Franziska Giffey hat eine neue Baustelle
„Neue Wohnungen. Chefinnensache“, heißt es auf einem Wahlplakat der SPD zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 26. September. Die Spitzenkandidatin Franziska Giffey, die Nachfolgerin des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) werden möchte, steht mit Bauhelm zwischen Gerüsten und blickt zuversichtlich nach vorne – wie man das halt so macht auf einem Wahlplakat. Am Freitag musste sich die ehemalige Familienministerin allerdings um eine Baustelle kümmern, die die angespannte Situation auf dem Berliner Immobilienmarkt kaum lindern wird. Denn nach den jahrelangen Diskussionen über Plagiate in Giffeys Doktorarbeit, die im Juni damit endeten, dass die Freie Universität der 43-Jährigen den Doktortitel entzog, gibt es jetzt auch Kritik an ihrer Masterarbeit aus dem Jahr 2005 zum Abschluss des Studiums an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin (FHVR).
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Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin (FU), hat die Masterarbeit untersucht und auf 26 Seiten bislang 62 Stellen gefunden, an denen Giffey nicht korrekt zitiert und damit gegen wissenschaftliche Standards verstoßen habe, schreibt er in einem Zwischenbericht, aus dem am Freitag die Deutsche Presse-Agentur zitierte. Zuerst hatte das Portal T-Online darüber berichtet. Die Überprüfung sei noch nicht abgeschlossen, sagte Stefanowitsch. Bisher habe er auf etwa einem Drittel der Seiten Plagiate entdeckt. Unter anderem habe Giffey bei der Wiedergabe von Zitaten regelmäßig keine Anführungszeichen gesetzt. An 15 Stellen sei die Quellenangabe nicht korrekt gewesen. „Es gibt Seiten, da ist ein Absatz nach dem anderen einfach irgendwo rauskopiert“, wird der FU-Professor zitiert, der 2018 die Streitschrift „Eine Frage der Moral“ zum politisch korrekten Sprachgebrauch veröffentlicht hat.
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Für Giffey sind die Plagiatsvorwürfe nicht die einzige Baustelle im Wahlkampf. Denn seit sie sich bei Streitthemen wie dem Mietendeckel oder dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ von den Partnern in der rot-rot-grünen Koalition abgesetzt hat und sich stattdessen für mehr Wohnungsneubau starkmacht, hat sich vor allem der Koalitionspartner, die Linke, auf die SPD eingeschossen. „Wer wirklich eine Mietenwahl will und will, dass wir den Weg von Rot-Rot-Grün weitergehen, darf nicht SPD wählen – und schon gar nicht Frau Giffey“, rief die Landeschefin der Linken, Katina Schubert, den Delegierten auf einem kleinen Parteitag vor wenigen Tagen zu. In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa liegt die SPD gleichauf mit den Grünen bei 21%, während die Linke mit 14% innerhalb der R2G-Koalition am schwächsten abschneidet. Bei der Frage nach dem geeignetsten Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters hatte Giffey ohne offene Plagiatsbaustelle zuletzt deutlich die Nase vorn.