Unterm Strich

Elon Musks Lust an Twitter

Wenn private finanzielle Macht mit Hilfe von Social-Media-Plattformen wie Twitter zu politischer Macht wird, droht Gefahr für die Demokratie.

Elon Musks Lust an Twitter

„Die Meinungsfreiheit ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem für die Zukunft der Menschheit entscheidende Angelegenheiten debattiert werden.“ Ein solches Mission Statement aus dem Mund eines Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur eigenen digitalen Plattform hätte ringsum nur Gähnen ausgelöst. Wenn aber ein Unternehmer wie Elon Musk diesen Satz sagt und sein Verständnis von Meinungsfreiheit mit dem Kauf des Kurznachrichtendienstes unterstreicht, geht ein Aufschrei um die Welt. Die einen sehen die Pressefreiheit in Gefahr – die zu verteidigen Musk vorgibt –, die anderen sehen gleich die ganze demokratische Gesellschaft bedroht, und wieder andere warnen vor einem finanziellen Desaster, das auch die anderen Unternehmen von Elon Musk ins Unglück stürzen könnte.

Beifall für Elon Musks Absicht, für 44 Mrd. Dollar Twitter zu kaufen und von der Börse zu nehmen, war kaum zu vernehmen. Nicht einmal von den anderen Aktionären, die froh sein sollten, dass Musk den neunfachen Umsatz für ein Unternehmen hinblättern will, das seit seiner Gründung tief in den roten Zahlen steckt und im Wettbewerb mit anderen Social-Media-Kanälen weit abgeschlagen ist. Dass der Twitter-Aktienkurs aktuell mit gut 49 Dollar deutlich unter der angekündigten Offerte von 54,20 Dollar je Aktie rangiert, dokumentiert die Zweifel des Marktes, ob es Musk bei Twitter wirklich ernst meint und ihm eine ähnliche Erfolgsgeschichte gelingen könnte wie mit Tesla. 2021 zeigte Twitter bei 5 Mrd. Dollar Umsatz einen Verlust von 411 Mill. Dollar. Im ersten Quartal 2022 waren es operativ 123 Mill. Dollar Verlust bei 1,2 Mrd. Dollar Umsatz.

Im Wettbewerb weit hinten

Damit wären wir bei den ökonomischen Aspekten dieses Übernahmevorhabens. Denn der 2006 von Jack Dorsey gegründete und seither von ihm bis November 2021 geführte Kurznachrichtendienst hat zwar eine große Wahrnehmung in Kreisen der Politik, der Tech-Branche und der Medien, doch es fehlt an globaler Reichweite. Mit rund 230 Millionen täglichen Nutzern rangiert Twitter auf Platz 15 der Social-Media-Plattformen, weit abgeschlagen von Facebook oder Youtube mit 2,5 bis 3 Milliarden Nutzern. Musk will Twitter reformieren und zum Erfolg führen: die Spam-Bots bekämpfen, den Algorithmus offenlegen und neue Anwendungen entwickeln.

An der technologischen Perspektive für Twitter scheiden sich die Geister. Wer wie Musk mit über 80 Millionen Followern zu den aktivsten Twitter-Nutzern zählt – nur Donald Trump hatte bis zur Verbannung aus dem Twitter-Reich mit 90 Millionen mehr Follower –, kennt zwar Stärken und Schwächen der Plattform wie kein Zweiter. Doch wie die Attraktivität für Werbetreibende gesteigert werden kann, bleibt ein Rätsel, zumal Musk mit der Ankündigung, Twitter zur Plattform für die „freie Rede“ umbauen zu wollen, Anzeigenkunden eher erschreckt hat. Ein Speakers’ Corner auf Social Media ist vielleicht nett für die Selbstdarsteller dieser Welt, aber für die im Vergleich zu Facebook oder Google ohnehin spärlichen Werbeeinnahmen eher kontraproduktiv.

Doch Musk geht es nicht zuvorderst um eine betriebswirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Seine Ankündigungen zeugen von Sendungsbewusstsein und Machtanspruch. Das ist es, was viele Beobachter in den Medien und der Politik besorgt. Denn der exzentrische Multimilliardär, laut Forbes mit 265 Mrd. Dollar Vermögen der reichste Mann der Welt, ist bekannt dafür, dass er ein sehr eigenwilliges Regelverständnis hat und auch die Meinungs- und Pressefreiheit nur schätzt, wenn die Medien ihm zu Gnaden sind. Politisch passt er nicht in die üblichen Schubladen. Er hat sowohl über Donald Trump als auch Joe Biden schon ordentlich abgelästert und unterstützt am Ende, was ihm auch geschäftlich nützt. Denn der begnadete Selbstdarsteller Musk ist vor allem eins: ein erfolgshungriger Kapitalist.

Regulierung wird kommen

Das muss nicht per se schlecht sein, auch ist es nicht verwerflich. Aber es erfordert einen klaren gesetzlichen und regulatorischen Rahmen, der Musk – und den anderen Betreibern von Social-Media-Plattformen – Grenzen setzt. Es passt zum Unternehmergeist des Ingenieurs Musk, dass ihn vor allem Branchen und Geschäfte reizen, die Neuland sind und damit noch nicht bis zum letzten i-Tüpfelchen reguliert. Das gilt für die Elektroautos und das autonome Fahren ebenso wie für die Raumfahrt und Touristenflüge ins All. Und es gilt auch für Social Media, zumindest bisher.

„Die Regeln eines sozialen Netzwerks sind dann gut, wenn die extremsten 10 Prozent am linken und rechten Rand gleichermaßen unzufrieden sind.“ So einfach stellt sich Musk das vor. Und mit der Twitter-Übernahme scheint er nun selbst in die Rolle des Regelsetzers und Schiedsrichters schlüpfen zu wollen und zu definieren, wer zu den jeweils extremsten 10 Prozent gehört. Wenn private finanzielle Macht, die in einer Marktwirtschaft systemimmanent ist, in private politische Macht umgemünzt werden kann, wozu Medien und insbesondere moderne Massenmedien wie Social-Media-Plattformen dienen können, dann droht Gefahr für die demokratische Ordnung. Dann ist der Gesetzgeber gefordert.

Die EU hat reagiert. Nach dem Digital Markets Act hat sie nun den Digital Services Act verabschiedet, der 2023 in Kraft treten soll und den Umgang mit Online-Marktplätzen und Social-Media-Plattformen regelt (vgl. BZ vom 26. April). Desinformation, Hassreden und Fake News sollen künftig wirksamer kontrolliert und schneller aus dem Netz entfernt werden können. Algorithmen zumindest der größeren Plattformen müssen dann der EU-Kommission als Aufsichtsbehörde offengelegt werden. Aber auch die Möglichkeiten der personalisierten Werbung werden spürbar eingeschränkt. Sollten die USA dieser Art der Regulierung folgen, könnte es gut sein, dass Elon Musks Interesse an Twitter so schnell wieder vergeht, wie es geweckt wurde.

c.doering@boersen-zeitung.de

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