Wer als Kunde der Oldenburgischen Landesbank (OLB) seine Mastercard für einen Einkauf nutzt, kann demnächst ablesen, welche CO2-Emissionen durch den Konsum entstehen. Möglich macht das eine App des schwedischen Climate Fintechs Doconomy. „Wir meinen, dass nur die Transparenz über die Auswirkungen des eigenen Konsums zu einem besseren persönlichen Klimascore führen kann“, sagt Simon Petz, Leiter Daily Banking bei der OLB.
Den Footprint aufzeigen
Die Bank im hohen Norden ist nach eigenen Angaben die erste im deutschsprachigen Raum, die auf diesem Gebiet mit Doconomy kooperiert. Das Stockholmer Start-up wurde 2018 gegründet– dem Jahr, in dem Greta Thunberg sich mit einem selbst gebastelten Pappschild vor das schwedische Parlament setzte.
Doconomys Kundenzahl in der Finanzindustrie wächst. Gerade ist ABN Amro dazugekommen. 24 Mill. Dollar Finanzierung haben die Schweden bislang erhalten. Bei der jüngsten Runde im Herbst 2021 war Commerzventures im Lead.
Doconomys Kernkompetenz Carbon Accounting ist ein großes Thema, dem sich Climate Fintechs widmen. Start-ups, die die Finanzindustrie adressieren und gleichzeitig den Klimawandel thematisieren, sammeln gerade eine Menge Geld ein. „Wir sehen in dem Bereich enorme Potenziale“, sagt Paul Morgenthaler, Managing Partner bei Commerzventures. Er definiert Climate Fintechs als Fintechs, die die Dekarbonisierung der Wirtschaft vorantreiben. „Wenn ich CO2-Emissionen reduzieren will, kann ich das über die Steuerung von Geldströmen tun.“
Rund 1,2 Mrd. Dollar Venture Capital sind 2021 nach einer Erhebung von Commerzventures in Climate Fintechs geflossen – dreimal so viel wie in allen Vorjahren zusammen. Das vergangene Jahr habe einen Durchbruch markiert. Morgenthaler und sein Team haben 292 Start-ups identifiziert, die sich als Climate Fintechs verstehen. Der Venture-Capital-Arm der Commerzbank selbst, dessen gesamtes Portfolio 550 Mill. Euro Assets under Management zählt und sich an bislang 27 Start-ups beteiligt hat, ist bei drei Climate Fintechs investiert.
Markt in den Anfängen
Interessanterweise kommt mittlerweile die überwiegende Zahl aus Europa. Während in anderen Bereichen der Gründerszene US-Jungunternehmen klar den Markt dominieren, ist das bei Climate Fintechs anders. Allerdings bleiben die US-Start-ups im Durchschnitt besser finanziert und erhalten, vor allem in späteren Finanzierungsrunden, mehr Geld. So kam es auch, dass im vergangenen Jahr mit Xpansiv und Persefoni zwei Climate Fintechs aus den USA nach der Statistik von Commerzventures die dicksten Finanzierungsrunden für sich reklamieren konnten. Xpansiv, ein digitaler Marktplatz für ESG-Commodities, warb allein 140 Mill. Dollar ein.
In den USA ist vor wenigen Monaten bereits ein grünes Fintech gelistet worden. Die bereits 2013 gegründete grüne Retail-Banking-Plattform Aspiration ging via Spac an die New Yorker Börse, die Bewertung belief sich laut einer Mitteilung auf 2,3 Mrd. Dollar. Unicorns sind in dem Sektor bislang jedoch eine Ausnahme.
Die Bandbreite an Themen und Geschäftsmodellen, mit denen sich Climate Fintechs beschäftigen, ist groß. Climate Risk Management oder Impact Investing sind genauso dabei wie nachhaltiges Banking.
Das meiste Geld ist mit mehr als 400 Mill. Dollar bislang in Carbon Accounting geflossen. Die meisten Start-ups – gut ein Drittel auf der Commerzventures-Liste – beschäftigen sich jedoch mit Carbon Offsetting. Das Thema hat eine hohe Dynamik, da die meisten Unternehmen für das Erreichen ihrer Klimaziele Kompensation brauchen. Dadurch werden digital unterstützte Anwendungen im Zusammenhang mit der Finanzierung von CO2-Ausgleich auch für Investoren attraktiv.
Greenwashing-Gefahr
Ausgleichsprojekte sind jedoch umstritten. Die Gefahr von Greenwashing ist groß und die Nachhaltigkeit des Ausgleichs manchmal fraglich. Wer hält zum Beispiel nach, ob ein aufgeforsteter Wald nicht doch ein paar Jahre später abgeholzt oder abgebrannt wird? „Der Sektor Carbon Offsetting ist derzeit ein Wilder Westen“, gab auch Venture-Capital-Manager Morgenthaler jüngst auf einer Nachhaltigkeitskonferenz des Rückversicherers Scor zu. Doch gerade hier setzten viele Climate Fintechs an, um in den nicht strukturierten Markt Ordnung zu bringen und Projekte zu kontrollieren. „Viele Start-ups zielen mit ihrer Technologie darauf ab, Greenwashing zu verhindern“, gibt sich Morgenthaler zuversichtlich. Er rechnet mit rasantem Wachstum im Markt für Climate Fintechs in diesem Jahr. Die bisherigen Finanzierungsvolumina deuteten ganz darauf hin. Climate Fintechs seien nicht die Lösung im Kampf gegen den Klimawandel, sagt Morgenthaler. Aber sie könnten ein Stein im Mosaik von Lösungen sein.