Tourismus

Eine Schwalbe macht keinen Sommer

Urlaub auf Mallorca wird für die Touristik in Rekordzeit vom Frühlingsboten zum Sinnbild der Krise. Nichts mutiert so schnell wie die Coronastrategie der Politik.

Eine Schwalbe macht keinen Sommer

Die Zeichnung der voluminösen Kapitalerhöhung hat sich für die Tui-Aktionäre gelohnt. Als Anfang März die ersten vorsichtigen Lockerungsschritte nach dem langen Coronawinter erprobt wurden und die Chancen auf ein Ende des Winterschlafs in der Touristik greifbar schienen, hatten die neu ausgegebenen Tui-Papiere ihren Wert verfünffacht. Inzwischen halten es die Investoren allerdings für geboten, eilig Gewinne mitzunehmen. Vom Gleichklang steigender Buchungszahlen und steigender Aktienkurse ist kaum mehr etwas zu spüren. Der Ansturm der Urlauber auf Mallorca, den die Politik mit ihrer Risiko-Entwarnung selbst ausgelöst hat, erschien eben noch als Vorbote einer zaghaften Normalisierung in einer Branche, die wie kaum eine zweite durch die Corona-Pandemie in den totalen Stillstand gezwungen wurde. Nun stilisieren ihn Bund und Länder geradezu als großes Malheur.

Angesichts der ungebremsten dritten Welle bei den Infektionen rücken die Regierungsverantwortlichen im verbalen Rückzugsgefecht vom bisher stets als magische Zahl betrachteten Inzidenzwert – der „einzig verlässlicher Wert, mit dem man arbeiten kann“, so Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – als Maßstab ab. Stattdessen wird verstärkt die Gefahr schwer beherrschbarer Virusmutanten beschworen, um den unliebsamen Urlaubs- und Bewegungsdrang zahlreicher Menschen zu stoppen. Offenbar mutiert nichts so schnell wie die Coronastrategie der Politik. Vor dem Hintergrund einer erschreckend langsamen Impfkampagne fehlt es weiterhin an einer Öffnungsperspektive, die durch klare Ziele und Kriterien Verlässlichkeit verspricht. Stattdessen wirkt die Regierung einmal mehr wie eine getriebene – in diesem Fall vom Öffnungsdruck der spanischen Tourismusbranche, für die deutsche Urlauber eine zentrale Rolle spielen. Der Druck war offenbar so groß, dass man darüber die Nöte der einheimischen Reisewirtschaft an Nord- und Ostsee oder auch in Bayern völlig vergaß. Auch deshalb wird „Malle“ plötzlich zum Malheur.

Für die Tourismusbranche sieht es derzeit so aus, als würde die „schlechte Stunde“ noch ziemlich lange anhalten. Denn die Reiselust der Masse wird durch den Vertrauensverlust in eine Politik, die hilflos von Lockdown zu Lockdown eilt, am Ende doch empfindlich gedämpft, vor allem wenn es um längerfristige Pläne und Buchungen geht. Auf diese ist die Branche für ein solides Cash-Management aber angewiesen, wobei Schwergewichte wie etwa Tui oder Dertour dabei für die gesamte „Nahrungskette“ aus Luftfahrt, Hotels, Restaurants und Freizeitwirtschaft in einer Schlüsselposition sind. Je mehr Zweifel aufkommen, wann und ob überhaupt damit zu rechnen ist, dass die Medizin das Virus – durch Impfung oder Arznei – unter Kontrolle bringt, desto mehr verdüstert sich die Lage der Reiseindustrie.

Das Geschäftsmodell, das darauf ruht, dass viel Geld mit langer Vorlaufzeit ins System fließt, wackelt. Die Pleite des 175 Jahre alten Reiseriesen Thomas Cook und die Insolvenz der einen oder anderen Airline auch schon vor der Coronakrise hat die Sicherheit von Kundengeldern und hohen Vorauszahlungen im Pauschaltourismus und in der Luftfahrt in den Fokus ge­rückt. Während die Reisewirtschaft dabei ist, die als unzureichend entlarvten Sicherungssysteme neu aufzusetzen, warnen Verbraucherschützer angesichts der bei einer noch länger andauernden Pandemie nicht auszuschließenden Mega-Pleiten von Reiseriesen oder Kreuzfahrtgesellschaften vor längerfristigen Buchungen und Anzahlungen.

Der extreme Liquiditätsengpass, der durch hohe Kapitalbindung bei Hotels, Schiffen oder Flugzeugen verstärkt wird, zwingt die Unternehmen tendenziell zu einem bilanziellen Schrumpfkurs. Tui beispielsweise will nicht nur ihre Flugzeugflotte radikal verkleinern, sondern durchforstet auch das Hotelportfolio. Dabei wird der Verkauf von Tafelsilber ausdrücklich ausgeschlossen; andererseits haben in einer Zeit, in der leer stehende Hotels en masse verfügbar sind, wohl nur attraktive Häuser überhaupt Chancen, auf Kaufinteresse zu stoßen. Es besteht bei den Reiseunternehmen also die Gefahr, dass sie sich auch von wertvollen Assets trennen müssen – und das nur, um irgendwelche Löcher zu stopfen, wenn der Stillstand oder das Geschäft auf Sparflamme zu lange anhält.

Investitionen in die Zukunft, die unerlässlich sind, um sich neuen agilen Konkurrenten wie Airbnb zu stellen, werden damit noch mehr zum Kraftakt. Auch hier trübt eine Lücke die geschäftlichen Perspektiven.

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