Madrid

Foulspiele und Eigentore im Parlament

Spaniens Ministerpräsident Sánchez rettete mit dem Erfolg der Arbeitsmarktreform im Parlament wahrscheinlich die Legislaturperiode. Die hauchdünne Mehrheit für die linke Minderheitsregierung kam nur durch den Fehler eines Abgeordneten der Konservativen zustande. Oppositionsführer Casado wittert einen monströsen Betrugsfall.

Foulspiele und Eigentore im Parlament

In Spanien wird häufig mit großer Leidenschaft über Fußball diskutiert. Es liegt daher nahe, dass die Fachsprache oft in andere Lebensbereiche einfließt und der Ballsport gerne auch in der Politik für Metaphern herhalten muss. So etwa bei dem Ereignis, das seit letztem Donnerstag die Schlagzeilen im Lande bestimmt: die turbulente Abstimmung im Unterhaus über die Arbeitsmarktreform. Die Minderheitsregierung aus Sozialisten der PSOE und dem Linksbündnis Unidas Podemos konnte das wohl wichtigste wirtschaftspolitische Projekt der Legislaturperiode nur retten, weil ein Abgeordneter der konservativen Volkspartei PP aus Versehen dafür statt dagegen stimmte. Der Oppositionsführer Pablo Casado schimpft seitdem täglich und auf allen Kanälen über einen vermeintlichen „Betrug“, da seinem tollpatschigen Parteifreund verweigert wurde, den Fehler zu korrigieren. Er wirft der Parlamentspräsidentin Mertixell Batet von den Sozialisten sogar „Rechtsbeugung“ vor. Dabei legte sie nach Ansichten von Juristen das geltende Regelwerk des Parlaments korrekt aus. Der Unglücksrabe, Alberto Casero, hatte auf telematischem Weg abgestimmt, da er schwer erkrankt zuhause war. Ein technischer Fehler, wie ihn die Konservativen zunächst anprangerten, wurde jedoch vom Parlament ausgeschlossen. „Wenn es einen Schiedsrichter gibt, dann wird kein Bein gestellt oder getreten. Aber der Linienrichter war auf Seiten der Regierungspartei“, wetterte Casado.

Die Sozialisten nahmen das Bild des Beinstellens gerne auf und reklamierten ihrerseits ein Foulspiel. Denn für die hauchdünne Mehrheit im Parlament waren die Stimmen der zwei Abgeordneten einer konservativen Regionalpartei aus Navarra nötig. Die hatten am Donnerstag vor der Abstimmung über die Arbeitsmarktreform öffentlich und privat ihr Ja bestätigt, am Ende aber überraschend den roten Knopf gedrückt. Die Reform wäre dadurch gescheitert, wenn nicht PP-Mann Casero versehentlich den grünen Knopf betätigt hätte. Die Sozialisten sprachen von „Taschenspielertricks“ der Opposition. „Im Fußball ist ein Eigentor auch ein Tor“, erklärte der Vizepräsident des Unterhauses, Alfonso Rodríguez Gómez de Celis von der PSOE und gab gleich einen Ratschlag aus dem Fachjargon hinzu: „Man muss danach den Ball auf den Mittelpunkt legen und einfach weiterspielen.“

Doch so einfach weiterzuspielen dürfte den Konservativen schwerfallen. Denn mit der Reform des Arbeitsmarktes hat Ministerpräsident Pedro Sánchez die wahrscheinlich höchste Hürde dieser Amtszeit übersprungen. Das Gesetzpaket war nicht nur in Einvernehmen mit dem Arbeitgeberverband und den Gewerkschaften ausgehandelt worden. Es erhielt auch Lob von Managern, wie Ana Botín, der Vorsitzenden von Spaniens größter Bank Santander, und der Europäischen Kommission.

Die Reform ist eine der zentralen Zusagen Spaniens für den Erhalt der Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds. Die 140 Mrd. Euro, die Spanien zustehen, sind eine weitere Front für Oppositionschef Casado. Seit Wochen unterstellt er der Regierung, die Gelder nach parteipolitischen Interessen, zu verteilen, wofür er aber keine belastbaren Belege liefert. Die Kritik äußert er nicht nur beim heimischen Publikum. Casado denunziert die Regierung seines Landes auch in Brüssel, wie am Montag bei einem Treffen mit der neuen Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola. Selbst Gesinnungsfreunde der Konservativen schütteln im Privaten über diese Schmähkampagne den Kopf.

Die Aggressivität des Oppositionsführers hängt mit den vorgezogenen Wahlen am kommenden Sonntag in Kastilien und León zusammen, der nach Fläche größten Region des Landes, die jedoch nur 2,5 Millionen Einwohner zählt und seit über drei Jahrzehnten eine Hochburg der Konservativen ist. In den letzten Umfragen ist die PP weit von ihrem Ziel einer absoluten Mehrheit entfernt und könnte sogar noch von den Sozialisten überholt werden. Mit Inkrafttreten der Arbeitsmarktreform haben nun etwa die Tarifverträge auf Branchenebene Vorrang vor den Abkommen auf Betriebsebene. Das bedeutet für Zehntausende Arbeitnehmer automatisch eine Gehaltserhöhung. Das alles dank der Stimme eines Abgeordneten der PP.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.