Finale in Europas Postenpoker
Finale in Europas Postenpoker
EU-Kommissare
Der Kommissar geht um: Ursula von der Leyen wird am Mittwoch bekannt geben, welche EU-Kommissarinnen und EU-Kommissare sie für welches Ressort vorschlägt.
Von Detlef Fechtner, Brüssel
Für die einen ist es eine Sternstunde des EU-Parlaments, für die anderen eine zweifelhafte politische Praxis: Mitte Oktober ist in Brüssel wieder „Grillzeit“ angesagt. Dann müssen sich die von den nationalen Regierungen ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten für einen Spitzenposten in der EU-Kommission den Fragen des EU-Parlaments stellen – und diese Fragestunden sind kein harmonischer Plausch, sondern tragen oft die Züge eines erbitterten Kreuzverhörs. „Grillzeit“ eben.
Das abschließende Votum fällt keineswegs stets positiv aus. Vor zehn Jahren wurde die Slowenin Alenka Bratušek abgelehnt. Vor fünf Jahren wurden sogar gleich drei Anwärter von den EU-Parlamentariern herausgekegelt: die Rumänin Rovana Plumb, der Ungar László Trócsányi und – überraschend für alle, die glaubten, das EU-Parlament traue sich nur, Kandidaten aus kleinen Ländern abzulehnen – die Französin Sylvie Goulard.
Auch in diesem Jahr gilt es als sehr wahrscheinlich, dass das EU-Parlament Bewerber kippen wird. Aktuell werden bereits zwei Namen in Brüssel unter dem Stichwort „Wackelkandidaten“ herumgereicht: der Malteser Glenn Micallef mangels Erfahrungen in der Führung einer Behörde und der Ungar Olivér Várhelyi. Eine Ablehnung Várhelyis wäre insofern etwas Besonderes, weil er bereits als EU-Kommissar tätig ist.
Muskelspiele
Kritiker mutmaßen, dass nicht unbedingt die Eignung der Anwärter entscheidend sei. Sondern dass das EU-Parlament die Chance nutze, um seine Muskeln spielen zu lassen und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Grenzen aufzuzeigen. Und je ungehaltener die Abgeordneten über die Auswahl der – von den nationalen Regierungen angedeuteten – Kandidaten ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Exempel statuieren.
Vor diesem Hintergrund gibt es Spekulationen, das EU-Parlament könnte sich dieses Mal ganz besonders sperrig verhalten und vielleicht sogar in vier oder fünf Fällen den Daumen senken. Denn im EU-Parlament wird die Liste der Kandidaten aus 26 Mitgliedstaaten (Deutschland als 27. EU-Land nominiert logischerweise niemand, da es ja bereits die Chefin der EU-Kommission stellt) durchaus kritisch beäugt. Die Sozialdemokraten sind sauer, dass die Regierung Luxemburgs nicht EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit erneut vorgeschlagen hat, zumal er Spitzenkandidat von Sozialisten und Sozialdemokraten bei der Europawahl war, sondern den Christdemokraten Christophe Hansen. Das sei „schlechter Stil“, schimpft Europas SPD-Finanzexperte René Repasi.
Die Christdemokraten wiederum hadern mit der Entscheidung der irischen Regierung, Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness nicht erneut ins Rennen zu schicken, sondern Finanzminister Michael McGrath. Das habe „nichts mit Qualität, sondern nur mit irischer Parteipolitik zu tun“, ärgert sich der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese. Immerhin ist das Geschlechterverhältnis in der künftigen EU-Kommission nicht mehr ganz so unausgeglichen, wie es sich zunächst abzeichnete. Allerdings besteht bei nunmehr 10 Frauen gegenüber 17 Männern immer noch Luft nach oben. In anderen Worten: Nicht auszuschließen, dass männliche Kandidaten abgelehnt werden, um Platz für EU-Kommissarinnen frei zu machen.
Am Mittwoch wird von der Leyen öffentlich machen, wen sie für welches Dossier vorgesehen hat. Auch diese Ressortzuweisung könnte Vorbehalte im EU-Parlament provozieren. So wird dem Franzosen Thierry Breton, derzeit Binnenmarktkommissar, Interesse an der Zuständigkeit für Wettbewerb oder Industriepolitik nachgesagt. Diese Vorstellung dürfte nicht jedem schmecken, da Breton für sein undiplomatisches und unabgestimmtes Vorgehen berühmt – oder besser gesagt: berüchtigt – ist.
Drei Finanzminister
Hoch im Kurs für das Amt des Finanzmarktkommissars in Nachfolge der Irin Mairead McGuinness steht aktuell der Österreicher Magnus Brunner. Der Christdemokrat war jahrelang Vorstandschef eines Unternehmens und zuletzt Finanzminister seines Heimatlandes. Natürlich kommen auch andere Kandidaten für den Posten als Finanzkommissar infrage, beispielsweise die beiden anderen ehemaligen Finanzminister Wopke Hoekstra aus den Niederlanden und der Ire McGrath. Zumindest der Fianna-Fáil-Mann dürfte es allerdings insofern etwas schwieriger haben, als sein Land gerade fünf Jahre lang den Posten innehatte und mit John Berrigan noch dazu auch den Generaldirektor stellt, also die dazugehörige Verwaltungseinheit leitet. Das ist das zwar nicht verboten, aber unerwünscht.
Kontroversen provozieren dürfte auf jeden Fall die Personalie Raffaele Fitto. Der Italiener gehört der Rechts-Außen-Partei Brüder Italiens (Fratelli d’Italia) an – einer Partei, die viele Fraktionen im EU-Parlament als politische Kraft jenseits der Brandschutzmauer einstufen. Da die Partei unter Premierministerin Giorgia Meloni die Regierung in Rom stellt, können sich Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Linke im EU-Parlament zwar realistischerweise nicht pauschal einer Beteiligung eines Fratelli-Vertreters an der neuen EU-Kommission entgegenstellen. Aber: Unbestätigten Berichten auf Basis eines Artikels der Tageszeitung „Die Welt“ zufolge hat von der Leyen dem Italiener eine Position als „Exekutiver Vizepräsident“, also als hervorgehobener EU-Kommissar, angeboten. Dagegen regt sich bereits heftiger Widerstand. Auch die Tatsache, dass Fitto den Pressespekulationen zufolge mit der Zuständigkeit für „Wirtschaft und Corona-Wiederaufbauhilfen“ mandatiert werden soll, bringt manchen auf die Palme – unter anderem wegen Italiens bislang eher bescheidener Bilanz bei der Umsetzung europäischer Hilfsprogramme.
Interessant wird zudem sein, welche Vertreter kleiner EU-Staaten von der Leyen für wichtigere Dossiers vorsieht. Erneut hoch gehandelt wird der Lette Valdis Dombrovskis, fast schon ein Urgestein der EU-Kommission. Gerüchteweise soll er sich um die EU-Erweiterung und den Aufbau der Ukraine kümmern.
Doch egal, was von der Leyen präsentieren wird: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie nach den Anhörungen im EU-Parlament noch einmal nachsteuern müssen, wenn Kandidaten rausgestimmt werden oder ihre Ressortzuweisung Widerspruch erzeugt. Deshalb gilt, was in Brüssel oft gilt: „Entschieden ist erst, wenn alles entschieden ist.“