Schanghai

Harte Zeiten für weichliche Boybands

Früher reichten ein gutes Aussehen und ein guter Agent, um in China als Sternchen Karriere zu machen. Heute braucht man mindestens eine „gute Gesinnung“ dazu – und im Zweifel auch einen guten Anwalt.

Harte Zeiten für weichliche Boybands

Zwei Dinge brauchte es bislang, um in Chinas turbokapitalistischer Entertainmentbranche ein Millionenpublikum zu begeistern und nebenbei den ganz großen Reibach mit begleitenden Werbeverträgen für Luxuskonsumartikel zu machen: gutes Aussehen und einen guten Agenten. In der neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung stellt sich das etwas anders dar, mussten Filmstars, Popsternchen und Social-Media-Influencer in den vergangenen Wochen schmerzhaft erfahren. Gutes Aussehen dürfte weiterhin gefragt sein, aber worauf es jetzt ankommt, ist eine „gute Gesinnung“ – und im Zweifelsfall ein guter Anwalt.

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Seit dem 1. Juli, als der Staatspräsident zum Parteigeburtstag im Mao-Anzug das Volk auf eine neue Ära der gesellschaftlichen Verjüngung mit altkommunistischen Herrschaftssymbolen einschwor, ist für die Film- und Popmusikbranche saisonal verfrüht der Winter eingebrochen. Man kann befürchten, dass er nahtlos in eine langwährende Eiszeit übergeht. Anders ausgedrückt, wer bislang mit aufreizender Kleidung und flippigen Frisuren ein Starlet-Auskommen fand, das die unschuldige Jugend zu blinder Fankultur verführte, muss sich in Zukunft verdammt warm anziehen, um bei Chinas aufgeputschten Kulturwächtern nicht anzuecken.

Die chinesische Regierung hat bekanntlich die vergangenen zwei Monate ausgiebig dazu genutzt, der heimischen Internet- und Technologieszene eins auf den Deckel zu geben, und zwar im gesamten Spektrum von Onlinehandel, sozialen Medien, Mobilitätsdiensten, Online-Erziehung, bis zu Videodiensten und Musikplattformen, mit denen sich Chinas führende Tech-Konzerne bislang dumm und dämlich verdient haben. Mit dem neuen Linksruck im Reich der Mitte soll dies alles anders werden, und zwar presto. Da man nicht erwarten kann, dass alle Stars und Sternchen die neuen Ideale sofort verinnerlichen und dann nach außen tragen, setzt man bei den Online-Plattformen an, die man sowieso schon am Wickel hat.

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Nun hat die National Radio Television Administration in Verbindung mit den anderen Medienzensurorganen einen denkwürdigen Acht-Punkte-Plan erlassen, der allen Entertainmentorganismen klipp und klar vorschreibt, wen sie in Zukunft noch verpflichten und was sie an Sendeformaten ausstrahlen dürfen. Der Zucht-und-Ordnung-Katalog wird bezeichnenderweise als Boykottaufruf formuliert. Erster Punkt ist der Boykott von „unmoralischem Personal“. Wenn Sender und Internetplattformen künftig Stars und Gäste einladen und auftreten lassen, ist es das erste Gebot, auf solche zu verzichten, die eine „unkorrekte politische Gesinnung“ aufweisen oder mit Äußerungen und Verhaltensweisen auffallen, die der „öffentlichen Ordnung und Moral“ entgegenstehen. Das gilt natürlich auch retrograd, wer immer in der Vergangenheit dem neuen Standard nicht entsprochen hat, wird aus der Medienwelt verbannt.

Um den Entertainmentanbietern die Qual der Wahl beim Aussieben zu vereinfachen, sind in den vergangenen Tagen schon einmal zigtausende Social-Media-Konten ge­sperrt worden und hunderte von bislang populären Sendungen aus den Livestreaming-Katalogen der Videoplattformen und Fernsehsender verschwunden. Nun obliegt es ihnen, dafür zu sorgen, dass nichts Neues, die öffentliche Moral Zersetzendes hinzukommt.

Die Anbieter sollen künftig alles boykottieren, was einem „übersteigerten Unterhaltungstrend“ frönen könnte, dem „ostentativen Reichtum“ huldigt, zu einer „Gossip-Kultur“ anregt, und „vulgäres Internetgehabe“ fördert. Anstatt dessen gilt es künftig, „traditionelle Kulturwerte“ zu fördern und einen „korrekten Schönheitsstandard“ zu etablieren. Das gilt übrigens auch für verweichlichte Männer. Für sie ist eine der acht Zensurregeln reserviert. Künftig sollen „Sissy Idols“, sprich Männer, die sich besonders soft und weiblich geben und mit viel Schminke und Haargel die Herzen des Teenie-Publikums erobern, von der Bildfläche verschwinden. Das nächste „Boyband-Phänomen“ aus China muss aus harten Kerlen bestehen, sonst setzt es was.