LeitartikelDigitalwirtschaft

Grenzen der Freiheit

Die Frage, in welchem Ausmaß die Digitalwirtschaft durch Regulierung eingehegt werden soll, artet zwischen USA und EU zum Kulturkampf aus. Maßstab muss letztlich das Schadenpotenzial sein

Grenzen der Freiheit

Digitalwirtschaft

Grenzen der Freiheit

Von Heidi Rohde

Die Frage, in welchem Ausmaß die Digitalwirtschaft durch Regulierung eingehegt werden soll, artet zwischen USA und EU zum Kulturkampf aus. Maßstab muss letztlich das Schadenpotenzial sein.

Dass Elon Musk im Wortgefecht mit EU-Kommissar Thierry Breton auf X vor kurzem mal wieder einen Eklat provoziert hat, wäre eigentlich keiner besonderen Erwähnung wert. Schließlich sind wortgewaltige Pöbeleien des notorischen Nonkonformisten praktisch an der Tagesordnung. Gewicht gewinnt der Zusammenstoß allerdings aus zwei Gründen: Zum einen hat die Anhängerschaft von Musk in einem der weltweit wichtigsten Sozialen Netzwerke vor einiger Zeit die Zahl der „Follower“ des bisherigen Spitzenreiters Barack Obama überholt. Der ehemalige US-Präsident hat rund 130 Millionen Anhänger, Musk nun mehr als 150 Millionen. Die schiere Reichweite seiner Posts geht automatisch mit einem entsprechenden Einfluss und gegebenenfalls Schadenpotenzial einher.

Auf Kriegsfuß

Hinzu kommt, dass Musk nicht nur wie kaum ein anderer geradezu darauf pocht, dass die Freiheit des Wortes praktisch grenzenlos sein sollte. Sondern auch darüber hinaus zu denen gehört, die mit der Regulierung der Digitalwirtschaft generell auf Kriegsfuß stehen. Mit seiner Regulierungsabscheu steht der schillernde Unternehmer keineswegs allein, sondern befindet sich im buchstäblichen Sinne in bester Gesellschaft mit der Big-Tech-Szene, die angesichts ihrer überragenden Bedeutung für die US-Wirtschaft dabei auch das Ohr der Regierung hat. So ist es gerade den Technologieriesen lange Zeit gelungen, die Digitalgesetzgebung der EU als Ausdruck einer wachstums- und innovationsfeindlichen Regulierungswut darzustellen, deren Einfluss die US-Unternehmen möglichst entzogen werden sollten. Als Beispiele gelten die Datenschutzgrundverordnung sowie die beiden umfassenden Regelwerke Digital Markets Act (DMA) und Digital Services Act (DSA) und dann auch der AI Act. Daraus wurde zuletzt sogar eine Art Kulturkampf inszeniert zwischen dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ und dem vermeintlich fortschrittsfeindlichen „alten Kontinent“.

In der Defensive

Die Debatte bewegt sich auf einem schwierigen Terrain, in dem die EU sich in jüngster Zeit auch verstärkt in die Defensive gedrängt sieht. Denn Kritiker der Regulierung hierzulande weisen darauf hin, dass die neueste Revolution im Internet durch künstliche Intelligenz (KI) wieder von den USA ausgeht. Schlüsselelemente wie Hochleistungshalbleiter und KI-gestützte Large-Language-Modelle würden dort entwickelt, während Europa sich als Erstes um einen Rechtsrahmen bemühe statt um Innovationsfreundlichkeit. Infolgedessen zementiere der AI Act eine technologische Abhängigkeit.

Dies ist Wasser auf die Mühlen von Gegnern einer vermeintlich ausufernden Regulierung. Allerdings droht aus dem Blick zu geraten, welche schädlichen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft die lange Nichtregulierung beziehungsweise geradezu Blindheit der US-Behörden mit Blick auf „Innovation“, Geschäftspraktiken und Machtfülle von Big Tech gezeitigt hat. Egal ob es darum ging, junge Unternehmen mit Disruptionspotenzial für – zunächst unverständliche – Milliardensummen zu schlucken oder zur „Kooperation“ zu bewegen, oder um Machtmissbrauch gegenüber den Beteiligten auf führenden Plattformen wie App Store oder Play Store, unlautere Praktiken im Suchmaschinenmarkt oder wettbewerbswidrige Bündelgeschäfte (die eine Spezialität von Microsoft sind) – praktisch überall wurden die US-Behörden reichlich spät aus einem unerklärlichen Tiefschlaf gerissen. Nicht selten war die EU ihnen voraus.

Kehrtwende der US-Behörden

Jedenfalls kommt die Kehrtwende, die sich an der wachsenden Zahl von Kartell- und Gerichtsverfahren sowie Auflagen von US-Behörden im Gefecht mit Big Tech ablesen lässt, dem Eingeständnis gleich, dass eine fehlende vorausschauende Regulierung auch erhebliche Schattenseiten hat. Das gilt ganz besonders mit Blick auf die Manipulationsmacht Sozialer Netzwerke. Der Digital Services Act verbietet unter anderem die Verbreitung von Unwahrheiten, Hassbotschaften und Hetze. Nach den Ereignissen bei der letzten US-Wahlen sollte Washington am besten wissen, wie wichtig es ist, der Freiheit auch im Internet Grenzen zu setzen – und nicht davor zurückscheuen, auch Elon Musk einen Maulkorb zu verpassen.

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