Hohe Belastung treibt Investmentbanker in den Abgrund
Deals bis zum Umfallen
Junge Investmentbanker ächzen unter enormer Arbeitsbelastung. Viele Dealmaking-Aspiranten greifen zu Drogen, um 100-Stunden-Wochen bewältigen zu können. Nun erschüttern Todesfälle die Maschinerie Wall Street.
Von Carolin Kassella, Frankfurt und Alex Wehnert, New York
Es ist die dunkle Seite des Investment Bankings, die ein breites Publikum vor allem mit dem Glamour der 90er und frühen 2000er Jahre in Verbindung bringt. Die an der Wall Street mit „Bottles and Models“, also alkohol- und drogeninduzierte Exzesse der ohnehin fast rund um die Uhr arbeitenden Banker, betitelte Kultur ist auch heute noch berüchtigt. Gleichzeitig klagen junge Banker über enorme Arbeitsbelastung und Druck von Führungskräften, die sich nicht um das Wohlergehen von Nachwuchsbankern scherten.
Deutscher Praktikant stirbt in London
Die Diskussion um die Arbeitsbedingungen auf beiden Seiten des Atlantiks gewann durch den Tod des damals 21-jährigen Deutschen Moritz Ehrhardt im Sommer 2013 an Fahrt. Ehrhardt arbeitete zu dieser Zeit als Praktikant bei Bank of America in London. Er starb laut Medienberichten zu Hause durch einen epileptischen Anfall, doch stellten Kritiker der in der Branche verbreiteten Arbeitsbedingungen schnell eine Verbindung zu Überarbeitung durch mehrere „Allnighter“ her.

Seither habe sich an den Praktiken wenig geändert, berichten New Yorker Investmentbanker der Börsen-Zeitung. In einer 2021 öffentlich gewordenen internen Präsentation beklagten Analysten von Goldman Sachs unmenschliche Bedingungen mit über 100 Arbeitsstunden wöchentlich und Erreichbarkeit rund um die Uhr sowie toxisches Verhalten von Führungskräften. Als Konsequenz verkündete Goldman, Schutzmechanismen zu überarbeiten und arbeitsfreie Samstage wieder einzuführen.
Tumult um Büro-Rückkehr
Doch spätestens 2024, als Wall-Street-Banken ihre ins Homeoffice abgewanderten Mitarbeiter mit größerem Nachdruck zurück in die Büros beorderten, bricht sich in den Belegschaften ein Sturm der Entrüstung über die Arbeitsbedingungen Bahn. Gerade bei J.P. Morgan hagelte es zuletzt im Intranet Beschwerden, auf die Vorstandschef Jamie Dimon in Meetings äußerst gereizt reagierte, wie aus an die Öffentlichkeit gelangten Tonaufnahmen hervorgeht.
Wem es nicht gefalle, an fünf Tagen die Woche ins Büro zu kommen, der könne gehen. „Ich habe seit Covid jede verdammte Woche an sieben Tagen gearbeitet“, schimpfte der CEO. „Ich komme rein und wo sind alle anderen?“ Viele Mitarbeiter seien „auf dem beschissenen Zoom“ zwar eingewählt, in Wahrheit aber abwesend.
Dimon will durch Anwesenheitszwang die Effizienz seiner Organisation erhöhen. Klar ist: Die Wall Street erhöht den Druck auf ihre Mitarbeiter. Goldman Sachs hat zuletzt beispielsweise zu einer Entlassungsrunde unter Vice Presidents angesetzt, von denen die Bank laut dem Vorstandschef in den vergangenen Jahren einfach zu viele eingestellt habe. Dies soll die Kosten drücken, zugleich dürften die Belastungen für die Arbeitstiere auf niedrigeren Einkommensstufen in einem zunehmend schwierigen Deal-Umfeld laut Analysten noch wachsen.
Todesfälle häufen sich
Zuletzt häuften sich sogar Schreckensnachrichten zu neuen Todesfällen unter Mitarbeitern. So erschütterte der Fall einer 22-jährigen Praktikantin von Lazard im Juni 2022 die Wall Street. Laut der „New York Post“ war sie auf dem Heimweg von einem Baseball-Spiel mit anderen Praktikanten und verlor in der Grand Central Station das Bewusstsein, sodass sie vor eine einfahrende U-Bahn stürzte.

Im Frühjahr 2024 gab es bei Bank of America zwei Todesfälle innerhalb von zwei Wochen. Der 35-jährige Associate Leo Lukenas III starb Anfang Mai an einem Blutgerinnsel, hatte jedoch laut Kollegen mehrere 100-Stunden-Wochen hinter sich. Als Reaktion führte die Bank ein Zeiterfassungs-Tool sowie eine neue Regelung ein, gemäß der Banker angeblich das Recht auf ein freies Wochenende alle drei Monate haben und generell von Freitag, 18:00 Uhr, bis Samstagmittag nicht ins Büro bestellt werden dürften. Etwa zwei Wochen später starb ein bei dem Finanzinstitut angestellter Trader.
Adderall vom Schreibtisch geschnupft
Auch in diesem Jahr gab es bereits einen Todesfall. Ende Januar berichten US-Medien, dass der 28-jährige Carter McIntosh, Associate bei Jefferies in Dallas, wohl an einer nicht beabsichtigten Medikamentenüberdosis starb. In einem Bericht der „Daily Mail“ ist von Adderall die Rede, das er wegen seines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms verschrieben bekommen habe. Adderall gilt in der Szene generell als beliebtes Aufputschmittel. Ohne dieses, berichten Junior-Analysten, könnten sie gar nicht funktionieren. Ein Ex-Mitarbeiter von Wells Fargo in San Francisco berichtet im „Wall Street Journal“ von einem Kollegen, der Adderall ganz offen von seinem Schreibtisch im Großraumbüro schnupfte.
Jefferies und Bank of America wollen sich auf Anfrage nicht zu den Todesfällen in Dallas und New York oder dem Umgang mit möglichem Drogenkonsum ihrer Mitarbeiter äußern – ebenso wenig J.P. Morgan, die am Freitag die Berichtssaison zum ersten Quartal eröffnete, oder Goldman Sachs. Morgan Stanley ließ eine Anfrage zu den Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter unbeantwortet.
Qual in Kauf genommen
Sie nähmen es in Kauf, sich in den ersten Berufsjahren zu quälen, um sich finanzielle Freiheit zu erarbeiten, sagen Dealmaking-Aspiranten im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Einige Associates machen indes ihrer Frustration darüber Luft, den Großteil ihrer Zeit im Büro mit stupider Fleißarbeit zu verbringen. „Es ist schön, andere Leute zu sehen, denen ihre Arbeit Spaß macht, aber unser Job ist einfach nicht erfüllend“, sagt ein Mitarbeiter von Bank of America, der in seiner Freizeit leidenschaftlich über Geldpolitik und Märkte diskutiert. Wenn der Chef anruft und eine Investorenpräsentation überarbeitet haben will, so berichten viele junge Mitarbeiter, dann müssen sie ins Büro kommen – auch mitten in der Nacht, wenn sie gerade erst nach einem langen Arbeitstag ins Taxi nach Hause gestiegen sind.
Es ist schön, andere Leute zu sehen, denen ihre Arbeit Spaß macht, aber unser Job ist einfach nicht erfüllend.
Der Mythos Wall Street lockt
Viele Aspiranten spielen das Spiel mit, weil sie sich als künftige „Masters of the Universe“ sehen. Neben dem Mythos Wall Street spielt das Geld die entscheidende Rolle. In New York haben sich die Vergütungen inflationär entwickelt: Goldman Sachs hob die Basisgehälter für Einsteiger 2021 um mehr als 30% auf 110.000 Dollar an, bei einigen Häusern sind heute gar 125.000 Dollar drin. Inklusive Boni können selbst Analysten im ersten Jahr laut dem Finanzblog „Mergers & Inquisitions“ bis zu 210.000 Dollar verdienen. In zwei bis drei Jahren ist der Aufstieg zum Associate mit Spitzenvergütungen im mittleren sechsstelligen Bereich möglich.
Auch in Deutschland locken Banken mit hohen Einstiegsgehältern. „Bei den meisten Top-Adressen in Frankfurt winkt ein fixes Einstiegsgehalt von 80.000 bis 85.000 Euro“, sagt David Döbele, Gründer und CEO von Pumpkincareers, einer Karriereberatung für Studenten. „Da kommt dann nochmals eine Bonus-Komponente drauf. Bei den Top-Banken sind das meistens rund 20 bis 25%, sodass man im ersten Jahr bei ca. 100.000 Euro oder etwas mehr landet“, erläutert Döbele.
Hoher Preis für hohe Gehälter
Bei direkten Wettbewerbern, Elite-Boutiquen wie Lazard oder Evercore, könne die Bonus-Komponente anfangs auch höher ausfallen. Dort könnten Einsteiger inklusive Bonus 120.000 bis 150.000 Euro im ersten Jahr verdienen. Als Associate mit drei Jahren Berufserfahrung könne man in Frankfurt bei den größten Häusern mit 170.000 bis 220.000 Euro einschließlich Bonus rechnen. Als Vice President sind dann in guten Jahren gern mal 350.000 Euro drin. Der Preis, den junge Investmentbanker für diese Entlohnung zahlen, ist jedoch hoch.