Tokio

Kugelschreiber fürs Klima

Wie kaum eine Nation ist Japan besessen von Stiften, Papier und Schreibwaren. Die dortigen Ingenieure tüfteln an immer ausgefeilteren Modellen.

Kugelschreiber fürs Klima

Schreibgeräte gehören genauso zu Japan wie Sushi und Zen: Jedes Jahr produziert die Inselnation 1,3 Milliarden Kugelschreiber, zehn Stück für jeden Einwohner! Die meisten Stifte gehen in andere Länder, Marken wie Frixion (mit ausradierbarer Tinte) und Hersteller wie Pilot sind in deutschen Geschäften gut vertreten. Aber wie kaum eine Nation ist Japan besessen von Stiften, Papier und Schreibwaren. Auf der teuersten Einkaufsstraße der Welt im Tokioter Stadtviertel Ginza zum Beispiel findet sich das zwölfstöckige (!) Schreibwarengeschäft Itoya. Die Wurzeln dieser Obsession liegen im 4. Jahrhundert, als die Japaner chinesische Schriftzeichen importierten und begannen, sie auf Papier zu pinseln.

Für ihre anspruchsvollen Kunden lassen sich die Hersteller der Schreibgeräte stets Neues einfallen. Gerade hat Branchenriese Mitsubishi Pencil seine Multicolor-Kugelschreiber umweltfreundlicher ge­macht. Deren neue Minen benötigen 30% weniger Kunststoff, indem der Hersteller die Wände der Plastikumhüllung um 40% verschlankt hat. Dadurch passt 70% mehr Tinte in die Mine, wodurch sie entsprechend länger hält. Der Hintergrund: Mit 32 Kilogramm pro Kopf erzeugen Japaner die weltweit zweitgrößte Menge an Plastikmüll.

Seit drei Jahren tüfteln Ingenieure von Mitsubishi, Nippon Paper und dem Papierhülsen-Spezialisten Showa Marutsutsu auch an Papierminen, die noch weniger Plastik verbrauchen und bei der Produktion fast kein klimaschädliches Kohlendioxid erzeugen. Die Spitze und der Ball bleiben metallen, aber die Kammer besteht nun aus vierlagigem Papier. Dieses Design erhöht die Kapazität für Tinte um 60% und enthält 88% weniger Kunststoff. Schon 2023 könnten diese Minen in Serie gehen.

Japanische Schreibwarenläden verkaufen eine unglaubliche Vielfalt an Kugelschreibern, Filz- und Bleistiften sowie zahllose Arten und Größen Papier. Selbst kleine Supermärkte führen ein umfangreiches Sortiment. Der Kugelschreiber kam zwar erst in den 1960er Jahren nach Japan. Aber die lokalen Hersteller verbesserten seine Eigenschaften, damit sich damit schneller und klarer schreiben ließ. Als Tintenbasis­ verwendete man bald Wasser statt Öl. Es folgten Stifte mit einem Tintengel, das rascher trocknete­ und wasserbeständiger war.

Parallel verkleinerten die Produzenten die Schreibkugel. In Europa bevorzugt man relativ breite Stiftspitzen von 0,8 bis 1,2 Millimeter, etwa für fette Unterschriften. Aber die Japaner schreiben viele Kanji-Zeichen, die manchmal aus zwei Dutzend dünnen Einzelstrichen bestehen. Dafür eignen sich Kugelschreiber mit einem Ball von 0,5 Millimeter besser. Heute bieten die Hersteller sogar Größen von 0,3 und 0,25 Millimeter an. Trotzdem „kratzen“ solche Kugelschreiber nicht übers Papier, sondern vermitteln weiter ein angenehmes Schreibgefühl. Darauf legen die Japaner sehr viel Wert: In den Fachgeschäften probieren sie aus, ob ihr Schreibstil mit Stift und Papier harmoniert.

Neuerdings erlebt Nippon eine Renaissance des Schreibens mit Füllfederhaltern. Das handgeschriebene Wort wird im digitalen Zeitalter zum ultimativen Luxus. Als einer der Ersten erkannte Nakaya Fountain Pen diese Veränderung im Verhalten der Konsumenten. Der Luxusableger des Füllerproduzenten Platinum zählt zu den erfolgreichsten Gründungen in der Branche für Schreibgeräte. In seinen Verkaufsstellen drängeln sich die Kunden, um das edle Schreibgerät selbst auszuprobieren. Nakaya stellt nur 1500 Stück jährlich her, von denen drei Viertel ins Ausland gehen. Ihre Füller betonen ihre japanische Herkunft mit kratzfestem und bunt gemustertem Urushi-Lack. Überraschenderweise sind die handgefertigten Basismodelle preisgünstiger als die Massenware der deutschen Nobelmarke Montblanc.

Das i-Tüpfelchen zu dieser Geschichte setzt der Kultladen Kakimori in der Hauptstadt Tokio. Dort erhalten Kunden nicht nur innerhalb von 20 Minuten ein Notizbuch aus selbstgewähltem Einbandmaterial und Papier. Dort können sie sich auch eine eigene Tinte für Kugelschreiber, Füller oder Pinsel aus 17 Farben selbst zusammenmischen. Zu den Favoriten der Kunden gehört – die Augenfarbe ihrer Katze.