Gemeinsam einsam bei den Olympischen Spielen
Am Donnerstag und Freitag dieser Woche haben die Japaner wegen der Olympischen Sommerspiele frei. Dafür wurden extra zwei bestehende Feiertage im Kalender verschoben. Auf diese Weise wollte die Stadtregierung von Tokio ursprünglich die Zahl der Berufspendler stark verringern, um mehr Platz in Bussen und Bahnen für Olympia-Zuschauer zu schaffen. Nun finden die Spiele erstmals in der Geschichte unter Ausschluss von Publikum statt. Doch die zwei freien Tage bleiben, obwohl die Eröffnungsfeier erst am Freitagabend Ortszeit beginnt.
Dennoch wollen sich viele Japaner mit dem Mega-Event in ihrer Hauptstadt nicht anfreunden. Die einen ärgern sich darüber, dass Japan sich wegen der Pandemie nicht so fröhlich, modern und weltoffen präsentieren kann, wie es sich die Regierung und die Stadt Tokio bei der Bewerbung um die Austragung vorgestellt hatten. Mit dem Einsatz modernster Technologien wie autonom fahrenden Wasserstoffbussen und Begleitrobotern in den Flughäfen wollte Japan beweisen, dass es immer noch zu den führenden Wirtschaftsnationen gehört. Vorbild für dieses Konzept waren die Spiele von 1964 – damals stieg Japan wie ein Phönix aus der (Weltkriegs-)Asche und brachte die Welt mit dem ersten Superschnellzug zum Staunen.
Die anderen hadern damit, dass Olympia ungeachtet des staatlichen Notstandes überhaupt stattfinden darf. Die Zahl der Infektionen mit Covid-19 steigt seit Wochen dank der Delta-Virusvariante stetig an. Daher müssen die Bars und Restaurants in der Region Tokio mit knapp 40 Millionen Einwohnern bis in den August hinein um 20 Uhr schließen und dürfen keinen Alkohol ausschenken. Gleichzeitig erlaubt Japan die Einreise von mindestens 100000 Sportlern, Betreuern, Funktionären und Medienleuten aus aller Welt. Auf Twitter hagelt es bis heute scharfe Kritik an IOC-Präsident Thomas Bach. Zudem klettern die Austragungskosten immer weiter in die Höhe, zuletzt durch den Wegfall der Einnahmen für Eintrittskarten von 700 Mill. Euro. Kein Wunder, dass Kaiser Naruhito bei der offiziellen Eröffnungsformel für die Spiele ausdrücklich auf das Wort „feiern“ verzichten soll.
Der Widerspruch zwischen Notstand und Massensportveranstaltung zwang die Veranstalter zu rigiden Abwehr- und Vorsorgemaßnahmen gegen das Coronavirus. Die meisten Anreisenden sind geimpft und werden ständig getestet. Das Tragen von Masken ist Pflicht. Bei den Siegerehrungen werden den Sportlern die Medaillen sogar auf dem Tablett gereicht und nicht um den Hals gehängt, damit sich niemand zu nahe kommt. Diese strenge Vorgehensweise dürfte ausreichen, um die Zahl der Infektionen im Olympia-Tross auf eine erträgliche Menge zu reduzieren. Bisher blieb die Gesamtzahl der Ansteckungen jedenfalls zweistellig.
Trotzdem musste die Regierung befürchten, noch mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren – und dies wenige Monate vor einer Parlamentswahl. Aus diesen politischen Überlegungen heraus entschied sie sich für das Konzept, dass Olympia in einer „Blase“ geschieht, Bevölkerung und Spiele also so weit wie möglich voneinander getrennt bleiben. Daraus ergab sich der Zwang für die Veranstalter, auf Zuschauer zu verzichten, obwohl es virentechnisch wahrscheinlich nicht nötig wäre. Umgekehrt sehen die Olympia-Teilnehmer nichts von Land und Leuten, ihr Aufenthalt in Japan bleibt auf Unterkunft und Wettkampfstätte beschränkt. Das soeben neu formulierte Spiele-Motto „Schneller, höher, stärker – gemeinsam“ hätte eigentlich zu „Gemeinsam einsam“ erweitert werden müssen.
Aber als Folge dieses politischen Zuschauerverbotes können die Veranstalter wenigstens ihr technologisches Know-how unter Beweis stellen. Denn die Athleten sollen sich im Stadion nicht allein fühlen. Also lässt ein besonderes Soundsystem den aufgezeichneten Fan-Lärm von früheren Wettbewerben erklingen. Anhänger von Sportlern und Teams können aus der Ferne „virtuell klatschen“ und Selfie-Videos schicken. Der „Applaus“ und die Filmchen werden in den Stadien gezeigt. Und am Ende, so hoffen die Organisatoren, werden viele Goldmedaillen für Japan schließlich auch die Japaner mit Olympia versöhnen.