Impfgraben spaltet Frankreich
Einfach mal schnell ins Sportstadion gehen, Tennis spielen oder ein paar Runden drehen, das geht in Frankreich nicht mehr. Die Pforten der Sportanlage Jesse Owens im 18. Arrondissement in Paris stehen nicht wie sonst weit offen. Stattdessen hat dort ein Mitarbeiter Stellung bezogen. „Bitte zeigen Sie Ihren Gesundheitspass“, fordert er Ankömmlinge auf. Denn seit Mittwoch muss für den Besuch von Kultur- und Sporteinrichtungen der Nachweis für einen vollständigen Impfschutz gegen das Coronavirus, eine Genesung oder ein negativer Coronatest vorgelegt werden. Ab August soll der Gesundheitspass auch für den Besuch von Restaurants, Cafés und Bars sowie für Reisen mit Bahn, Flugzeugen oder Bussen verlangt werden.
Ein entsprechender Gesetzentwurf ist Sonntagabend vom Parlament verabschiedet worden. Er sieht auch eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Kranken- und Altenpfleger, Rettungskräfte und Feuerwehrleute vor. Allerdings geht das geplante Gesetz, dem jetzt noch der Verfassungsrat zustimmen muss, nicht ganz so weit, wie es die Regierung von Präsident Emmanuel Macron ursprünglich wollte. So wurde die Möglichkeit, Pflegepersonal und Mitarbeiter von Einrichtungen mit Publikumsverkehr nach zwei Monaten ohne Abfindung zu entlassen, wenn sie sich der Impfpflicht widersetzen, fallengelassen. Stattdessen ist nun geplant, sie zunächst zu beurlauben und in einem zweiten Schritt das Gehalt auszusetzen. Gleichzeitig wird ihnen mehr Zeit eingeräumt, sich impfen zu lassen, bevor ihnen Sanktionen drohen.
Der Gesundheitspass hat zwar dazu geführt, dass sich wieder deutlich mehr Franzosen impfen lassen. Die Ankündigung hat jedoch auch eine neue Protestwelle ausgelöst. Am Samstag gingen erneut 160000 Menschen auf die Straße – nicht nur Impfgegner, auch viele ehemalige Gelbwesten, Populisten und Gegner Macrons. Für nächsten Samstag sind bereits neue Demonstrationen geplant. Die Regierung verletze mit dem Gesundheitspass die Freiheitsrechte der Bevölkerung, kritisieren die Protestler. Etliche tragen gelbe Sterne mit der Aufschrift „ohne Impfung“ und vergleichen Macrons Regierung mit der Nazi-Diktatur.
Die Demonstranten können zwar nicht auf eine so breite Unterstützung wie die Gelbwesten-Bewegung oder die Proteste gegen die Rentenreform bauen. Doch laut einer vom Meinungsforschungsinstitut Ifop für die Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ durchgeführten Umfrage solidarisieren sich oder sympathisieren immerhin 35% der Franzosen mit ihnen – vor allem Vertreter der Gelbwesten-Bewegung und Anhänger des rechtsextremen Rassemblement National und der linkspopulistischen Partei La France Insoumise.
Wie das Impfthema Frankreich spaltet, zeigt auch ein Blick auf die Impfdaten. So liegt der Impfanteil der Bevölkerung im Norden und Westen über dem Landesdurchschnitt, während er im Süden und Osten darunter liegt. Gleichzeitig ist er in Städten deutlich höher als auf dem Lande, genau wie in reichen Kommunen im Gegensatz zu ärmeren Gemeinden. Bereits zuvor hatten Umfragen gezeigt, dass die Impfskepsis bei der Landbevölkerung sowie bei einkommensschwachen Schichten mit eher niedrigem Bildungsniveau in Frankreich besonders ausgeprägt ist.
Trotz Gesundheitspass ist die Tourismusindustrie bisher zufrieden mit der Sommersaison. Vor allem Gästehäuser und Campingplätze haben im Juli neue Rekorde verbucht. Bisher hat die Einführung neuer Beschränkungen in den meisten Orten noch nicht zu massenhaften Stornierungen geführt. Sollten die Inzidenzwerte in beliebten Urlaubsregionen jedoch weiter steigen, könnte dies Urlauber verschrecken, fürchten Vertreter der Branche. Ihr sind im vergangenen Jahr nach Angaben von Tourismus-Staatssekretär Jean-Baptiste Lemoyne Einnahmen in Höhe von mehr als 60 Mrd. Euro entgangen.
In Paris rechnen etliche Hotels und Restaurants auch diesen Sommer mit erheblichen Umsatzeinbußen. Sie bekommen das Ausbleiben zahlungskräftiger Touristen aus Asien und Amerika zu spüren. Die Vereinigung unabhängiger Hotels und Restaurants schätzt, dass deshalb im August 70% der unabhängigen Hotels in Paris geschlossen bleiben. Angesichts niedriger Auslastung lohnt es sich für sie nicht, den Betrieb aufrechtzuerhalten.