Es ist an der Zeit für grüne Staatenratings
Der Klimaschutz wird vielerorts längst großgeschrieben. Er ist das drängendste Thema unserer Zeit – wenn auch durch die Corona-Pandemie etwas verdrängt. Die Ratingagenturen, deren Bonitätsurteile den Preis mitbestimmen, den Staaten für eine Schuldenaufnahme zahlen müssen, schicken sich nun an, in ihren Bewertungen auch Kriterien des Klimaschutzes einfließen zu lassen. Bei Unternehmen ist das längst der Fall: Ratings gemäß ESG (Environment, Social, Governance) für Unternehmen werden inzwischen von Dutzenden Ratingagenturen angeboten. Auf Ebene der Staaten steckt der ESG-Trend noch in den Kinderschuhen.
Dabei gibt es zwei Herausforderungen: Erstens ist die Bewertung von Klimaschutzpolitik sehr schwierig. Zweitens sind die Folgen für viele Länder kaum abzuschätzen. Schwellenländer, die auf Kredite angewiesen sind, aufgrund des starken Wachstums aber auf fossile Energieträger setzen, werden die Leidtragenden sein. Die Industrieländer hingegen wollen ohnehin seit Jahren grüner werden. Sie könnten Profiteure grüner Ratings sein.
Eine Studie der Universität Cambridge liefert Aufschluss zur zweiten Frage: Wie wirken sich grüne Bewertungsvariablen im guten und im schlechteren Fall auf die Ratings der Länder aus? Eine Weltkarte umreißt die Entwicklung (siehe Grafik). Die Wissenschaftler berechneten in zwei Szenarien die ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels auf die Ratings von S&P für 108 Länder. Beide Szenarien richten sich nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Im schlechteren Fall müssten 63 Staaten eine Herabstufung um mindestens eine Ratingkategorie hinnehmen – auch Deutschland. Es würde also teurer, Schulden aufzunehmen. Wenn die Weltgemeinschaft es hingegen schafft, das Zwei-Grad-Ziel bis 2100 zu erreichen, bleiben die Ratings weitgehend unverändert. Das könnte ein Anreiz für eine effektivere Klimapolitik sein.
Objektive Kriterien fehlen
Die Ratingagenturen zeigen sich bislang allerdings skeptisch. Noch fehlen objektive Kriterien für die Auswertung. Ed Parker, zuständiger Leiter für die Staatenrankings bei Fitch, sagte auf Anfrage: „Fitch Ratings zielt darauf ab, den Klimawandel in den Länderratings zu erfassen, ebenso wie alle Faktoren, die seiner Ansicht nach für die Kreditwürdigkeit relevant und wesentlich sind.“ Insbesondere die Auswirkungen, die bereits sichtbar seien. Diese spiegelten sich auch in den aktuellen Ratings wider, „aber das Ausmaß und der Zeitpunkt der vollständigen künftigen Auswirkungen auf einzelne Staaten sind höchst ungewiss“. Besonders in aufstrebenden Märkten könnten Umweltrisiken eine Rolle für Länderratings spielen, heißt es von S&P auf Anfrage: „So reflektieren wir in einem Staatsrating z.B. potenzielle Volatilität in der Wirtschaftsleistung, und solche Volatilität kann zum Beispiel durch das Exposure zu Naturkatastrophen oder adverse Wetterbedingungen hervorgerufen werden.“ In der Regel liege der Fokus der Ratings aber deutlich stärker auf aktuelle Entwicklungen als auf unsicheren langfristigen Prognosen, zu denen Parker auch den Klimawandel zählt. „Wir erwarten, dass der Klimawandel mehr Ratingänderungen auslösen wird, wenn die Auswirkungen klarer, näher und materieller werden“, so Parker.
Doch was genau die ESG-Risiken sind, die es zu berücksichtigen gilt, ist nicht ausgemacht. Bislang gibt es ein undurchsichtiges Dickicht aus Kriterien. Nachhaltige Fonds investieren in Unternehmen auf höchst unterschiedliche Weise: nach Höhe der CO2-Emissionen oder Auswirkungen auf die Biodiversität. Für Staaten sind diese Kriterien derzeit kaum anwendbar. Wie viel der CO2-Emissionen werden im Land selbst verursacht? Welche Rolle spielt der Klimaansatz einer Regierung für ein Rating – etwa wenn geplante oder ergriffene Maßnahmen noch nicht wirken? Wie ist der Handel mit Emissionszertifikaten zu bewerten?
Die EU-Kommission will hier vorangehen. Finanzmarkt-Kommissarin Mairead McGuinness will im Sommer eine neue, nachhaltige Finanzmarktstrategie (RSFS) vorstellen. Ihr Ziel: die „Revolution zu nachhaltigen Investitionen“ als Teil der Klimastrategie der Europäischen Union, die bis 2050 als Vorreiterin klimaneutral werden will. Doch es droht nur noch mehr Regel-Tohuwabohu. Kritik kommt bereits vom Europaparlament und von Wirtschaftsprüfern. Auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) wandte sich im Januar an die irische Kommissarin und kritisierte „das Fehlen einer legal verbindlichen Definition und Vergleichbarkeit zwischen Anbietern von ESG-Ratings“ und einer „gesetzlich gesicherten Transparenz“ der zugrundeliegenden Methoden. Hinzu kommt, dass das Regelwerk der EU-Kommission keine Handlungsanweisungen beinhaltet. Die Details sind noch strittig. Für die Ratingagenturen, die Unternehmen und Staaten nach Klimakriterien bewerten, heißt das vorerst, dass sie nach wie vor eigens definierte Kriterien anwenden und die Vergleichbarkeit solcher Ratings daher fraglich ist.