Im BlickfeldNeue Rechtsform für Start-ups

Europas Tech-Szene hofft auf die EU Inc

Start-ups scheitern mit ihren paneuropäischen Ambitionen oft an einem Flickenteppich aus nationalen Gesetzgebungen. Um die Dinge zu vereinfachen, setzt sich die Initiative EU Inc für die Schaffung einer einheitlichen EU-Rechtsform für Jungfirmen ein – und hat einen Vorschlag erarbeitet, der selbst Kritiker des Staatenverbunds überzeugen soll.

Europas Tech-Szene hofft auf die EU Inc

Europas Tech-Szene hofft auf die EU Inc

Start-ups scheitern mit ihren paneuropäischen Ambitionen oft an einem Flickenteppich aus nationalen Gesetzgebungen. Um die Dinge zu vereinfachen, setzt sich die Initiative EU Inc für die Schaffung einer einheitlichen EU-Rechtsform für Jungfirmen ein – und hat einen Vorschlag erarbeitet, der selbst Kritiker des Staatenverbunds überzeugen soll.

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

57 Mrd. Euro. So viel haben Wagniskapitalinvestoren im vergangenen Jahr laut Pitchbook-Schätzungen in europäische Start-ups gesteckt. Wieder einmal war das weniger als im Vorjahr und wieder einmal liegt die Summe deutlich unter dem, was US-amerikanische Jungfirmen 2024 an Land gezogen haben. Dort ist das Volumen mit 209 Mrd. Dollar wieder sehr klar, nämlich um fast 30% gestiegen.

Es ist ein ungleicher Wettbewerb, den Europas Gründer und Gründerinnen seit jeher mit der dominanten US-Szene ausfechten müssen. Dort, wo der Venture Capital-Markt in der Entwicklung deutlich weiter vorangeschritten ist als auf dem alten Kontinent, fließt regelmäßig sowohl im Verhältnis zur Wirtschaftskraft als auch pro Kopf mehr Kapital in innovative Jungfirmen. 2024 waren es etwa 0,7% vom BIP oder gut 620 Dollar pro Kopf.

Zum Vergleich: Deutsche Start-ups sammelten laut dem Beratungsunternehmen EY im vergangenen Jahr insgesamt gut 7 Mrd. Euro ein, was nicht einmal 0,2% vom BIP entspricht. Pro Kopf waren das etwa 83 Euro. Frankreich und beispielsweise auch die Niederlande liegen in der Betrachtung etwas weiter vor der Bundesrepublik – aber immer noch klar hinter den Vereinigten Staaten.

Die Gründe für die Finanzierungslücke gegenüber den USA sind vielfältig und liegen nicht allein in der unterschiedlichen Maturität der beiden Ökosysteme. Hinzu kommt beispielsweise auch ein größeres Engagement institutioneller US-Investoren wie etwa Pensionsfonds an der Assetklasse und ein insgesamt einfacherer und einheitlicher Rechtsrahmen in den Staaten – sowohl für Gründer als auch für Investoren.

„Wenn in den USA ein Programmierer eine Geschäftsidee hat, dann muss er lediglich eine Website anklicken, ein Formular ausfüllen und dann hat er ein Unternehmen gegründet, in das Investoren sofort Geld reinstecken können, egal ob sie in Boston, in New York, in San Diego, San Francisco oder Los Angeles ansässig sind“, erklärt Andreas Klinger, einstiger Mitgründer des österreichischen Social Media-Marketing-Unternehmens Die Socialisten und heutiger Solo-Investor. „Das liegt daran, dass die regulatorischen Standards für solche Investmentprozesse in den USA vereinheitlicht sind.“

In Europa ist das anders. Trotz Gesetzgebung auf EU-Ebene unterliegen hier noch viele, für den Erfolg von Start-ups entscheidende Bereiche der nationalen Regelungskompetenz. Die Steuerpolitik ist ein klassisches Beispiel, bei dem die EU nur über sehr begrenzte Zuständigkeiten verfügt. Auch im Arbeits- und Gesellschaftsrecht wird der Großteil noch auf nationaler Ebene geregelt.

Eine Frage von Aufwand und Ertrag

Gründern wie Investoren bereitet das regelmäßig Kopfschmerzen. „Investoren müssen für jedes Land, in das sie neu investieren wollen, erstmal ihre Anwälte und Steuerberater konsultieren, um beispielsweise zu prüfen, ob die Gründer die richtige Rechtsform gewählt haben, ob das Shareholder Agreement vernünftig aufgesetzt ist oder ob sich aus dem Investment in Zukunft bestimmte steuerliche Auswirkungen in dem Land ergeben“, sagt Klinger. Einen solchen Aufwand betreibe man als Geldgeber vielleicht für mehrere oder einzelne größere Investments in einem Land, aber nicht für einzelne kleinere Frühphaseninvestments.

Mit der Initiative „EU Inc“ will sich die europäische VC-Szene diesen Schwierigkeiten entgegenstellen. Gestartet im Herbst vergangenen Jahres fordert das von Klinger als Co-Leiter geführte und von namhaften Gründern, Investoren und Start-up-Verbänden unterstützte Projekt die Schaffung einer einheitlichen europäischen Rechtsform für Start-ups. Ziel ist es, Jungfirmen und ihren Geldgebern auf verschiedenen Entwicklungsstufen einfachere regulatorische Rahmenbedingungen zu bieten. „Das geht schon bei der Gründung los“, sagt Klinger. Es müsse ein Prozess sein, „der standardisiert und digital erfolgen sollte und nicht in jedem europäischen Land nach unterschiedlichen Regeln, die teils sogar noch das Erscheinen beim Notar erfordern“.

Überhaupt, diese ständigen Notartermine. Gemäß der EU-Digitalisierungsrichtlinie müssen Gründer einer GmbH oder UG (die gängigen Rechtsformen für Start-ups in Deutschland) für das Gründungsverfahren mittlerweile zwar nicht mehr persönlich beim Notar antanzen, sondern können dies auch online erledigen. Für die direkte Übertragung von Unternehmensanteilen, zum Beispiel an Mitarbeiter, bleibt es aber weiterhin bei der Präsenzbeurkundung. „Das führt zu Kosten und Aufwand, der in keinem Verhältnis dazu steht, was man eigentlich mit einer Mitarbeiterbeteiligung erreichen möchte“, sagt Rechtsanwalt Frido J. Kent von der Kanzlei Rose & Partner. In den USA seien solche Vorgänge wesentlich flexibler möglich.

Mitarbeiter im Nachteil

Dabei ist die Übertragung von Mitarbeiteranteilen, so essentiell sie für die Personalakquise finanzschwacher Start-ups sind, auch so schon ein kompliziertes Thema. Schließlich spielen hier viele steuerrechtliche Aspekte mit rein und die nationalen Gesetzgebungen sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. „So etwas über mehrere europäische Länder hinweg parallel zu organisieren ist fast unmöglich“, sagt Investor Klinger.

Es braucht zumindest eine umfassende Rechts- und Steuerberatung, die sich aber gerade sehr junge Unternehmen oft nicht leisten können. „Hierzulande weichen deshalb viele Gründer auf die Übertragung virtueller Anteile an ihre Mitarbeiter aus“, erklärt Anwalt Kent. „Damit gehen sie zwar den Weg des geringeren Widerstands. Da es sich hier jedoch nicht um echte Anteile handelt, unterliegen die damit verbundenen Zahlungen nicht der Kapitalertragssteuer, sondern der meist viel höheren Einkommenssteuer.“ Die Mitarbeiter haben entsprechend das Nachsehen.

Bei all der Komplexität einer paneuropäischen Ausrichtung verwundert es also nicht, dass Start-ups in der Region für bessere Rahmenbedingungen trommeln. In einer Umfrage unter europäischen Gründern und Investoren hatte der Londoner Wagniskapitalgeber Atomico im Herbst gefragt, wo sich aus ihrer Sicht in den nächsten zehn Jahren etwas ändern muss, damit die Szene ihr volles Potenzial entfalten kann. An zweiter Stelle, direkt hinter dem Dauerthema der Kapitalbeschaffung, wurden regulatorische Reformen und ein Abbau von Bürokratie genannt.

EU-Kommission verspricht Lösungen

Es sei ein offensichtliches Problem, das viele in der EU schon vor Jahren erkannt und deswegen eine EU Inc gefordert haben, erzählt Klinger. „Den Namen haben wir uns tatsächlich nicht mal selbst ausgedacht.“ Die Initiative verweist dabei auch regelmäßig auf die bisherige Fürsprache wichtiger Persönlichkeiten wie den früheren EZB-Chef Mario Draghi. Der hatte in seinem vielbeachteten Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgeschlagen, innovativen Start-ups die Möglichkeit zur Annahme eines „neuen, EU-weiten Rechtsstatus“ einzuräumen. Dass die EU-Kommission an einem solchen Konzept arbeitet, hatte Präsidentin Ursula von der Leyen nun auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos nochmal bekräftigt.

Doch kann eine gut gereifte Erkenntnis und ein Vorstoß, den immerhin so namhafte Investoren wie Sequoia, Speedinvest, HV Capital, Lightspeed, Creandum und weitere unterstützen, wirklich dazu führen, dass EU-Mitgliedstaaten ihre Souveränität in bestimmten Bereichen aufgeben – noch dazu in Zeiten eines auch in Europa wieder aufkeimenden Nationalismus?

Kent ist hier skeptisch, zumindest was die Vereinheitlichung der Steuerpolitik angeht. „Das ist eine Mammutaufgabe, bei der man ja das Einverständnis aller Mitgliedstaaten bräuchte. Es ist zwar wünschenswert, aber ich bin nicht sicher, ob das wirklich funktionieren kann“, sagt er.

Denkbarer wären aus seiner Sicht dagegen weitere Harmonisierungen im Gesellschaftsrecht. In der Vergangenheit sei so etwas mit der Schaffung der SE ja schon mal passiert. Die europaweit standardisierte Rechtsform Societas Europaea ist vor gut 20 Jahren ins Leben gerufen worden, sie räumt europaweit tätigen Unternehmen eine gewisse Flexibilität ein und erlaubt es ihnen beispielsweise, ihren Sitz innerhalb der EU problemlos zu verlegen. Ursprünglich gedacht für große Konzerne kam die Rechtsform vor allem bei Mittelständlern gut an. Er sei zuversichtlich, dass die EU so etwas nochmal für Start-ups schaffen kann, sagt Kent.

Kompromiss- statt Ideallösung

Die zunehmende EU-Skepsis geht auch an Klinger und seinen Mitinitiatoren nicht vorbei. Ziel des Projekts EU Inc. sei daher auch keine „utopische Ideallösung“, sondern eine Kompromisslösung, die selbst EU-kritischen Mitgliedstaaten keinen Grund geben soll, dagegen zu sein. „Wir wollen den Souveränitätsgedanken der Mitgliedstaaten nicht angreifen“, betont der Investor. „Wenn in Deutschland künftig eine EU Inc. gegründet werden soll, dann wäre es trotzdem ein deutsches Unternehmen, das nach deutschem Arbeits- und Steuerrecht agiert.“

Der nun über mehrere Wochen in der VC-Szene erarbeitete Vorschlag für die EU Inc soll noch bis Ende Januar in finaler Version an die EU-Kommission übergeben werden. Die Empfehlungen enthalten unter anderem eine Besteuerung von Mitarbeiteranteilen erst zum Zeitpunkt des tatsächlichen Liquiditätszuflusses, womit die Dry-Income-Problematik ausgeräumt werden soll. An Mitarbeiter gewährte Anteilsoptionen sollen zudem in stimmrechtslose Anteile gewandelt werden können, um die Kontrolle durch die Unternehmensführung zu erhalten und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen.

Klinger ist sich sicher, dass es ohne einen solchen europäischen Weg nicht geht. Zwar gebe es auch schon auf nationaler Ebene spezielle Rechtsformen, die Start-ups das Leben vereinfachen sollen, wie beispielsweise in Österreich die FlexCo. Doch „keine nationale Lösung, auch nicht die FlexCo, wird je einen adäquaten Ersatz für eine EU Inc. darstellen“, sagt er.