KI verändert das Dealmaking
KI verändert das Dealmaking
Von der Suche nach passenden Übernahmezielen über Due Diligence bis zu Vertragsentwürfen: An immer mehr Stellen kommt künstliche Intelligenz im M&A-Prozess zum Einsatz. Noch herrscht bei den Tools Wildwuchs. Doch schon jetzt ist klar, dass sich manche Geschäftsmodelle verändern werden.
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Stundenlanger Schreibtischdienst, Hunderte Seiten Vertragswerk und zu viel Kaffee – unter Juristen zählen solche Geschichten aus der harten Ausbildungszeit fast schon zum guten Ton, nahezu jeder hat eine parat. Jüngeren Generationen könnten solche Erfahrungen dagegen erspart bleiben, dank Künstlicher Intelligenz (KI). In M&A-Prozessen kann die Technologie viele Parameter verändern, gerade in den Daten-basierten Bereichen.
Bei der Suche nach passenden M&A-Zielen etwa rechnen 83% der Professionals mit Veränderungen durch die Technologie, ergab eine Umfrage von Linklaters und der TU München unter mehr als 230 Führungskräften und M&A-Verantwortlichen in Unternehmen. 84% erwarten Veränderungen im Due-Diligence-Prozess. Davon rechnen jeweils mehr als 40% sogar mit einem großen Einfluss der KI auf diese Bereiche. Weniger einschneidende Veränderungen dürfte es nach Einschätzung der Befragten beim KI-Einsatz in der Verhandlungsführung oder der Post-Merger-Integration geben.
Mario Pofahl, M&A-Partner bei Linklaters, sieht in vielen Schritten entlang des M&A-Prozesses bereits große Erleichterungen durch KI. Das liegt in vielen Fällen in der zugrundeliegenden Struktur der Aufgaben: „Jura ist die regelbasierte Anwendung von Sprache auf einen Sachverhalt“, erklärt Pofahl. Damit befinde man sich im Kerneinsatzbereich von Large Language Models, wie sie beispielsweise auch ChatGPT zugrunde liegen.
Solche Modelle kommen im M&A-Kontext etwa bei der Entwurfserstellung oder in der Due Diligence zum Einsatz, wenn Unterlagen zum Verkaufsprozess durchgegangen und geprüft werden. Die künstliche Intelligenz kann Dokumente zusammenfassen oder darin nach bestimmten Klauseln suchen. Aber auch bei Nebenaufgaben, beispielsweise dem Erstellen komplexer Charts, um Beteiligungsstrukturen grafisch darzustellen, ist die künstliche Intelligenz eine Hilfe. „Das sind für sich betrachtet vielleicht kleinere Themen, aber die Zeitersparnis läppert sich“, sagt Pofahl.
Dauerbrenner der Due Diligence
Das Potenzial für KI ist aus Pofahls Sicht groß, denn manche Themen sind Dauerbrenner im Rahmen von Due-Diligence-Prozessen. So steht die Prüfung von Change-of-Control-Klauseln, die im Falle eines Eigentümerwechsels mögliche Kündigungsrechte mit sich bringen, regelmäßig auf der Agenda. Die Klausel im Vertrag zu finden, ist mit KI bereits möglich – im nächsten Schritt könnte ein Tool auch Textbausteine für mögliche Herangehensweisen vorschlagen. „Ein Großteil der Mandantenempfehlungen ist in ähnlicher Form schon einmal formuliert worden“, erklärt Pofahl.
Viele Kanzleien fahren derzeit mehrgleisig und prüfen sowohl Kooperationen als auch eigene Entwicklungen von KI-Tools. Das erfordert mitunter große Investitionen. Die strategische Diskussion darüber, wie Mittel allokiert werden sollen, beschäftigen derzeit einige Häuser. Linklaters hat Ende 2024 die Testumgebung „AI Sandbox“ geschaffen, in der Beschäftigte in einer geschützten Umgebung an eigenen Ideen für den KI-Einsatz arbeiten können. Neben Ansätzen, die Kanzleien inhouse entwickeln, drängen auch externe Anbieter auf den Markt. Vor jedem Einsatz eigener KI muss allerdings sichergestellt sein, dass beispielsweise die datenschutzrechtlichen Vorgaben umgesetzt sind. Je vielfältiger die Tool-Landschaft ist, umso aufwendiger ist das. Die Wunschlösung vieler M&A-Juristen wäre daher eine zentrale Anwendung, die von Anfang bis Ende alle KI-Anwendungsfälle abdecken kann.
Es gibt Hunderte Tools.
Mario Pofahl, Linklaters
M&A-Anwalt Pofahl sieht darin zurzeit allerdings noch eine große Herausforderung beim Einsatz von KI: „Es gibt für jede Phase und jede Aufgabe im M&A-Prozess spezielle Anwendungen.“ Eine zentrale Anwendung zeichnet sich bislang nicht ab. „Es gibt Hunderte Tools“, sagt Pofahl. Allein das Linklaters-Team behalte weltweit etwa 300 Anwendungen im Blick. Noch sei unklar, welche sich durchsetzen und auf welches Pferd man setzen sollte. „Da den Überblick zu behalten, ist gerade eine der Hauptaufgaben.“
Auch Kai Hesselmann, Co-Gründer der M&A-Plattform Dealcircle, sieht gerade viele Neugründungen entlang der M&A-Wertschöpfungskette. „Es poppen immer wieder Innovationen und Insellösungen mit KI-Ansatz auf.“ Viele darunter zielten auf die Suche nach potenziellen Übernahmezielen, das Target Screening. Unter M&A-Beratern beobachtet Hesselmann ein Phänomen, das unter FOMO bekannt ist – fear of missing out. „Niemand will den Technologiezug vorbeifahren lassen. Das führt aber oft dazu, dass aktionistisch ein KI-Tool eingesetzt hat, das nur überschaubar hilfreich ist.“ Die große Auswahl an KI-Anwendungen führe leicht zu einer Überforderung bei den potenziellen Kunden.
Neue Allianzen
Für Dealcircle ist die wachsende Anzahl an Neukunden direkt geschäftsrelevant. Die Plattform hat sich auf M&A-Matching im Small- und Micro-Cap-Bereich spezialisiert und zielt auf Verkaufsberater und Käufer als Kunden. Über Algorithmen sollen die Sell-Side-Projekte mit passenden Käufern zusammengeführt werden. Die neuen Player wollen in dieses Feld vordringen. „Das ist schon ein Moment, wo sich Geschäftsmodelle ändern und man über Allianzen neu nachdenkt“, sagt Hesselmann.
Gegenüber den neuen Anbietern sieht er sich derzeit noch im Vorteil: „Wir haben in über sieben Jahren am Markt einen umfassenden Datenbestand aufgebaut, der Neugründungen nicht zugänglich ist“, sagt er. Diese müssten ihre Algorithmen zumeist mit öffentlich zugänglichen Daten trainieren. „Die breitere, eigene Datenbasis ist für uns ein Wettbewerbsvorteil.“
Um die eigene Position zu festigen, hat Hesselmann auch über Zukäufe bereits nachgedacht. Doch die technologische Differenzierung der KI-Start-ups sei oft zu gering, findet Hesselmann. „Viele Tools sind replizierbar. Da könnte man jährlich Dutzende Wettbewerber aufkaufen, es würden direkt wieder neue entstehen.“
Umgekehrt könnten auch Plattformen wie Dealcircle zu möglichen Übernahmezielen werden, denn auch Datenraumanbieter steigen verstärkt in das Matchmaking ein und bauen ihre Angebote mit KI-Tools aus. Beim Datenraumanabieter Intralinks beispielsweise soll der KI-Assistent Link den Anwendern Fragen zu den im Datenraum hinterlegten Dokumenten beantworten, zunächst für englische Texte.
Ein Teil der Erlöse könnte sich weg von den M&A-Beratern und hin zu automatisierten Matching-Angeboten verlagern.
Kai Hesselmann
Im vergangenen Jahr hat das US-Softwareunternehmen Intapp die Übernahme des Berliner Start-ups Delphai angekündigt. Das strategische Ziel hinter der Transaktion ist es, dessen Technologie in die eigenen Lösungen zu integrieren. Die Delphai-Software soll bei der Analyse von Daten unterstützen und kann auch bei der Suche nach möglichen Übernahmezielen zum Einsatz kommen. Zum Portfolio des Käufers Intapp gehört unter anderem die Deal-Management-Plattform Dealcloud.
Hesselmann geht davon aus, dass sich auch die Erlösmodelle der klassischen M&A-Beratung beim Matchmaking verändern werden. „Ein Teil der Erlöse könnte sich weg von den M&A-Beratern und hin zu automatisierten Matching-Angeboten verlagern“, erwartet er. Künstliche Intelligenz könne dadurch die Geschwindigkeit im M&A-Prozess steigern. Im Gegenzug könnten die Berater aber auch effizienter arbeiten und dadurch ihre Kosten senken. „Dann sinken vielleicht die Umsätze, aber nicht unbedingt die Profitabilität.“
Emotionale Begleitung
M&A-Berater werden aus Hesselmanns Sicht auch weiterhin benötigt. Zum einen, weil aus Haftungsgründen jemand die Verantwortung tragen müsse – zum anderen aber auch, weil es Themen gibt, bei denen die KI keine Hilfe ist. „Gerade im Small-Cap-Bereich sind die Unternehmen oft noch eng mit der Gründerpersönlichkeit verknüpft“, sagt Hesselmann. Für die Gründer sei ein Verkauf eine emotionale Ausnahmesituation. „Einen Menschen beim Verkauf seiner Firma zu begleiten, erfordert Empathie und Erfahrung. Dafür werden wir noch auf lange Zeit auch Menschen im Prozess brauchen“, ist er sicher. Auch bei Kaufpreisverhandlungen sieht er erfahrene Berater im Vorteil.
Im juristischen Kontext beobachtet Pofahl trotz aller Fortschritte nach wie vor „eine Grundskepsis bei vielen Mandanten“, wenn es um den Einsatz von KI geht. Mögliche Kostenersparnisse durch die Technologie seien in Gesprächen mit Mandanten im Moment noch nachrangig, berichtet Pofahl. Ein Grund dafür sei, dass die Arbeit „derzeit noch viel Mensch erfordert“. So müssten beispielsweise die Algorithmen noch auf neue Dateiformate angelernt und trainiert werden, der Output müsse noch genau geprüft werden. „Wir sehen durch den Einsatz von KI schon eine erhebliche Zeitersparnis, aber die wird sich in den kommenden Jahren noch deutlich steigern lassen“, erwartet der Jurist.
Stärkere Differenzierung
Spätestens dann dürfte es auch geschäftliche Veränderungen geben. Bestimmte Tätigkeitsfelder, die bislang regelmäßig auf den Rechnungen der Mandanten auftauchen, könnten schon in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören. „Große Deal-Teams mit vielen Associates, die Hunderte Dokumente durchsehen müssen – das dürfte langfristig Seltenheitswert haben“, sagt Pofahl. Stattdessen werde es noch stärker darum gehen, in M&A-Prozessen klug zu verhandeln, eine gute Deal-Struktur zu finden und kreative Lösungen zu erarbeiten.
„Der spannendste Teil unserer Arbeit liegt darin, mit anderen Menschen Lösungswege für komplizierte Transaktionen zu erarbeiten“, sagt der Jurist. „Das wird bleiben.“ Allerdings wird sich erst noch zeigen müssen, wie sich die Geschäftsmodelle entwickeln, wenn Teile der Routinearbeit automatisiert ablaufen. Pofahl glaubt, dass die Kanzleien ihr Leistungsspektrum stärker ausdifferenzieren werden. „Der Teil, auf den es künftig ankommt, erfordert Kreativität und Erfahrung. Wer es geschickt angeht, kann darin auch eine Chance sehen, das eigene Angebot vom Wettbewerb abzugrenzen und gezielt Schwerpunkte zu setzen.“