Zweifel an Olympia als Wirtschaftsfaktor
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Zweifel an Olympia als Wirtschaftsfaktor
Tourismusvertreter hatten große Hoffnungen, doch ausländische Gäste bleiben fern.
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Von Gesche Wüpper, Paris
Die Tribünen am Rande der Seine, das temporäre Stadium auf dem Concorde-Platz und Gitter entlang der Sperrzonen sind installiert. „Die Kulissen sind aufgebaut, alles steht bereit, alles ist fertig“, sagt Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). In Paris läuft der Countdown für die Olympischen Sommerspiele. Vor der Eröffnungszeremonie am Freitag auf der Seine zwischen dem Pont d’Austerlitz und dem Pont de l’Iéna werden Stars wie Snoop Dogg, MC Solar und Laetitia Casta die olympische Flamme durch die Straßen der nördlich gelegenen Vororte tragen. Denn dort befinden sich mehrere Austragungsorte und das olympische Dorf.
Die Olympischen Spiele dürften das Wachstum Frankreichs im dritten Quartal um 0,3% beflügeln, meint das Statistikamt Insee. Das Bruttoinlandsprodukt der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone dürfte deshalb in der Zeit von Juli bis Ende September insgesamt 0,5% zulegen. Doch längst nicht alle sind so optimistisch wie die Insee-Statistiker. So schlägt die französische Tourismusindustrie Alarm, während Bilder von menschenleeren Straßen in der französischen Hauptstadt um die Welt gehen. Hotels, Restaurants und Fluggesellschaften fürchten Umsatzeinbußen, weil Touristen während der Olympischen Spiele einen Bogen um Paris machen.
Umsatzeinbußen befürchtet
Eine Tendenz, die Marketing-Professor Jean-Philippe Danglade von der Kedge Business School nicht weiter verwundert. Denn Ähnliches sei bereits in anderen bei Touristen ohnehin beliebten Austragungsorten wie London und Athen zu beobachten gewesen, sagt er. Die griechische Hauptstadt habe vom Tourismus her sogar eines der schlechtesten Jahre verbucht, als das Sportgroßereignis dort stattgefunden habe. Berichte über hohe Preise und andere aktuelle Entwicklungen dürften jetzt einige Touristen davon abgeschreckt haben, nach Paris zu reisen. „Vielleicht hat auch das geopolitische Umfeld, die politische Situation in Frankreich und das Wetter zu einigen Stornierungen geführt“, meint Danglade.
„Trotz optimistischer Prognosen ist die Aktivität seit Juni gedämpft“, beklagen französische Hotel-, Gaststätten- und Einzelhandelsverbände in einem gemeinsamen Kommuniqué. Der Umsatz zahlreicher Mitglieder sei im Vergleich zu den Vorjahren um 30% gesunken. Die Auslastung der Restaurants und Brasserien am Trocadéro-Platz, wo auch Wettbewerbe stattfinden, sei wegen der für die Spiele verhängten Zugangsbeschränkungen sogar um 70% eingebrochen. Und die Auslastungsrate der Hotels betrug in den beiden Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele nach Angaben von Frank Delvau, dem Vorsitzenden des Hotelverbandes des Großraums Paris UMIH, gerade mal 50 bis 55%.
Während der Spiele dürfte die Auslastung der Hotels jedoch zwischen 56,3% und 75,9% liegen, erwartet das Fremdenverkehrsamt Paris. Normalerweise läge sie bei 58%, heißt es in seiner kürzlich aktualisierten Prognose. Ermengarde Jabir, der bei Moody’s den Bereich Economic Research leitet, sieht einen Grund dafür, dass Hotels nicht komplett ausgebucht sind, auch in der Strategie, auf die Paris setzt. Frankreich nutze die Spiele eher dafür, die Stadt in Szene zu setzen und Besucher langfristig anzulocken. Diese Strategie funktioniere ziemlich gut, wenn man sich die beiden Beispiele London und Tokio anschaue, meint er.
Flugreisende meiden Paris
Auch jammern jetzt längst nicht alle Akteure. „Die Auslastungsrate unserer Hotels in Paris beträgt 80%“, erklärt eine Sprecherin von Accor. „Wir sind recht zufrieden.“ Denn der Hotelkonzern, der im Großraum Paris insgesamt mehr als 410 Häuser betreibt, davon mehr als 200 direkt in der Hauptstadt, war in seinen Prognosen von 70 bis 90% ausgegangen. Nähere Details dürfte die europäische Nummer 1 der Branche nennen, wenn sie am 25. Juli wie Air France-KLM ihre Halbjahresergebnisse präsentiert.
Die Fluggesellschaft hat bereits zu Beginn des Monats gewarnt, dass die Einnahmen von Air France und der Billigtochter Transavia wegen der Olympischen Spiele unter Druck stünden. Auf den internationalen Märkten sei zu beobachten, dass Paris gemieden werde, erklärte Air France-KLM. Das dürfte die Einnahmen im Zeitraum Juni bis August mit 160 bis 180 Mill. Euro belasten.
Mehr Zugtickets verkauft
„Außer sie reisen zu den Olympischen Spielen, reisen Leute nicht nach Paris. Das tun nur sehr wenige“, sagte auch Delta-Chef Ed Bastian kürzlich dem Fernsehsender CNBC. Deshalb geht er davon aus, dass seine Airline in diesem Sommer 100 Mill. Dollar weniger verdienen wird. Die amerikanische Fluggesellschaft ist mit 2,8% an Air France-KLM beteiligt und betreibt gemeinsam mit der europäischen Gruppe ein Joint Venture für Transatlantikflüge. Zusammen kommen Air France und Delta bei den Verbindungen zwischen Frankreich und den USA auf einen Marktanteil von rund 70%, schätzt die Unternehmensberatung ICF. Beide Airlines hoffen auf einen Nachholeffekt nach den Spielen.
Dagegen hat die SNCF keinen negativen Olympia-Effekt ausgemacht. Für die Zeit der Olympischen Spiele habe man Mitte Juli bereits 20% mehr Fahrkarten zu den verschiedenen Austragungsorten in Frankreich verkauft als sonst, erklärt der französische Bahnbetreiber. Für die Olympischen und Paralympischen Spiele bietet er insgesamt 4 Millionen Fahrkarten für die TGV-, Ouigo- und Intercity-Züge von und nach Paris an.
Goldgräberstimmung unter privaten Vermietern
Dass die SNCF im Gegensatz zu Air France, Transavia und Delta nicht zu spüren bekommt, dass Reisende Paris meiden, dürfte daran liegen, dass der Großteil der Zuschauer der beiden Sportgroßveranstaltungen aus Frankreich kommt. Von den insgesamt 15,3 Millionen Besuchern, die dafür im Großraum Paris erwartet werden, dürften nach Angaben des Fremdenverkehrsamtes 13,4 Millionen aus Frankreich stammen, davon fast die Hälfte aus dem Großraum Paris. Dass die Hotels dort nicht mehr ausgebucht sind, mag auch daran liegen.
Dazu kommt die verstärkte Konkurrenz durch Airbnb. In Paris herrschte im Vorfeld eine Art Goldgräberstimmung. Viele hofften, mit der Vermietung ihrer Wohnung während der Olympischen Spiele ordentlich Kasse machen zu können. Deshalb hat sich die Zahl der für den Großraum Paris auf der Plattform inserierten Unterkünfte im Vergleich zum vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Wurden dort im Februar 2023 „nur“ 58.000 Bleiben angeboten, waren es im Mai 134.000.
Airbnb gehört zu den Gewinnern
Es habe eine Art Schneeballeffekt gegeben, weil Medien und Soziale Netzwerke von unglaublichen Preisen berichtet hätten, erklärt Emmanuel Trouillard, der für das Institut Paris Région (IPR) gerade eine Studie zu dem Thema erstellt hat. Das habe immer mehr Pariser überzeugt, ihre Wohnung ebenfalls anzubieten. Doch viele von ihnen waren zu gierig. Angesichts der Mondpreise, die zum Teil verlangt wurden, liegt die Auslastungsrate der Airbnb-Unterkünfte während der Olympischen Spiele nach Angaben des Marktforschungsunternehmens AirDNA nur bei 46%, während sie letztes Jahr im selben Zeitraum noch 59% betrug.
Es sind jedoch gerade die teureren Angebote, die keine Mieter finden. So kosten die Unterkünfte, die für die Olympischen Spiele noch zu haben sind, laut der IPR-Studie im Schnitt 362 Euro pro Nacht, die bereits vermieteten dagegen 310 Euro. Trotz der geringeren Auslastungsrate gehört Airbnb zu den Gewinnern der Sportgroßveranstaltung, da die Plattform dank des mehr als verdoppelten Angebots in Summe auch mehr Reservierungen verbucht hat.
Starke Sponsoren
„Diese Olympischen Spiele sind sehr politisiert“, meint Marketing-Professor Danglade angesichts der vielen negativen Berichte in den letzten Tagen. Dabei hätten die Organisatoren Vorbereitungen und Budget bisher recht gut im Griff. Statt viele neue Stadien zu errichten, setzt Paris größtenteils auf bestehende Einrichtungen und temporäre Sportstätten so wie auf der Place de la Concorde. Die Veranstalter versprechen, die grünsten Spiele auszurichten, die es jemals gab, mit Veranstaltungsorten, die alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind.
Auch das Niveau des Sponsorings sei sehr gut, urteilt Danglade. Die Beteiligung heimischer Konzerne sei im Vergleich zu anderen Olympischen Spielen sehr hoch. Air France und Accor gehören dazu, genau wie die SNCF und LVMH. So hat die LVMH-Marke Berluti die Gala-Uniformen der französischen Delegation entworfen, der ebenfalls zum Luxusgüterkonzern gehörige Juwelier Chaumet die Medaillen. Accor wiederum sorgt für den Haushaltsservice in den olympischen Dörfern und das Frühstück im Medienzentrum.