Unterm Strich

Kohlsuppe gegen die Inflation

Alles wird teurer, nur Kohl nicht. Um in Inflationszeiten Kaufkraft zu erhalten, sind neue Rezepte gefragt. Wie wär’s mit Kohlsuppe?

Kohlsuppe gegen die Inflation

Die Deutschen werden Kohlsuppe noch lieben lernen. Nicht etwa, um der sich weiter ausbreitenden Adipositas zu begegnen, gilt doch Kohlsuppe spätestens seit der Empfehlung durch Karl Lagerfeld als wirksame und zugleich hippe Schlankheitskur. Nein, Kohlsuppe empfiehlt sich zur Inflationsbekämpfung. Zwar kann Kohl nichts gegen die Ursachen der Inflation ausrichten, aber das kann ja nach eigener Einschätzung nicht einmal die Europäische Zentralbank (EZB). Um die Inflationsfolgen – sprich den Kaufkraftverlust – in Grenzen zu halten, ist Kohlsuppe jedoch das Rezept der Wahl. Denn Ukraine-Krieg, Energie- und Lebensmittelknappheiten sowie Inflationsrekorden zum Trotz ist Kohl eines der wenigen Lebensmittel, die nicht teurer, sondern deutlich billiger geworden sind. Vermehrter Kohlkonsum tut also nicht nur dem Stoffwechsel kaloriengeplagter Menschen gut, sondern auch dem Geldbeutel inflationsgeschädigter Konsumenten.

Ungenießbare EZB-Küche

Auch das Image des seit dem Mittelalter als Hauptnahrungsmittel insbesondere des Prekariats geschätzten Gemüses passt zur aktuellen Lage, in der Schmalhans Küchenmeister wird und alle den Gürtel enger schnallen müssen. Kein geringerer als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat schließlich jüngst angekündigt, Deutschland werde ärmer werden. Aber was heißt hier „werden“? Die Deutschen sind längst ärmer geworden. Daran haben viele Politiker und Notenbanker mitgewirkt, und über die Rollenverteilung dabei, wer Koch und wer Kellner ist, lässt sich trefflich streiten. Die von der EZB seit mehr als einem Jahrzehnt servierte Negativ- oder Nullzinspolitik, garniert mit üppigen Anleihekäufen, hat den Bürgern die Altersvorsorge verwässert. Und die von Pandemiebekämpfung und Klimawandel schon längst alle Maastrichter Markierungen überschwappende Staatsverschuldung wird künftigen Generationen schwer im Magen liegen.

Da ist es ein schwacher Trost, dass es aufgrund der demografischen Entwicklung zumindest in Deutschland immer weniger Menschen sein werden, die dann die heute von den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel eingebrockte Schuldensuppe auslöffeln müssen. Inflationszeiten sind für Staaten immer Jahre der realen Entschuldung. Deswegen wird die Politik den Appetit auf die bisher von den EZB-Köchen kredenzten Low-Rate-Menüs mit APP und PEPP als zentralen Zutaten nicht verlieren. Im Wissen um die Vorlieben der Euroland-Regierungen lässt „Chef de Cuisine“ Christine Lagarde die ultraexpansive Geldpolitik weiter köcheln, obwohl ihr Kollege in den USA den Herd längst ausgeschaltet hat und den geldpolitischen Menüplan neu schreibt. Dass Höherprozentiges den Investoren besser mundet, ist am Wechselkurs abzulesen. In nur einem Jahr verlor der Euro um 13% von 1,22 auf 1,06 Dollar und verteuert so in Euroland viele Importe und vor allem die Energierechnung zusätzlich. Es ist eine Frage der Zeit, bis die auch hausgemachte Inflation in eine Lohn-Preis-Spirale mündet, die Angebots- und Kosteninflation zur Nachfrageinflation wird.

Dass sich da aus Demografie, Arbeitskräftemangel, De-Globalisierung, Pandemie und Lieferkettenproblemen ein nicht bekömmlicher Cocktail zusammenbrauen würde, war bereits vor zwei Jahren absehbar. Wer immer nur dieselben, von keynesianischen Kochschulen empfohlenen Zutaten verwendet, sollte sich nicht wundern, wenn die Geschmacksnerven degenerieren und Geldpolitik dann dem eigenen Gusto, aber nicht den ökonomischen Erfordernissen folgt. Das aufgestaute Inflationspotenzial deshalb viel zu spät erkannt und dann viel zu spät reagiert zu haben, müssen sich Lagarde und ihre Mit-Köche im Direktorium vorwerfen lassen.

Zeit für den Menüwechsel

Der Ukraine-Krieg hat die inflatorische Entwicklung verschärft und die EZB ins Dilemma geführt. Will die EZB ihrem zentralen Auftrag zur Sicherung der Preisstabilität nachkommen, muss sie die vielen Geschmacksverstärker in ihrer expansiven Geldpolitik weglassen und auf die harte Kost spürbarer Zinserhöhungen umstellen. Um den Realzins Richtung „neutraler Zins“ und damit nahe null zu bekommen, ist es mit den bisher diskutierten Erhöhungen nicht getan. Ein Leitzins von 4 bis 5 % wäre wohl erforderlich, nicht zuletzt um die durch das Zaudern der EZB entankerte Inflationserwartung wieder einzufangen.

Die unvermeidliche Folge eines solchen Menüwechsels wäre Rezession. Das vorauseilende Lamento insbesondere der südeuropäischen Suppenkasper über die angeblich ungenießbare Geldpolitik ist gut vorstellbar. Man möge sich an die Zeit von vor zehn Jahren erinnern, als die Differenz der Rendite 10-jähriger deutscher und italienischer Staatsanleihen bei 500 Basispunkten lag. Die Staatsverschuldung Italiens gemessen am BIP betrug damals 127% in Italien und 81% in Deutschland, verglichen mit heute 151% in Italien und 69% in Deutschland (EU-Prognosen für 2022). Wenn also die EZB dem Rating Italiens den geldpolitischen Süßstoff entzöge, könnten die Spreads wieder 500 Basispunkte und mehr erreichen. Es ist absehbar, dass der damit verbundene haushaltspolitische Sparkurs und die Aussicht auf nur noch Kohlsuppe die verwöhnten südländischen Gaumen rebellieren ließen und die Währungsunion erneut vor die Existenzfrage stellten. Das weiß man natürlich auch im EZB-Tower, wo deshalb in der geldpolitischen Versuchsküche angeblich an neuen Rezepten gearbeitet wird, bei denen APP und PEPP durch andere, aber ähnlich wirkende Zutaten ersetzt werden.

Was auch immer die EZB-Köche sich einfallen lassen werden – die Kohlsuppe wäre ehrlicher. Bewährt seit der Antike und geschätzt schon im alten Rom, national angepasst und im „Almanach des Gourmands“ Anfang des 19. Jahrhunderts auch der höheren Küche empfohlen, hat sie sogar etwas Völkerverbindendes, das gerade in diesen Zeiten so dringend nötig wäre. Ergänzt um Rote Bete heißt sie Borschtsch und gehört zu den ukrainischen und russischen Nationalgerichten.

c.doering@boersen-zeitung.de