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Japans Verteidigungsindustrie im Aufschwung

Die historische Abkehr von pazifistischen Grundsätzen ermöglicht Japans Waffenherstellern und -zulieferern ein starkes Wachstum und internationale Kooperationen.

Japans Verteidigungsindustrie im Aufschwung

Japans Verteidigungsindustrie im Aufschwung

Die historische Abkehr von pazifistischen Grundsätzen ermöglicht Japans Waffenherstellern ein starkes Wachstum und internationale Kooperationen.

Von Martin Fritz, Tokio

Der pazifistische Grundton in Japans Außen- und Sicherheitspolitik gehört der Vergangenheit an: Das Land baut seine Rüstungsindustrie seit anderthalb Jahren gezielt aus – zum einen über höhere Verteidigungsausgaben, zum anderen durch die gemeinsame Produktion mit den und für die USA. Eine direkte Folge davon sind rekordhohe Aktienkurse der größten Hersteller Mitsubishi Heavy Industries (MHI) und Kawasaki Heavy Industries (KHI).

Begonnen hatte der Wandel ab 2013 unter dem damaligen Premier Shinzo Abe, zunächst unter dem Eindruck der antijapanischen Unruhen in China und des Besitzstreits um die Senkaku-Inselgruppe im Ostchinesischen Meer. Seit damals hat sich Japans Sicherheitsumfeld drastisch verschlechtert. China bedroht den Nachbarn Taiwan, Nordkorea besitzt atomar bestückbare Fernraketen, beide Länder verbündeten sich mit Russland.

Bisher nur Importeur

Die Bedingungen für die eigene Rüstungsindustrie sind allerdings nicht besonders gut. Bei den Verteidigungsausgaben lag Japan im Vorjahr laut Friedensforschungsinstitut SIPRI zwar weltweit auf Platz 10. Aber unter den 100 umsatzstärksten Rüstungsherstellern gemäß der Rangliste von Defence News finden sich nur drei japanische Unternehmen: MHI (Platz 35), KHI (72) und Fujitsu (98). Dazu passt: Japan war 2023 ebenfalls laut SIPRI-Daten der sechstgrößte Waffenimporteur, seine Einfuhren stammten zu 97% aus den USA.

Auf der Nationen-Rangliste für Waffenexporte taucht die Inselnation überhaupt nicht auf, denn bis 2014 verzichtete man als „friedenliebendes Land“ freiwillig auf den Waffenverkauf. Der damalige Premier Shinzo Abe schaffte diese Selbstbeschränkung 2013 zwar teilweise ab. Aber drei größere Versuche, ein Waffensystem an befreundete Länder zu verkaufen, scheiterten. Es fehlten der Kundenstamm, das Vertriebssystem und die „Leistungsnachweise“. Der erste Erfolg gelang im Vorjahr mit der Lieferung eines Luftüberwachungssystems von Mitsubishi Electric an die Luftwaffe der Philippinen.

Der Auftakt: Vor anderthalb Jahren, im Dezember 2022, veröffentlichte Japans Regierung drei historische Dokumente zur Verteidigungsstrategie – eine aktualisierte nationale Sicherheitsstrategie und zwei damit zusammenhängende Papiere, die nationale Verteidigungsstrategie und das Aufbauprogramm für die Verteidigung. Die neuen Richtlinien zählten sieben notwendige Handlungsbereiche auf, darunter Luft- und Raketenabwehr, Cyberspace, Kommando- und Kontrollsysteme, Aufklärung und unbemannte Waffensysteme.

Wehretat steigt drastisch

Laut diesen Dokumenten will Japan zum einen eine eigene Gegenschlagfähigkeit aufbauen – bisher ist man weitgehend auf die Unterstützung der USA angewiesen – und zum anderen größere Munitions- und Ersatzteilvorräte anlegen. Dafür schraubt Premier Fumio Kishida die Ausgaben für nationale Sicherheit in den fünf Jahren bis 2027 von geplanten 27,5 Bill. auf 43 Bill. Yen (251 Mrd. Euro) nach oben. Allein in diesem Jahr wuchs der Wehretat um 27% gegenüber dem Vorjahr. Die Steigerung um 56% für die Etatsumme von 2023 bis 2027 würde das Verteidigungsbudget auf 2% des Bruttoinlandsproduktes treiben. Allerdings hat Kishida die Gegenfinanzierung durch höhere Einnahmen auf die lange Bank geschoben.

Die „industrielle Verteidigungsbasis“ von Japan hatte durch die Exportbeschränkungen und die stagnierende Produktion an Kosteneffizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität verloren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten zogen sich daher über 100 Unternehmen aus der Rüstungsindustrie zurück. So gab Komatsu Anfang 2019 die Entwicklung eines leichten Transportpanzers für Japans Streitkräfte wegen „zu geringer Nachfrage“ auf. Die einzige Möglichkeit, die Industrie zu erhalten und zu fördern, sieht die Regierung daher in der gemeinsamen Entwicklung und Produktion mit anderen Ländern und im Komponentenexport.

Ein zentraler Bereich sind Abwehrraketen gegen anfliegende Raketen und gegen Schiffe. Das kürzlich veröffentlichte Verteidigungs-Weißbuch zeigt den Prototyp einer verbesserten Antischiffsrakete von MHI, die sich Japan in größerer Stückzahl zulegen will. Der Erwerb von Drohnen zur Abwehr und Überwachung könnte neue Hersteller wie Subaru anlocken. Schon vor anderthalb Jahren haben Japan, Großbritannien und Italien ein „Global Combat Air Program“ für die gemeinsame Entwicklung eines Kampfflugzeugs der nächsten Generation verabredet. Im Frühjahr genehmigte die Regierung den späteren Export des Flugzeugs an andere Länder – eine Premiere für japanische Waffen.

Kooperation mit den USA

Auch die gemeinsame Entwicklung, Produktion und Wartung von Waffensystemen mit den USA soll die einheimischen Rüstungshersteller stärken. Dafür gründeten die beiden Länder das „Defence Industrial Cooperation, Acquisition and Sustainment Forum“ (DICAS). Japan könnte U-Boote für die USA bauen und US-Marineschiffe warten, weil Werftkapazitäten in den USA fehlen.

MHI verdoppelt gerade die Lizenzproduktion von Patriot-Luftabwehrraketen für Lockheed Martin auf 60 Stück jährlich. Japan liefert keine Waffen in Kriegsgebiete, aber die Patriot-Produktion ignoriert die Tatsache der indirekten Lieferung, da die USA dadurch eigene Patriot-Raketen an die Ukraine weiterreichen können. Mitsubishi Electric schloss in dieser Woche einen Vertrag über die Lieferung von Komponenten für das modernste Radarsystem SPY-6 (V) der US-Marine an den Hersteller Raytheon.

Zivile Forschung ist Schwachstelle der Aufrüstung

Eine Schwachstelle der japanischen Aufrüstung ist die zivile Forschung an neuen Technologien für Waffensysteme, die wie in den USA vom Verteidigungsministerium finanziert werden müsste. Aufgrund des jahrzehntelangen Pazifismus dürften viele Ingenieure und Forscher in Japan jedoch zögern, ob sie ihre Fähigkeiten, wenn auch nur auf indirektem Weg, in den Dienst der Streitkräfte stellen. Eine Organisation wie die „Defense Advanced Research Projects Agency“ (DARPA), die das Pentagon seit 60 Jahren für Innovationen einsetzt, ist in Japan jedenfalls nicht geplant.

Dieses Manko durch das pazifistische Erbe spricht ebenfalls dafür, dass Japans Rüstungsindustrie sich auf Nischen konzentrieren und hochwertige Komponenten zuliefern sollte. So könnte Japan den Kauf von US-Waffen davon abhängig machen, dass man selbst mehr Teile davon produziert. Es scheint eine unrealistische Alternative zu sein, aus dem Stand heraus mit ganzen Waffensystemen auf den Weltmarkt zu treten und dort mit Platzhirschen wie den USA, China und Russland zu konkurrieren.