Geldmengenpolitik der Fed auf Expansionskurs
US-Geldmengenpolitik auf Expansionskurs
Bilanzsumme der US-Notenbank wird auf hohem Niveau verharren – Stimulierende Wirkung soll konjunkturelle Folgen höherer Zinsen ausgleichen – Fed könnte permanent 7 Bill. Dollar auf den Büchern haben
Von Peter De Thier, Washington
Die Zinswende in den USA ist nur eine Frage der Zeit. Unklar ist aber, wann die Notenbank den Bilanzabbau, der im Juni 2022 begonnen hat, einstellen wird. Sicher erscheint nur, dass die Anleihenbestände, die die Fed auf den Büchern hat, permanent auf einem außerordentlich hohen Niveau verharren werden.
Reaktion auf Corona-Pandemie
Zu Beginn der Coronakrise wollte die Fed mit einem Nullzins und Anleihenkäufen (Quantitative Easing) die Wirtschaft gegen die Folgen der Pandemie abfedern. Der Konjunktureinbruch war aber nur von kurzer Dauer, und als die Inflation später den höchsten Stand seit 40 Jahren erreichte, war es Zeit für einen Kurswechsel. Elf Zinserhöhungen wurden gepaart mit dem Verkauf von Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Papieren. Die Währungshüter begannen 2022, auf die Reinvestition von fälligen Anleihen zu verzichten, die jeden Monat 95 Mrd. Dollar aus dem Markt abzogen. Der Liquiditätsentzug hat die Bilanz mittlerweile um 1,3 Bill. Dollar schrumpfen lassen. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass eine aufgeblähte Notenbankbilanz neben Zinsschritten künftig als zweiter Anker der Geldpolitik dienen wird.
Das war nicht immer so. Schließlich konzentriert sich die geldpolitische Diskussion seit 2021 auf folgende Fragen: Wie weit würde die Notenbank den Leitzins hochschrauben, um die höchste Inflation seit den frühen achtziger Jahren in den Griff zu bekommen? Die Anschlussfrage: Wann werden die Währungshüter angesichts der nachlassenden Inflation beginnen, die Zinsschraube wieder zu lockern? Deutlich weniger Beachtung fand unterdessen der rasante Anstieg der Bilanzsumme. Unterdessen sind viele Experten überzeugt, dass eine aufgeblähte Bilanzsumme, die im April 2022 mit 9 Bill. Dollar den höchsten Stand in der Geschichte erreichte, die neue Norm darstellen wird.
Kampf gegen die Subprime-Krise
Der Begriff des „Quantitative Easing“ stammt von der Bank of Japan. Mit massiven Anleihenkäufen wollten die Währungshüter in Tokio nach Beginn des neuen Millenniums der Deflation entgegenwirken. Als dann die Subprime-Krise die USA in die tiefste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise stürzte und die Notenbank den Leitzins auf null heruntergeschraubt hatte, folgte die Fed dem japanischen Beispiel. Unter der Ägide ihres damaligen Chefs Ben Bernanke begannen die Währungshüter 2008, Staatsanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere en Masse zu erwerben, um die Märkte mit frischer Liquidität zu versorgen.
Da die wirtschaftliche Erholung enttäuschte, folgten zwei weitere Runden von Anleihenkäufen, auch als QE2 und QE3 bekannt. Als dann 2020 die Corona-Pandemie über 22 Millionen Jobs vernichtete, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um annualisierte 5% einbrach und die Fed den Leitzins bereits auf null heruntergesetzt hatte, legte Notenbankchef Jerome Powell das größte Anleihenkaufprogramm in der Geschichte auf (QE4). Binnen zwei Jahren hatte die Fed 8,96 Bill. Dollar auf den Büchern, also das Zehnfache der Bilanzsumme während der Immobilienkrise 14 Jahre zuvor.
Beginn des „Quantitative Tightening“
Als die Inflation 2021 unerbittlich zulegte, erkannte auch Powell, der lange Zeit die steigende Inflation „vorübergehend“ nannte, den Handlungsbedarf. Auf die Reduktion der Käufe (Tapering) folgten elf Zinserhöhungen, die im März 2022 begannen, und im Juni gab die Fed den Startschuss für die Bilanzbereinigung, also das „Quantitative Tightening“. Mit der Liquidität, die damit abgezogen wurde, ist das Anleihenportfolio von fast 9 Bill. Dollar im Januar auf 7,7 Bill. Dollar gesunken. Gleichwohl rechnen Analysten mit einem baldigen Ende der quantitativen Straffungen und prognostizieren, dass die Bilanzsumme sich auf einem noch nie dagewesenen Niveau einpendeln könnte.
Strukturelle Veränderungen
Ein wichtiger Grund ist in strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft zu sehen, die als Folge der Corona-Pandemie eingetreten sind. So haben staatliche Hilfsprogramme und andere Ausgabenpakete die öffentliche Verschuldung steigen lassen. Zudem ist in vielen Industrien ein Trend erkennbar, die Fertigung vom Ausland ins Inland zu verlagern, um die Folgen globaler Lieferkettenstörungen abzufedern. Gepaart mit resilienter Verbrauchernachfrage können diese Faktoren dazu geführt haben, dass der neutrale Zins heute deutlich über dem Vorkrisenniveau liegt.
Dauerhaft aufgeblähte Bilanz
Folglich könnte es sogar notwendig sein, die restriktive Wirkung höherer Zinsen durch den Fortbestand einer überproportional großen Bilanzsumme auszugleichen. David Zervos, Chief Market Strategist bei dem Investmentunternehmen Jefferies, erwartet daher, dass die Verkäufe eingestellt werden, ehe die Bilanz auf 7 Bill. Dollar geschrumpft ist. „Das bliebe eine enorm hohe Bilanzsumme“, stellt Zervos fest. Die zusätzliche Liquidität würde über ein höheres nominales Bruttoinlandsprodukt (BIP) und eine Belebung sowohl der Konsumnachfrage als auch der Investitionstätigkeit „die Wirtschaft kräftig beleben“.
Möglich ist eine expansive Bilanzsumme aber nicht nur wegen der strukturellen Veränderungen und des höheren neutralen Zinses. Ebenso wichtig ist die modifizierte Geldpolitik, die von der Fed seit der Finanzkrise verfolgt wird. Bis 2008 steuerte die Notenbank den Leitzins über die Geldmenge. Seit der Krise werden die bei der Fed gehaltenen Reserven der Geschäftsbanken aber verzinst. Folglich ist deren Beliebtheit bei den Geldhäusern gestiegen, die bereit sind, hohe Reservebestände zu halten, während der Leitzins nicht mehr über die Reserven selbst, sondern durch Beschlüsse des FOMC festgelegt wird.
„Der Beginn der Verzinsung war die Wende“, sagt William Dudley, der Ex-Präsident der New York Fed. „Denn es gibt nun keine Zielkonflikte mehr zwischen der Bilanzsumme und der Höhe des Leitzinses.“ Signale dafür, dass die Reduktion des Notenbank-Portfolios von derzeit etwa 7,7 Bill. Dollar sich bald dem Ende zuneigen könnte, kommen auch von amtierenden Fed-Gouverneuren, die sich offenbar schon darauf verständigt haben, dass die Bilanz dauerhaft einen Wert von über 7 Bill. Dollar ausweisen könnte.