Personalentwicklung

Im Bewerber­markt

Angesichts eines leer gefegten Arbeitsmarktes liegt im Megatrend Nachhaltigkeit für Banken eine große Chance. Sie sollten sie nutzen.

Im Bewerber­markt

Jeder Arbeitnehmer weiß: Kommt im Bewerbungsgespräch die scheinbar unvermeidbare Frage nach den eigenen Schwächen, dann gibt es nur eine mögliche Antwort: „Manchmal steht mein Hang zum Perfektionismus mir im Weg.“ Für Aspiranten, die sich zu schade sind, auf diese billige Weise eine Stärke als vermeintliche Schwäche zu verkleiden, ist alternativ „Rheinischer Sauerbraten“ eine Option. Ebenso weiß jeder Bankvorstand, der nichts preisgeben will, sich zu helfen, wenn ein Journalist sich erkundigt, wo es im Institut derzeit hakt. Allzu oft kommt wie das Amen in der Kirche die Antwort: Man habe halt Probleme, neue Arbeitskräfte zu finden, um das so brillant laufende Geschäft zu bewältigen.

Zuletzt hat das Wehklagen freilich eine weit über das Normalmaß hinausgehende Intensität angenommen: Vom Wertpapierdienstleister über die kleine Privatbank, vom Universalbank-Konzern bis zum Fintech ist das identische Lamento zu hören: Der Arbeitsmarkt ist, anders als Automation und breit angelegter Stellenabbau dies erwarten ließen, leer gefegt, und zwar nicht nur in heißen Nischen wie ESG-Regulierung, Data Science, Compliance oder forensische IT. Nach Jahren, in denen die EZB den Instituten Liquidität nicht bereitgestellt, sondern sie vielmehr damit unter Wasser gesetzt hat, ist Kapital für Banken nicht der limitierende Faktor – Leute fehlen. Der Personalmangel ist nicht auf die Kreditwirtschaft begrenzt – allerorten ist die Zahl der Ausschreibungen seit Beginn der Pandemie in die Höhe geschossen. Den Finanzsektor trifft der Engpass gleichwohl zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Aufgaben mit der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und angesichts neuer Wettbewerber in eigentlich allen Segmenten des Geschäfts türmen.

Die Gründe sind vielfältig. Zwei Jahre Pandemie und oftmals Dauereinsatz im Homeoffice haben die Loyalität der Beschäftigen zum Arbeitgeber auf die Probe gestellt. Arbeitnehmer sind ins Grübeln gekommen, ob sie ihren Job nicht auch für eine andere Adresse oder in einer anderen Branche erbringen können oder nicht eine längere Auszeit nehmen sollten. Zugleich hat im Finanzsektor der Drang, Jobs im Heimatmarkt ab- und am anderen Ende der Welt aufzubauen, in Zeiten politischer Unwägbarkeiten und reißender Lieferketten nachgelassen. Längst hat mancher Personaler feststellen müssen, dass Fachkräfte auch in Indien ihren Marktwert kennen und ausreizen, so dass man dort investieren und dennoch Leute an Konkurrenten verlieren kann. Bei einer wieder galoppierenden Inflation schießen die Löhne da schnell durch die Decke. Wegen unerwartet hoher Personalkosten fiel etwa die Deutsche Bank mit ihren Quartalszahlen am Markt durch, obwohl Ertrag und Ergebnis die Prognosen schlugen. Die demografische Entwicklung in der Bundesrepublik tut ein Übriges.

Nicht selten zeichnen sich dabei Umrisse eines Generationenkonflikts ab: Da wettert manch Altvorderer über überanspruchsvolle Kandidaten, denen die Balance zwischen Arbeit und Leben über alles gehe, versucht damit oft aber nur erfolglos, die eigene Unfähigkeit zur Personalentwicklung zu kaschieren. Fest dürfte stehen, dass Arbeitgeber mit Geld allein nicht mehr punkten können. In Häusern, in denen selbst der Eintritt subalterner Kräfte von mehreren Vorständen abzuzeichnen ist, braucht man sich ohnehin nicht zu wundern, wenn die Rekrutierung stockt.

Was ist zu tun? Auslagerungen in weniger fern gelegene Regionen können das politische und logistische Outsourcing-Risiko mindern. Auch vermögen Banken manch freie Stelle durch interne Umbesetzungen zu decken; dies allerdings setzt neben Flexibilität eine entsprechend breite Fortbildung der Beschäftigten voraus, die dauert. Automation kann helfen, den Personalbedarf zu reduzieren, jedoch nicht an jenen Stellen, wo Verantwortung zu tragen ist. Manches Institut spielt mit dem Gedanken, Leute aus den Reihen der Aufsicht abzuwerben, kämpft dabei jedoch gegen einen Widerstand, der mit den Versorgungsansprüchen der Kandidaten proportional wächst. All dies lindert den Engpass allenfalls.

Letztlich bleibt Banken keine Wahl, als ihre Anziehungskraft so zu erhöhen, dass sie in einem Bewerbermarkt besser abschneiden als Konkurrenten. Der Anspruch, etwas Sinnvolles zu tun, und Möglichkeiten, ihn einzulösen, kann da den Unterschied ausmachen. Im Megatrend Nachhaltigkeit liegt daher für Banken eine Chance, denn die Regulierer haben die Kreditwirtschaft als Hebel auserkoren, den grünen Wandel zu forcieren. Banken sollten sie nutzen.

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