LEITARTIKEL

Handelskrieg um Stahl

Diese Behauptung ist zum politischen Dauerbrenner geworden: Importe von billigem Stahl aus China bedrohen Hunderttausende Arbeitsplätze in Europas Stahlindustrie und benachbarten Branchen. Da überrascht es nicht, dass die EU Regeländerungen plant,...

Handelskrieg um Stahl

Diese Behauptung ist zum politischen Dauerbrenner geworden: Importe von billigem Stahl aus China bedrohen Hunderttausende Arbeitsplätze in Europas Stahlindustrie und benachbarten Branchen. Da überrascht es nicht, dass die EU Regeländerungen plant, die es einfacher machen, staatlich subventionierte oder unter den Herstellungskosten angebotene Stahlprodukte mit höheren als den bisherigen Strafzöllen vom europäischen Markt fernzuhalten. Es besteht kein Zweifel, dass die aus subventionierter Überkapazität stammende chinesische Stahlproduktion rund um die Welt die Stahlpreise drückt. Zölle locken als einfache und wirksame Antwort. Doch sie treffen am Ende die entwickelten Industrieländer selbst. Handelsbarrieren zugunsten der Stahlindustrie schaden anderen Branchen und stellen die internationale Arbeitsteilung infrage.Unter die neuesten Antidumpingzölle von bis zu 81 % fallen etwa Stahlrohre, die in Kraftwerken, auf dem Bau sowie in der Öl- und Gasindustrie verwendet werden. Diese Branchen, die ebenfalls Hunderttausende beschäftigen, müssen jetzt fast doppelt so viel wie bisher für China-Stahl zahlen. Strafzölle können umgangen werden, und sie werden umgangen. Die USA haben bis zu 266 % Zoll auf chinesischen Stahl erhoben. Doch die Chinesen haben längst einen Weg gefunden, die Hürde zu umgehen. Sie liefern den Stahl nach Vietnam – von dort kommt er zollfrei auf den US-Markt. In Europa geschieht Ähnliches auf dem Umweg über Serbien. Zudem hat China auf das Überangebot auf dem Stahlmarkt bereits reagiert. Das Land hat nicht nur angekündigt, seine Produktion bis 2020 um bis zu 150 Mill. Tonnen zu reduzieren – was der Hälfte der Überkapazität entspräche -, sondern auch geliefert: In diesem Jahr sind 45 Mill. Tonnen weggefallen.Mit dem Kurswechsel bei Antidumpingzöllen weicht die EU nur der Frage aus, ob China der Status einer Marktwirtschaft zugestanden werden sollte. Bisher können solche Zölle aufgrund des fehlenden Marktwirtschaftsstaus recht einfach festgelegt werden: Die EU beruft sich auf die Produktionskosten in einem dritten, gleichartigen Land, wenn berechnet wird, wie hoch die Strafzahlungen ausfallen sollen – und muss nicht die häufig künstlich niedrigen nationalen Marktpreise als Maßstab heranziehen. China hat allerdings die meisten Fachleute für Handelsrecht auf seiner Seite, wenn das Land für sich reklamiert, es werde im Dezember nach 15 Jahren Zugehörigkeit zur Welthandelsorganisation (WTO) gemäß vorher vereinbarten Regeln automatisch den Status einer Marktwirtschaft erwerben. Da die EU diesen Status nicht verweigern will, wählt sie einen anderen Weg: Künftig soll nicht mehr entscheidend sein, ob ein Land als Marktwirtschaft gilt, sondern ob Preise und Herstellungskosten durch staatliche Eingriffe verzerrt sind. Das Ergebnis wäre die Verhängung von Strafzöllen, die wie in den USA weit über 100 % betragen. In der Folge würden die Stahlpreise in Europa spürbar steigen.Das Risiko, dass die deutsche Bauindustrie oder die Autoindustrie abwandern, weil sie ihren Stahl nicht mehr nebenan in Duisburg bekommen, ist geringer als die Gefahr, dass Unternehmen einen Teil ihrer Werke nach China verlagern, weil sie den benötigten Stahl dort billiger einkaufen können. Der Strukturwandel mag schmerzhaft sein, auch weil die Stahlindustrie sich auf bestimmte Regionen konzentriert. Aber die Zukunft Europas liegt in den Stahl verarbeitenden Unternehmen und nicht in den Unternehmen, die den Stahl herstellen – auch wenn Werksschließungen für deutsche Standorte wie die Ruhrgebietsstadt Bochum ein harter Schlag wären. Europa muss zuerst seine eigenen Überkapazitäten abbauen: Falls Thyssenkrupp und der indische Konkurrent Tata ihre Stahlsparten zusammenlegen, könnte das veraltete Stahlwerk in der südwalisischen Hafenstadt Port Talbot das erste Opfer des Strukturwandels werden.In Regionen Großbritanniens und der USA, die dem Ruhrgebiet vergleichbar sind, hat die Verbitterung über die Abwanderung von Basisindustrien zum unerwarteten Brexit und zur überraschenden Wahl von Donald Trump ins Präsidentenamt zumindest beigetragen. Wohl auch deshalb sind die Kräfte in der EU, die eine Protektion der Stahlindustrie befürworten, zuletzt stärker geworden – durch Unterstützung der Bundesregierung und durch das Ausscheiden Großbritanniens, das traditionell ein Gegner von Strafzöllen war. Höhere Strafzölle bringen kurzfristig politische Entlastung. Sie werden den Strukturwandel aber nur verzögern, nicht aufhalten.——–Von Christoph RuhkampMit Strafzöllen wird Europas Stahlindustrie vor der Billigkonkurrenz aus China geschützt. Das wird der hiesigen Wirtschaft mehr schaden als nützen.——-