KI im Consulting: Mehr als Folien basteln
KI im Consulting: Mehr als Folien basteln
Künstliche Intelligenz hält im Arbeitsalltag der Consultants Einzug und steht auch als Beratungsthema hoch im Kurs. Erste Erfahrungen zeigen, was die Technologie schon kann – und sie lassen erahnen, was auf die Branche noch zukommt.
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Erst seit einem Jahr ist Lilli bei McKinsey, doch schon jetzt ist sie für viele im Kollegium nicht mehr wegzudenken. Lilli ist zu jeder Tages- und Nachtzeit ansprechbar, hat nie schlechte Laune, nimmt keinen Urlaub – und ist keine normale Mitarbeiterin. Lilli ist eine KI-Plattform, die McKinsey seit dem vergangenen Sommer erprobt. „Lilli vereint das Wissen aus einer Vielzahl von Quellen, aus strukturierten und unstrukturierten Daten, in einer Plattform“, erklärt Erik Roth, der von der US-Ostküste aus als Globaler Leiter für Design, Entwicklung und Einsatz von generativer KI bei McKinsey zuständig ist. Intern ist er bekannt als „Lillis Vater“.
Erik Roth, McKinsey„Es gab schon mehr als vier Millionen Prompt-Anfragen, und jede Woche kommen etwa 150.000 neu hinzu.“
Die Plattform richtet sich an die Beschäftigten, die damit in kurzer Zeit den Wissenspool des Beratungshauses durchforsten oder bestimmte Routinetätigkeiten vorbereiten lassen können. Vor gut anderthalb Jahren hat ein vierköpfiges Projektteam im Unternehmen mit der Entwicklung von Lilli begonnen, mittlerweile sind mehr als 120 Personen mit einem Teil ihrer Arbeitszeit beteiligt. Mehr als 75% der Beschäftigten haben Lilli seit der zweiten Jahreshälfte 2023 bereits getestet, die meisten von ihnen nutzten das Tool mittlerweile mehrmals täglich, berichtet Roth: „Es gab schon mehr als vier Millionen Prompt-Anfragen, und jede Woche kommen etwa 150.000 neu hinzu.“
Prompts zeigen beliebte Themen
Die Prompts zeigen den Entwicklern, mit welchen Anliegen sich die Beschäftigten an Lilli wenden. Besonders beliebt ist der „slide generator“: Damit bereitet Lilli eine Präsentationsunterlage im McKinsey-Design vor. Danach muss jedoch immer noch ein Consultant den Feinschliff erledigen: „Alles, was zu einem Klienten rausgeht, muss vorher von einem Menschen geprüft werden“, gibt Roth als Regel vor.
Künstliche Intelligenz verändert nicht nur die internen Prozesse im Consulting. Als Beratungsthema steht sie bei Kunden aus allen Branchen derzeit hoch im Kurs und fließt auch in neue Angebote ein. Ein Bereich, in dem generative künstliche Intelligenz besonders punkten kann, ist die Dokumentenanalyse. Daran knüpft ein Joint Venture an, das PwC im Juni mit dem deutschen KI-Start-up Aleph Alpha gegründet hat. Das Gemeinschaftsunternehmen heißt Creance.ai und soll im Umgang mit regulatorischen Vorgaben helfen.
Erster Einsatzbereich ist der Digital Operational Resilience Act (Dora), eine EU-Verordnung, die von 2025 an gelten wird und den europäischen Finanzmarkt resilienter gegenüber Cyberrisiken machen soll. Creance soll das geforderte Risikomanagement bei Drittparteien vereinfachen. Dafür müssen Verträge aus der Vergangenheit daraufhin überprüft werden, ob sie Dora-compliant sind – in größeren Häusern können das Tausende Dokumente sein.
KI kann große Datenmengen bewältigen
„Die Flut neuer Normen, die Komplexität der Organisationen und die scheinbar unendlichen Datenmengen in Verbindung mit einem gravierenden Mangel an verfügbaren Experten machen dies zu einer fast unmöglichen Herausforderung“, erklärte Aleph-Alpha-CEO Jonas Andrulis in der Ankündigung des Joint Ventures. Die KI kann diese Dokumente durchforsten und potenziell kritische Stellen für eine nähere Prüfung durch Mitarbeiter markieren. Das Angebot soll laut Björn Viebrock, Mitglied der Geschäftsführung von PwC Deutschland, auf weitere Anwendungsbereiche ausgerollt werden.
In den Beratungshäusern selbst wie auch bei Kundenprojekten steigt die Zahl der KI-Anwendungsfälle. Weniger deutlich zeichnet sich dagegen der Einfluss der Technologie auf das Geschäftsmodell der Beratungen selbst ab. Was bedeutet es für die Honorarvereinbarung mit Kunden, wenn künstliche Intelligenz bestimmte Aufgaben übernimmt? Braucht ein Kunde überhaupt noch so viele Berater? Und was machen die mit ihrer Zeit, wenn Routineaufgaben wegfallen?
Nur wenige sorgen sich
Die Consultants fürchten negative Szenarien kaum, wie die Ergebnisse der Studie „Managementberatung in Deutschland“ des Analysehauses Lünendonk & Hossenfelder zeigen. Dass Kunden KI-Angebote als Ersatz für Consulting-Dienste nutzen könnten, denken nur 13% der Befragten. Nur 2% haben die Sorge, dass KI sich negativ auf die Profitabilität auswirken könnte, etwa wenn Leistungen mit weniger Mitarbeitern erbracht werden und sich weniger Stunden fakturieren lassen. Einen Stellenabbau sehen 8%.
Die entspannte Haltung könnte darin begründet sein, dass – zumindest bislang – die künstliche Intelligenz nicht in allen Bereichen erfolgreich ist. Die Strategieberatung BCG, die auch mit Aleph Alpha kooperiert, hat im vergangenen Jahr einen Versuch mit mehr als 750 ihrer Consultants weltweit gemacht, dessen Ergebnisse BCG entgegenkommen dürften. Die Berater sollten bestimmte Aufgaben lösen, einige mit und andere ohne Unterstützung der OpenAI-Anwendung GPT-4. Eine Gruppe sollte kreativ werden und neue Ideen für Produkte und Markteinführungen skizzieren. In dieser Gruppe erzielten die Teilnehmer, die KI nutzten, laut BCG deutlich bessere Ergebnisse.
Eine andere Gruppe sollte auf Basis von Daten und Gesprächsnotizen herausfinden, welche Gründe es für die schwache Entwicklung eines Unternehmens gibt – eine Standardaufgabe für Unternehmensberater. In dieser Gruppe schnitten die Teilnehmer mit KI-Unterstützung allerdings schwächer ab. Die Berater seien mitunter falschen Schlussfolgerungen der KI aufgesessen, erklärt BCG. Zudem seien Antworten und Lösungsansätze weniger vielfältig ausgefallen. Das Fazit der Autoren: Bislang eigne sich generative KI noch nicht für alle Aufgabenfelder – dies könne sich jedoch ändern, wenn sich die KI weiterentwickelt. Auch für das im Experiment genutzte GPT-4 gibt es mit GPT-4o seit diesem Jahr eine nächste Entwicklungsstufe.
Beratungshäuser suchen KI-Spezialisten
In der Lünendonk-Studie haben drei Viertel der teilnehmenden Unternehmensberatungen tendenziell oder vollkommen der These zugestimmt, dass KI als neues Beratungsthema ihr Geschäft beflügeln dürfte. Für die kommenden Jahre hat sich die Branche zweistellige Wachstumsziele gesetzt. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass nur wenige einen Personalabbau im Consulting erwarten – auch wenn dies für Backoffice-Bereiche anders aussehen mag.
In der Beratung könne die KI zwar bei Analysen und weiteren Themen zum Einsatz kommen, sagte Walter Sinn, Managing Partner von Bain & Company in Deutschland, bei der Vorstellung der Ergebnisse. Aufgrund des angestrebten Wachstums werde dies aber nicht zu einem Stellenabbau führen, sondern zu eher zu einer Verschiebung von Kapazitäten. Auch Michael Meyer, verantwortlich für Accenture Strategy in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sieht Automatisierung vor allem im Backoffice als Option. Unterdessen suchen viele Beratungshäuser nach Spezialisten, gerade solche mit KI-Expertise.
Allerdings haben größere Beratungshäuser es deutlich leichter, ihre KI-Kompetenz auszuweiten und die dafür erforderlichen Investitionen zu stemmen als kleinere Consultants. Der deutsche Beratungsmarkt ist stark fragmentiert – nur die Top-9 der Lünendonk-Liste weisen überhaupt einen dreistelligen Millionenumsatz aus. Der Investitionsbedarf in KI könnte die Konsolidierung weiter beschleunigen, sagte Helmut Ahr, Sprecher des Vorstands bei Horváth, in der Diskussion. Im Gegenzug könnten kleinere Beratungshäuser mit KI-Unterstützung an Effizienz und Schlagkraft gewinnen.
Weiterbildung als Schlüssel
Die Zeit, die Berater künftig nicht mehr mit Textzusammenfassungen oder Folienerstellung verbringen, dürfte in Schulungen gut investiert sein. Nur wer einen Fokus auf die Weiterbildung der Mitarbeiter setze, könne durch KI erfolgreich skalieren, findet Michael Meyer von Accenture. Bei McKinsey hat Erik Roth anfangs einen Effekt beobachtet, den er „prompt anxiety“ nennt: Die Beschäftigten wussten nicht genau, wie sie Lilli am besten adressieren sollten. Gezielte Trainings hätten geholfen, diese Berührungsängste abzubauen. „Beschäftigte nutzen Lilli nach einer Stunde Training doppelt so häufig wie zuvor.“
Erik Roth, McKinseyBeschäftigte nutzen Lilli nach einer Stunde Training doppelt so häufig wie zuvor.
Roth geht davon aus, dass eine Zusammenarbeit von Mensch und Technologie künftig im Consulting zum Standard werden wird – wobei sich die Aufgabenteilung je nach Bereich ausdifferenzieren dürfte. „Es wird Bereiche geben, wo man so wenig Menschen wie nötig mit so viel Technologie wie möglich kombiniert, etwa im Backoffice oder bei Routinetätigkeiten. Wenn aber Spezialwissen und Technologiekompetenz gefragt sind, etwa in der Beratung beim Kunden, dürfte die Zahl der Beschäftigten eher noch steigen.“