Gute Governance bleibt für Volkswagen ein Fremdwort
Wieder ein vor sich hin stümpernder Aufsichtsrat, wieder ein CEO-Rauswurf, wieder ein goldener Handschlag mit zweistelligen Millionenzahlungen, wieder eine unsaubere Nachfolgeregelung und wieder alles zu Lasten der freien Aktionäre. Aber Hand aufs Herz, hätten wir etwas Anderes erwartet aus Wolfsburg? Leider nein. Denn vom größten Autokonzern Europas mit der schlechtesten Corporate Governance unter Deutschlands Dax-Unternehmen kennt man es nicht anders. Und der aktuelle Fall des CEO-Wechsels von Herbert Diess zu Oliver Blume per 1. September 2022 beweist, dass Volkswagen aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt hat.
CEO-Wechsel holterdiepolter
Gegen die Regeln guter Unternehmensführung zu verstoßen, wie sie im Deutschen Corporate Governance Kodex niedergelegt sind oder als Best Practice unter börsennotierten Gesellschaften gelten, mag als Kavaliersdelikt gesehen werden vor dem Hintergrund der Betrügereien im Dieselskandal und der Beugung des Rechts im Zuge der Aufarbeitung durch VW. Das Ärgerliche freilich ist, dass ausgerechnet ein industrielles Aushängeschild Deutschlands, bei dem der Staat Großaktionär ist und bei dem Betriebsrat und IG Metall via Aufsichtsrat faktisch das Co-Management stellen, ein so schlechtes Licht auf den Zustand der Corporate Governance wirft und insofern viele antikapitalistische Klischees zu bestätigen scheint.
Es gehört zu den zentralen Aufgaben eines Aufsichtsrats, den Vorstand mit geeigneten Persönlichkeiten zu besetzen und für eine langfristige Nachfolgeplanung zu sorgen. Doch weder der künftige VW-Konzernchef Oliver Blume noch seine Vorgänger Herbert Diess, Matthias Müller und Martin Winterkorn wurden im Zuge einer geordneten Nachfolgeplanung auf den Chefsessel gehoben, sondern überraschend „ad hoc“ berufen beziehungsweise ihre jeweiligen Vorgänger wurden trotz laufender oder gerade erst verlängerter Verträge im gegenseitigen Einvernehmen in die Wüste geschickt.
Kern dieses Einvernehmens sind goldene Handschläge in jeweils zweistelliger Millionenhöhe. Stillhalte- und Schweigeprämien für entsorgte Führungskräfte haben in Wolfsburg eine lange und teure Tradition. Meist werden sie mit Beraterverträgen garniert, wie jetzt auch im Fall von Herbert Diess, dessen „Dienstvertrag auch nach dem vorzeitigen Ende der Bestellung bis zum Ablauf seiner regulären Laufzeit, d.h. bis zum Ablauf des 24. Oktober 2025“ weiterläuft, wie es in der Abweichungserklärung von VW zu den Empfehlungen des Corporate Governance Kodex heißt. Damit wird die Kodex-Empfehlung eines Abfindungs-Caps von zwei Jahresvergütungen unterlaufen. Und Diess darf sich über die Zahlung von bis zu 30 Mill. Euro fürs Nichtstun – pardon für Beratertätigkeit – freuen und darüber nachdenken, warum es in Deutschland für Manager besser ist, sich an den Tugenden des ehrbaren Kaufmanns zu orientieren als an den Umgangsformen eines Elon Musk.
Dass Diess’ Abschiedsmillionen kein Novum bei VW sind, macht die Sache nicht besser. Matthias Müller, der 2016 von Porsche auf den VW-Chefsessel kam und wieder 2018 abgelöst wurde, erhielt aus dem bis 2020 weiterlaufenden Vertrag noch rund 20 Mill. Euro. Und selbst Martin Winterkorn, der wegen des vor allem von ihm zu verantwortenden Dieselskandals abtreten musste, blieb bis zum Vertragsende Ende 2016 mit vollen Bezügen auf der Payroll und darf sich über 28 Mill. Euro Pensionsansprüche freuen. Winterkorns Vorgänger Bernd Pischetsrieder, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, außer dass er bei seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch in Ungnade gefallen war, blieb noch von 2006 bis 2012 als Berater unter Vertrag und kassierte dafür rund 50 Mill. Euro.
Familienaktionäre zocken ab
Die Kür eines neuen Vorstandschefs – bei anderen Konzernen ein „strukturierter Prozess“ – ist bei VW von Launen und Nöten geprägt. Auch jetzt wieder. Zwar galt Oliver Blume schon länger als möglicher Diess-Nachfolger, doch seine Bewährungsprobe sollte ein erfolgreicher Börsengang von Porsche sein, geplant fürs vierte Quartal 2022. Nun muss Blume in die Doppelrolle als Porsche-Chef und VW-Konzern-CEO schlüpfen, bei der nach dem Porsche-IPO Interessenkonflikte programmiert sind. Selbstredend, dass die Familien Porsche und Piëch dies nicht so sehen, weil nach deren Verständnis Blume in beiden Rollen nur ihren Interessen als Mehrheitsaktionär zu dienen hat.
Wie geradezu unverschämt der familiäre Mehrheitsaktionär sein Interesse in dem Konzern zu Lasten des Streubesitzes durchsetzt, zeigen die Konditionen des geplanten Börsengangs, die Kenner des Konzerns von einer „Putin-artigen Heimholung Porsches ins Reich der Familie“ sprechen lassen. Denn vom hälftig in Stamm- und Vorzugsaktien unterteilten Grundkapital der VW-Tochter Porsche sollen bis zu 25% der stimmrechtslosen Vorzüge beim IPO platziert werden, dagegen 25% plus eine Aktie und somit eine Sperrminorität der nichtbörsennotierten Stämme an die Porsche Automobil Holding SE gehen, die dafür nur einen Aufpreis von 7,5% gegenüber den Vorzügen bezahlen muss. Zum Vergleich: Die Kursprämie der VW-Stämme gegenüber den VW-Vorzügen liegt bei rund 35 bis 40%. Aber die Unwucht zu Lasten der Vorzugsaktionäre ist bei VW ja nichts Neues: Die stimmrechtslosen VW-Vorzugsaktien bieten satzungsgemäß nur einen minimalistischen Dividendenvorzug von 6 Cent beziehungsweise derzeit 0,8% gegenüber den Stammaktien.
Blume darf sich nicht nur auf viel – manche meinen zu viel – Arbeit in der Doppelfunktion freuen, sondern auch auf einen IPO-Bonus in Form virtueller Aktien in drei Tranchen. Schon zwei Tage vor der Ad-hoc-Mitteilung zum CEO-Wechsel konnte man die Nachtigall trapsen hören, denn da teilte VW mit, dass der „IPO-Bonus vorsorglich als Teil der Vorstandsvergütung für Herrn Dr. Blume bei der Volkswagen AG“ behandelt werde. Diese Abweichungserklärung vom Corporate Governance Kodex wird nicht die letzte von Volkswagen gewesen sein.
c.doering@boersen-zeitung.de