Eiskalt erwischt
Der August ist nicht gerade Wonnezeit für Büroangestellte im Schanghaier Großstadtdschungel. Die Durchschnittstemperatur liegt bei 35 Grad, die Luftfeuchtigkeit jenseits der 80%. Das macht die Mittagspause im Freien zur schweißtreibenden Angelegenheit. Kühlende Abwechslung spendieren lediglich Fallwinde in den Hochhausschluchten und die Eisportion zur Krönung der Mittagspause. Es gehört zum guten Stil, mit einem Eis am Stiel im Pulk von schwatzenden Kollegen bedächtig langsam wieder in Richtung Büro zu schlendern.
Schanghaier sind großzügig, wenn es um Luxuskonsumartikel von der Hermès-Handtasche bis zum Porsche-SUV geht, bei der Verwöhnung mit kleinen Alltagsfreuden allerdings eher kniepig. So kam es zu einem Entrüstungssturm, als der Hersteller Chicecream ein neues Popsicle unter dem Namen „Ecuadorian Pink Diamond“ lancierte und zu 66 Yuan feilbot. Das sind gut 8,50 Euro und sprengt dann doch das Budget für die Mittagspausenabkühlung. Chicecream reagierte auf den Protest mit dem Hinweis, dass der pinke Popsicle mit seltener „Rubinschokolade“ aus Ecuador und Grapefruit aus Japan aufwartet und nicht für jedermann gedacht ist. Man hat ja noch andere Sorten, wie den dreischichtigen Popsicle mit Milcheis, weißer Schokolade und Erdbeere für nur 23 Yuan.
Eine andere Kultmarke, Zhongjie 1946, liegt mit ihrer Verwöhnpackung für 32 Yuan ebenfalls am oberen Rand der Erträglichkeitsskala. Für das gleiche Geld kriege ich doch glatt ein halbes Kilo Schweine-Kurzrippchen, würde die typische Schanghai-Hausfrau sagen. So wie in Deutschland der Liter Milch das für jedermann nachvollziehbare Inflationsbarometer abgibt, macht man sich in China mit Schweinefleisch eine Vorstellung davon, was Wucher ist.
Mit dem Eispreis stimmt tatsächlich etwas nicht. Während Chinas Lebensmittelteuerung derzeit unter 1% liegt und Schweinefleisch zuletzt immer billiger wurde, gibt es beim Eis, ob am Stiel oder im Becher, eine galoppierende Inflationsentwicklung. Über zwei Jahre hinweg gerechnet sind es fast 50%. Das ist unverschämt. Als rühmliche Ausnahme gilt dabei der Unilever-Konzern mit seiner Kultmarke Magnum, die in China ihr größtes Absatzterritorium findet.
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Magnum wird in China als europäisches Markenprodukt goutiert, an das man gewisse Qualitätsansprüche stellen darf. Auch Magnum ist zuletzt teurer geworden, aber mit 10 Yuan für den Klassiker mit Schokoladenüberzug bleibt es noch im Rahmen. Das gilt auch in Europa, wo die Sonderkreation „Magnum Double Gold Caramel Billionaire“ anscheinend Milliardärsansprüchen genügt und doch für nur etwa 2,20 Euro ein „vielschichtiges Geschmackserlebnis“ bietet.
Magnum ist in China derzeit in aller Munde. Und zwar aus Empörung. Aus zunächst brodelnden Gerüchten wurde kühle Gewissheit, dass Unilever die verehrte Magnum-Klientel interkontinental unterschiedlich versorgt. Wie Unilever China leicht zerknirscht gestehen muss, wird die im Reich der Mitte angebotene Ware aus Milchpulver und Wasser zusammengerührt, während in Europa ein Frischmilchkonzentrat Verwendung findet. Wenn es etwas gibt, das chinesische Verbraucher gar nicht abhaben können, dann die gefühlte Erniedrigung, von westlichen Markenherstellern als Kunden zweiter Klasse abgestempelt zu werden, für die es auch minderwertigere Ware tut.
Unilever erklärt die faktische Ungleichbehandlung damit, dass das magere Frischmilchangebot in der Volksrepublik und logistische Herausforderungen dem Konzern keine andere Wahl lassen. Die Milch für chinesisches Magnum-Eis stammt zwar ebenfalls von glücklichen europäischen Kühen, kann aber nur in Pulverform nach China gebracht und dort mit heimischem Wasser angerührt werden. Dafür aber profitiere der chinesische Kunde im Gegensatz zum europäischen von einem vergleichsweise dickeren Schokoladenüberzug, versichert Unilever treuherzig. Für chinesische Magnum-Genießer tut sich nun in der Tat ein vielschichtiger Zwiespalt auf: Wurden sie all die Jahre angemessen verwöhnt oder aber aufs Glatteis geführt?