Keine Bodenhaftung
Es sieht nicht nach Umkehr aus. Seit Jahren rufen überzogene Managergehälter und Gehaltsexzesse bei Investoren Kritik und Unverständnis hervor. Für die Öffentlichkeit ist es schon lange nicht mehr nachvollziehbar, dass die Schere in der Bezahlung zwischen Normalverdiener und Chefetage weiter aufgeht. Jede Krise weckt die Erwartung, es könnte zur Trendumkehr kommen und die Gehaltskurve die Richtung ändern. Diese Hoffnung wurde in der Finanzmarktkrise 2008 enttäuscht, und Bekehrung zeichnet sich auch in Pandemiezeiten nicht ab.
Auf den ersten Blick hat die Coronakrise durchaus einen Aderlass in der Vorstandsvergütung herbeigeführt. Die CEO-Gehälter in den Dax-Unternehmen sind teilweise prozentual zweistellig zurückgegangen. Mancherorts übten Konzernlenker und Aufsichtsräte aus Solidarität mit der von Kurzarbeit oder Personalabbau betroffenen Belegschaft freiwilligen Gehaltsverzicht, wobei diese Zugeständnisse in den meisten Fällen vergleichsweise moderat ausfallen und eher als symbolisches Opfer daherkommen.
Insgesamt zeigt sich nach dem ersten Coronajahr eine Szenerie, in der die Saläre der obersten Führungskräfte deutlich weniger schrumpfen als die Erträge der Konzerne. So sind den CEOs im Dax in einer der schwersten Wirtschaftskrisen überhaupt im Schnitt noch mehr als 5,3 Mill. Euro aufs Konto geflossen. Die Freigebigkeit ist nicht allein den Aufsichtsräten anzulasten, denn in den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber in seinen Bemühungen um Angemessenheit der Vergütung darauf hingewirkt, langfristige Incentivierung zu forcieren und kurzfristige Bonuszahlungen zu deckeln. Das musste zu einer stärkeren Glättung der Gehaltskurve über die Laufzeit der Vorstandsverträge hinweg führen. Gleichwohl haben es Aufsichtsräte in der Hand, in Dürrezeiten diskretionär Saläre anzupassen – ein Instrument, auf das die Unternehmen zum Leidwesen vieler Investoren partout nicht verzichten wollen, das allerdings vor allem genutzt wird, um „außergewöhnliche Erfolge“ zusätzlich zu honorieren. Nach unten geht es so gut wie nie. In der Pandemie zeigte sich das in so bizarren Konstellationen, dass Vorstandschefs einerseits auf eigene Initiative in großer Geste auf Geld verzichten, ihnen dann aber der Aufsichtsrat gleichzeitig für geleistete Corona-„Überstunden“ eine „Sondervergütung“ gewährt.
Wie sich die Vorstandsgehälter in den kommenden Jahren entwickeln werden, ist derzeit schwer abzuschätzen. Mit Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie in deutsches Recht sind die Unternehmen gezwungen, die Vergütungssysteme nach neuen Vorgaben anzupassen und ihren Aktionären künftig regelmäßig zur unverbindlichen Abstimmung vorzulegen. Diese Beschlüsse prägen die laufende Hauptversammlungssaison. Der Gesetzgeber ist weiterhin bestrebt, auf Nachhaltigkeit hinzuwirken und die langfristige Unternehmensentwicklung in der Bezahlung stärker in den Vordergrund zu rücken. Darauf haben die Aufsichtsräte augenscheinlich reagiert. So sehen die angepassten Modelle in der Regel vor, dass langfristige Komponenten mindestens 40% der Vergütung ausmachen und dass Vorstände größere Teile ihres Fixums in Aktien ihres Unternehmens anlegen müssen, damit sie mit den Investoren in einem Boot sitzen. Einzelne Unternehmen gewähren keine Altersvorsorge mehr oder streichen Abfindungen im Falle eines Kontrollwechsels – zum Beispiel die Deutsche Bank. Das hört sich erstmal verantwortungsbewusst an, doch die Höhe der zugebilligten Maximalvergütung lässt keine Bodenhaftung erkennen. Mehr als die Hälfte der Dax-Konzerne setzt Obergrenzen in zweistelliger Millionenhöhe – angeführt von SAP mit 34,5 Mill. Euro. Damit ist die Richtung für die kommenden Jahre vorgegeben, Versuche der Mäßigung lassen sich nicht erkennen.
Vor diesem Hintergrund hängen dunkle Wolken über der Hauptversammlungssaison. Erste Gewitter haben sich entladen. Dabei nehmen Fonds und Vermögensverwalter nicht unbedingt Anstoß an der Höhe der Managersaläre, doch sie wollen Transparenz, Nachvollziehbarkeit und verdammen willkürliche Sonderzuwendungen, wie sie zum Beispiel die Deutsche Telekom ihrem CEO für seine „außerordentliche Leistung“ bei der Fusion der Konzerntochter T-Mobile US mit Sprint gewährte. Gut ein Viertel der Aktionäre lehnte das Vergütungssystem der Telekom ab. Bei Bilfinger senkten 20% der präsenten Anteilseigner den Daumen, Beiersdorf zeigten 13% die gelbe Karte, Vonovia 12%. Klare Ansagen an die Aufsichtsräte.