Klimafeinde sind immer die anderen
Wenn man Londons Bürgermeister etwas nicht vorwerfen kann, dann dass er ein Populist ist. Sadiq Khan macht sich mit dem Pöbel nicht gemein. Er nimmt ihn ins Visier. Soeben hat der Labour-Politiker angekündigt, die von seinem Vorgänger Boris Johnson erdachte „Ultra-Niedrigemissionszone“ ULEZ auf Greater London auszuweiten. Wer ein Fahrzeug besitzt, das nicht dem dafür geforderten Standard entspricht, wird ab Ende August kommenden Jahres eine Strafsteuer von 12,50 Pfund pro Tag bezahlen müssen, wenn er auf den Straßen der britischen Metropole unterwegs sein will. Nein, dabei handelt es sich nicht um die berüchtigte Innenstadtmaut. Die „Congestion Charge“ von 15 bis 17,50 Pfund pro Tag wird zusätzlich erhoben, wenn man ins Zentrum fährt. Es geht offenkundig darum, Kasse zu machen. Das zeigt sich daran, dass Khan die Fahrer von Batterieautos schon bald mit einem Mautsystem pro gefahrenem Kilometer zur Kasse bitten will.
Die ULEZ-Sondersteuer wird schon fällig, wenn Menschen aus dem Umland mit einem älteren Gefährt Freunde oder Verwandte am Flughafen Heathrow abliefern oder aufsammeln wollen. Dort wird ohnehin schon eine Drop-off-Gebühr von 5 Pfund erhoben, macht also 17,50 Pfund pro Fahrzeug, wenn die Emissionsvorgaben nicht eingehalten werden. Das ist viel Geld für viele Briten, die ohnehin unter rasant steigenden Lebenshaltungskosten ächzen. Am Amtssitz des Bürgermeisters rechnet man damit, dass rund 200 000 Fahrzeuge regelmäßig in der Stadt unterwegs sind, die mit der ULEZ-Sondersteuer belegt werden könnten. Nicht jeder kann es sich leisten, auf ein neues Modell umzusteigen, wenn der alte Wagen noch lange genutzt werden könnte. Entsprechend laut waren die Proteste von Verbänden wie dem mit dem ADAC vergleichbaren RAC. „Wenn diesen Gruppen die Fahrer so am Herzen liegen, sollten sie die Menschen dazu bringen, sauberere Fahrzeuge zu fahren“, entgegnete ihnen Khan. Die Regierung stehe nach der Pandemie in der Verantwortung, „ein grüneres Land“ aufzubauen. Wer wollte da widersprechen?
Doch von den Kosten einmal abgesehen ist die Verschrottung funktionstüchtiger Altfahrzeuge auch mit Blick auf die Ökobilanz keine gute Idee. Schließlich lässt sich nur ein Bruchteil der verbauten Rohstoffe zurückgewinnen, nicht zuletzt, weil die Hersteller lange auf nur sehr schwer zu recycelnde Verbundwerkstoffe setzten. Vielleicht wäre es unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sogar besser, sie möglichst lange zu nutzen. Das stört Khan nicht. ULEZ ist ein zentrales Thema seiner Politik. Im kommenden Mai erscheint sein Buch „Breathe: Tackling the Climate Emergency“ (Atme – Den Klimanotstand angehen). Tatsächlich ist die Luftqualität in London nicht viel besser als in mancher chinesischen Großstadt. Doch gäbe es auch andere Möglichkeiten, sie zu verbessern, als die Geringverdiener unter den Autofahrern aufs Korn zu nehmen.
Feinstaub ist ein großes Problem, das sich noch verschlimmern wird, wenn im Winter immer mehr Haushalte aus Kostengründen auf Holz als Brennstoff zurückgreifen. Für manche gehört das Kaminfeuer einfach zum Leben im englischen Landhausstil dazu, selbst wenn es in einer Millionenstadt stattfindet. Das Stadtzentrum von Brighton wurde von der dortigen Lokalverwaltung zur Smoke Control Area erklärt. Ab dem kommenden Jahr dürfen dort nur noch zertifizierte Holzöfen mit abgelagertem Holz betrieben werden. Es drohen empfindliche Geldstrafen. Londoner können von solchen Verhältnissen nur träumen.
Khans gut situierte Klientel hätte für solche Einschränkungen ihres Lifestyles sicher wenig übrig. So wenig wie er, wenn es um seine weltpolitischen Ambitionen geht. Nach Rechnung des Boulevardblatts „The Sun“ hat er mit seinem Team seit Amtsantritt mehr als 360 000 Flugmeilen angesammelt – von Wahlkampfauftritten für Hillary Clinton 2016 bis hin zu einem Klimagipfel in Buenos Aires im Oktober, an dem er auch virtuell hätte teilnehmen können. Fast 200 Tonnen CO2 wurden dabei in die Luft geblasen. Immerhin, für seine Abstecher zur Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo nahm er den Eurostar.