Ist nachhaltige auch gute Unternehmensführung?
Die Causa Wirecard und ihre – auch gesetzgeberische – Aufarbeitung hat der Debatte über gute Unternehmensführung in Deutschland seit einem Jahr einen stark nationalen Touch gegeben. Doch die Frage nach dem „richtigen“ Zusammenspiel von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfern, Aufsichtsbehörden und Stakeholdern ist uralt, auch wenn sie nach jedem Bilanzskandal neu gestellt wird und meist auch neue Regulatorik nach sich zieht. Sie hat in der öffentlichen Wahrnehmung leider in den Hintergrund treten lassen, dass zu guter Unternehmensführung weit mehr gehört, als Gesetze zu befolgen, Bilanzierungsvorschriften einzuhalten und den Eigentümern mit steigenden Aktienkursen und Dividendenzahlungen Freude zu bereiten.
ESG-Zielkonflikte
Die Wertschöpfung der Unternehmen soll in Zukunft nachhaltig sein, was auch immer das konkret heißen mag. Das fordert nicht nur der politische Mainstream, sondern insbesondere die EU-Kommission im Rahmen ihres Green Deal. Deshalb hat sie sich eine umfassende Reform des Gesellschaftsrechts in Europa mit dem Ziel einer Sustainable Corporate Governance auf die Agenda gesetzt. Dabei geht es um mehr, als den Status quo um ESG-Ziele zu ergänzen und irgendwie darüber zu berichten. Unternehmensleitungen werden künftig nicht nur für ihr wirtschaftliches Handeln, vereinfacht ausgedrückt in Gewinn und Verlust, verantwortlich sein, sondern auch für die Auswirkungen ihres Handelns auf die Gesellschaft. Das jüngst beschlossene Lieferkettengesetz ist ein Beispiel, wenngleich nur ein Mosaikstein im Gesamtbild nachhaltiger Verantwortung von Unternehmen. Die Internalisierung externer Effekte wird damit von der volkswirtschaftlichen auf die betriebswirtschaftliche Ebene gezogen.
Dass damit auch auf Unternehmensebene erhebliche Zielkonflikte zwischen E (Environment), S (Social) und G (Governance) entstehen können, liegt auf der Hand. So stellte dieser Tage Werner Brandt, Multi-Aufsichtsrat und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, bei der Verleihung des Preises für gute Unternehmensführung an ihn die nicht nur rhetorisch gemeinte Frage, ob Unternehmensführung tatsächlich gut sei, wenn sie vorwiegend auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sei (vgl. BZ vom 23.6.). Brandts Sorge, die alle Unternehmensvorstände und Aktionäre umtreiben sollte, betrifft das Verhältnis von E, S und G und den Stellenwert des wirtschaftlichen Erfolgs.
Unternehmensführungen sollten sich darauf vorbereiten, künftig für die Identifikation und Begrenzung von Nachhaltigkeitsrisiken und externen Effekten verpflichtet zu sein. Konkret wird das heißen, dass Vorstände messbare Nachhaltigkeitsziele in ihre Geschäftsstrategie integrieren müssen und diese Ziele im Einklang mit übergeordneten Zielen wie den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zu stehen haben. Nachhaltigkeit muss Vorstandsaufgabe sein, nur dann bekommt sie den nötigen Stellenwert bei strategischen Entscheidungen. Hierfür wird die nichtfinanzielle Berichterstattung aufgewertet und ausgebaut werden, wie die in Vorbereitung befindliche neue Corporate Sustainability Reporting Directive der EU zeigt. Das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu kontrollieren und zu incentivieren, wie bei manchen internationalen börsennotierten Konzernen auf Basis sogenannter „ESG Metrics“ in den Vorstandsvergütungsmodellen schon praktiziert, wird künftig zu den Aufgaben von Aufsichtsräten gehören. Daraus folgt, dass in den Kontrollgremien dann nicht nur Kompetenz zu Finanzthemen vorhanden sein muss, sondern auch in Sachen Nachhaltigkeit. Dieses ESG-Know-how zu definieren und nachzuweisen, dürfte wesentlich schwieriger werden als die Anforderungen an die sogenannten Financial Experts.
Entmachtung der Aktionäre
Wenn es nach den bisher bekannt gewordenen Vorstellungen der EU-Kommission geht, sollen Stakeholder sogar die Möglichkeit erhalten, bei der Definition von Nachhaltigkeitszielen nicht nur mitzuwirken, sondern ihre Durchsetzung auch einzuklagen – in Analogie zum jüngst vom Bezirksgericht in Den Haag gegen Shell verhängten Urteil zum CO2-Ausstoß. Spätestens hier wird der Interessenkonflikt zwischen Eigentümern und anderen Stakeholdern offensichtlich und zeigt sein systemsprengendes Gesicht. Wenn Nichtaktionäre – in den meisten Fällen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – zur Durchsetzung ihrer vorgeblich gesamtgesellschaftlichen Interessen ein Klagerecht gegen Unternehmen oder deren Vorstände erhalten, dann rüttelt das an den Grundfesten der Marktwirtschaft. Dann werden perspektivisch nicht mehr die Vorstände in Abstimmung mit den Aufsichtsräten über das angemessene Verhältnis von E, S und G in der Geschäftsstrategie entscheiden, sondern Gerichte und gesellschaftliche Interessengruppen. Zu Ende gedacht würde ein begrüßenswertes Vorhaben, nämlich an Nachhaltigkeit orientierte Unternehmensführung, sich ins Gegenteil verkehren, wenn der Unternehmenserfolg auf der Strecke bliebe. Dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg ist nachhaltig im besten Sinne, denn er ist die Grundlage für sichere Arbeitsplätze, Steuerzahlungen und Investitionen in umweltschonende Technologien.
Im G der ESG-Kriterien ist geregelt, wie das Management die Interessen der Eigentümer und Aktionäre umzusetzen hat. Dass es im Sinne der Shareholder ist, auch andere Stakeholder-Interessen zu beachten, die in Deutschland ja unter anderem durch die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zur Geltung kommen, und damit den Rahmen der Corporate Governance interessenpluralistisch auszulegen, gehört inzwischen zur Best Practice. Im Gesellschaftsrecht aber gesellschaftliche Verantwortung und ökologische Ziele über die Interessen der Aktionäre zu stellen, wie von der EU-Kommission zur Diskussion gestellt, wäre das Ende unternehmerischer Freiheit und würde Wohlstand und damit die Basis nachhaltigen Wirtschaftens gefährden.
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