LeitartikelAuswirkung der Parlamentswahl

Japan kehrt zur Instabilität zurück

Das Wahlergebnis stärkt sozialliberale Positionen in der Wirtschaftspolitik. Aber die Umsetzung dürfte schwierig werden.

Japan kehrt zur Instabilität zurück

Japan

Rückkehr zur Instabilität

Von Martin Fritz

Bei der japanischen Parlamentswahl am Sonntag gab es erstmals in diesem Jahrhundert keinen klaren Sieger. Die bisherige Regierung wurde nicht nur erheblich geschwächt, es beginnt auch eine neue Periode der Instabilität. Der Koalition aus Liberaldemokratischer Partei (LDP) und Komei-Partei unter Führung von Shigeru Ishiba fehlen rund 40 Stimmen für eine sichere Mehrheit. Aber die zwei Oppositionsparteien, die am ehesten als Partner infrage kommen, wollen der Koalition nicht beitreten. Ihre Unterstützung machen sie davon abhängig, inwieweit Ishiba auf ihre Forderungen eingeht.

Mit diesem Wahlausgang endet die zwölf Jahre lange Phase, in der Japan eine Bastion der Stabilität bildete. Dieses Merkmal diente bislang als Argument für ausländische Investitionen in Aktien, Unternehmen und Immobilien. Während Japan in den 1990er und frühen 2000er Jahren für seine „Drehtür“ im Premierministeramt berüchtigt war, markierte die Amtszeit von Shinzo Abe von Ende 2012 bis Herbst 2020 eine Ära der Stabilität, verbunden mit der selbstbewussten Rückkehr auf die internationale Bühne. Vor allem verfolgte Abe eine langfristige Wachstumsstrategie mit expansiver Geldpolitik, steigenden Staatsausgaben und liberalen Reformen, darunter die Anpassung der Corporate Governance an das US-amerikanische Vorbild. Seine beiden Nachfolger blieben dieser Abenomics-Agenda treu.

Doch es war auch Abe, der die Keime für die hohen Stimmenverluste am Sonntag legte. Das System der schwarzen Kassen, das großes Misstrauen in die LDP schürte und der wahlentscheidende Faktor war, florierte während seiner Zeit als Partei- und Regierungschef. Die meisten Abgeordneten, die die Rückflüsse aus Spendenpartys nicht deklariert hatten, gehörten seiner früher Seiwakai genannten Faktion an. Auch der vorige Skandal um die Zusammenarbeit zwischen LDP und der aus Südkorea stammenden Vereinigungskirche geht auf Abes Konto. Sein Großvater hatte der Sekte die Expansion nach Japan erlaubt. Seitdem nutzten viele LDP-Abgeordnete die Sektenmitglieder als kostenlose Wahlhelfer. Im Gegenzug duldete die LDP, dass die Kirche ihre japanischen Mitglieder finanziell auspresste. Die Ironie der Geschichte: Abes Mörder machte ihn persönlich für seine Armut verantwortlich, weil die Mutter das Familienvermögen der Sekte gespendet hatte.

Der Wahlausgang hat den bisher großen Einfluss der Abe-Gruppe in der LDP-Parlamentsfraktion deutlich verringert. Die Zahl der ehemaligen Abe-Faktionsmitglieder schrumpfte um mehr als die Hälfte. Dieser erhebliche Machtverlust der Abe-Anhänger stärkt zum einen die parteiinterne Position des neuen Regierungschefs Ishiba, der sich bei Wahl zum LDP-Chef nur knapp gegen Sanae Takaichi durchsetzte, die ausdrücklich als Erbin von Abe angetreten war. Zum anderen verschiebt sich das Epizentrum der Macht vom konservativen zum moderat-liberalen Flügel jener Partei, die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert.

Die möglichen Auswirkungen dieser Verschiebung innerhalb der LDP auf die künftige Finanz- und Wirtschaftspolitik lassen sich noch nicht klar erkennen. Denn Ishiba wird zum Regieren in erster Linie mit zwei kleinen Oppositionsparteien – der Japan-Innovationspartei und der „Demokratischen Partei für das Volk“ – zusammenarbeiten. Erstere vertritt neoliberale Ideen wie die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Senkung der Unternehmenssteuer, letztere fordert einen höheren Mindestlohn, die Einführung eines Grundeinkommens und weniger Sozialabgaben für kleine und mittlere Firmen.

Sollte es Ishiba im November gelingen, als Premier wiedergewählt zu werden, dann dürfte er wohl auf höhere Staatsausgaben setzen. Einen großen Nachtragshaushalt hat er bereits angekündigt. Die Bank of Japan wird sich durch die neuen Umstände der Politik nicht davon abhalten lassen, den Leitzins noch mindestens einmal anzuheben, auch um den Yen zu stärken. Aber danach dürfte sie abwarten, welche finanz- und wirtschaftspolitischen Wege Ishiba einschlägt. Jedoch wird es dabei eine weniger klare und stabile Linie geben als zu Abe-Zeiten.

Das Wahlergebnis stärkt sozialliberale Positionen in Japans Wirtschaftspolitik. Aber die Umsetzung dürfte schwierig werden.

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