Klare Regeln für Unternehmen
Die gute Nachricht vorab: Unternehmen in Europa werden künftig nachhaltige Kriterien deutlich stärker als bislang in ihrer langfristigen Unternehmensstrategie verankern. Doch sie tun es nicht ganz freiwillig. Grund ist eine europäische Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung, die die Europäische Union gerade vorbereitet. Wie der Name Sustainable Corporate Governance verrät, handelt es sich dabei um eine Kombination aus Nachhaltigkeit im Sinne von Umwelt und sozialen Faktoren auf der einen und Corporate Governance auf der anderen Seite. Diese Ansätze zu verbinden, ist elementar.
Die Bedeutung einer nachhaltigen Unternehmensführung ist seit dem Start des Aktionsplans für die Finanzierung nachhaltigen Wachstums im Jahr 2018 ein zentrales Thema des politischen Ansatzes der EU im Bereich Nachhaltigkeit. Dass diese strengeren Vorgaben durchaus notwendig sind, verdeutlicht eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Odgers Berndtson. Die Befragung unter Top-Führungskräften hierzulande ergab, dass es bei der operativen Umsetzung von nachhaltigen Kriterien häufig bei Lippenbekenntnissen bleibt. Vielmehr sei Nachhaltigkeit oft nur ein Thema auf Vorstandsebene, ohne das Gesamtunternehmen in seiner Breite zu durchdringen.
Auch wir bei der Deka beobachten, dass Nachhaltigkeit bei den meisten Unternehmen nach wie vor von der allgemeinen Geschäftsstrategie getrennt ist. Deshalb ist die Initiative aus Brüssel lobenswert und zu unterstützen. Es ist notwendig, dass das Thema Sustainable Corporate Governance in den Blickpunkt gerückt wird und konkrete Vorgaben geschaffen werden. Schließlich gibt es einen länderübergreifenden Handlungsbedarf.
EU-Richtlinie mit Schwächen
Doch die Richtlinie weist leider Schwächen beziehungsweise Fehleinschätzungen auf. Besonders kritisch ist die zeitliche Perspektive. Die EU-Kommission stellt den Aspekt der Kurzfristigkeit in den Vordergrund. Der Gedanke dazu lautet im Wesentlichen, dass Unternehmen dazu neigen würden, das kurzfristige Interesse ihrer Aktionäre über das langfristige Interesse des Unternehmens zu stellen. Dieser Fokus der Unternehmensentscheider auf kurzfristige Shareholder-Value-Maximierung reduziere die langfristige ökonomische, ökologische sowie soziale Nachhaltigkeit, heißt es aus Brüssel.
Die zentrale Debatte über den sogenannten „short-termism“ ist jedoch der falsche Ansatz und lenkt vom eigentlichen Thema ab. Unternehmen regulatorische Vorgaben zum Thema Langfristigkeit zu machen, könnte der gesamten Richtlinie mehr schaden als nutzen. Eine langfristige Sicht ist natürlich wichtig. Aber der pauschale Vorwurf, alle Unternehmen zielten nur auf Kurzfristigkeit ab, ist nicht zielführend. Es sollte vielmehr darum gehen, wie man Nachhaltigkeit unter einer langfristigen Brille vernünftig in das Governance-System implementieren kann, und das für ganz Europa.
Ein anderer Kritikpunkt betrifft das Verhältnis von Stakeholder und Shareholder. Die Deka hält immer noch die Rolle der Aktionäre, also der Eigentümer, für sehr zentral. Die EU-Kommission hat jedoch den Ansatz, dass nicht nur die Shareholder, sondern zunehmend auch die Stakeholder in die Entscheidungsfindung der Unternehmen eingebunden werden sollen. Das halten wir für falsch. Das Vorhaben, künftig deutlich stärker die Interessen von Gewerkschaften, NGOs und Kunden zu berücksichtigen, darf nicht zur Willkür und zu einer Entmachtung der Aktionärsrechte führen.
Messbare Nachhaltigkeitsziele
Unbestritten ist, dass vielen Unternehmen eine strategische Nachhaltigkeitsperspektive fehlt. Umwelt- und soziale Faktoren müssen deshalb strategisch in Unternehmen verankert werden. Um das nachvollziehbar zu machen, lautet eine Deka-Forderung, messbare und bindende Nachhaltigkeitsziele aufzustellen – für jedes Unternehmen.
Das bedeutet: Unternehmen müssen individuelle Leistungsindikatoren in Bezug auf die Nachhaltigkeitsgrößen Umwelt und Soziales definieren. Diese Key-Performance-Indikatoren (KPIs) sollten objektiv quantifizierbar sein, und sie müssen in die internen Kontroll- und Risikosysteme Einzug finden. Weil die Leistungskennzahlen als Teil der Unternehmensstrategie verankert werden, sollten sie sich auch in der langfristigen Vergütungskomponente des Vorstands niederschlagen.
Diese KPIs müssen natürlich unternehmens-, aber auch sektorspezifisch sein, weil die Treiber für eine Branche sehr identisch sind. Wichtig ist zudem, dass die Ziele eine langfristige Perspektive haben. Das bedeutet bis mindestens 2040 oder sogar 2050. Da aber so lange keine Vorstandsverträge laufen, braucht es auch Meilensteine dazwischen, genauer gesagt, Drei-, Fünf- und Zehnjahresziele für diese nachhaltigen Kenngrößen.
Die Sicherstellung, dass europäische Unternehmen messbare, spezifische, bindende und wissenschaftlich fundierte Nachhaltigkeitsziele verabschieden, die zudem von einem Wirtschaftsprüfer abgenommen werden, wäre aus unserer Sicht ein bedeutender Schritt zur Integration von Nachhaltigkeit in die Corporate Governance.
Trotz des zunächst erhöhten Aufwands werden die Unternehmen langfristig profitieren. Durch die Implementierung der Nachhaltigkeit in die Governance werden Firmen resilienter und stabiler. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Firmen, die Nachhaltigkeit in ihrem Geschäftsmodell und in ihrer Strategie integriert haben, besser durch die Krise gekommen sind, sowohl vom operativen Geschäft als auch vom Aktienkursverlauf. Das schafft einen Mehrwert und ist im Sinne der Aktionäre sowie des Unternehmens selbst, weil es dadurch langfristig Wettbewerbsvorteile hat.
Ingo Speich ist Leiter Corporate Governance & Nachhaltigkeit bei Deka Investment.
In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.