Kuriose Facetten der Substitution
Notiert in Moskau
Kuriose Facetten der Substitution
Von Eduard Steiner
Ob das zu einem angesagten Trend wird? Gut, in Zeiten des Fischmangels zählt auch der Krebs als Fisch, sagen die Russen, wenn sie ausdrücken wollen, dass der Teufel in der Not Fliegen frisst. Und so könnte es schon sein, dass der eine oder andere Russe den Urlaub künftig in Nordkorea verbringt. Diktator Kim Jong-un will nämlich den neuen Strandkomplex Wonsan-Kalma – zwar um fünf Jahre zeitverzögert – bis Juni 2025 fertigstellen und zielt dabei insbesondere auf russische Urlauber ab, zumal mit den Russen nun auch eine militärische Kooperation besteht. 5,5 Kilometer lang ist der Sandstrand, mit Luxushotels auf Fünf-Sterne-Niveau wird die Anlage locken. Wermutstropfen: Ein nahegelegenes militärisches Gelände, auf dem ballistische Raketen getestet werden.
Touristenmagnet Sotschi
Gut, auch an der Schwarzmeerküste, wo die Russen nun vermehrt urlauben, weil sie nicht mehr so leicht in den Westen fahren können, sind die Waffen nicht weit. Dennoch besuchten etwa den Nationalpark Sotschi im vergangenen Jahr 2,7 Millionen Russen, eine ganze Million mehr als noch ein Jahr zuvor. Und aktuell machen Fotos von den Skiliften aus dem Hinterland von Sotschi, Ort der Olympischen Winterspiele von 2014, die Runde. Einheitliches Sujet: Alles heillos überfüllt, riesige Warteschlangen schon bei der Anfahrt, elendslange Wartezeiten bei den Liften, und dann auch bei der Abfahrt auf den Hängen. Von den Restaurants ganz zu schweigen.
Als die Anlagen für die Olympischen Spiele gebaut worden waren, hatten Kritiker moniert, dass dieses Unterfangen nicht nachhaltig sei. Zumal ohnehin alle, die es sich leisten konnten, ins Ausland reisten. Die Ironie des Schicksals brachte es schon seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 mit sich, dass der Binnentourismus an Fahrt gewann und die Nachfrage das Angebot immer mehr übertraf. Entsprechend zogen auch die Preise an. Heute gehört der Binnentourismus zu den blühenden Sektoren im Land mit jährlichen Wachstumsraten von 40%. Neben der Landwirtschaft (stimuliert durch das Importembargo auf westliche Agrarprodukte nach 2014), anderen Dienstleistungen und einfachen Konsumartikeln ist es jener Wirtschaftssektor, auf dem eine erfolgreiche Importsubstitution stattfindet.
Chinesen bieten sich an
Wo Russland eine Importsubstitution nicht schafft, springen vor allem die Chinesen bereitwillig in die Bresche. Inzwischen decken sie zwei Drittel der russischen Importe ab. Dass sie den russischen Markt für neue Pkw dominieren, gehört zu den Phänomenen, die vor drei Jahren noch als völlig undenkbar gegolten haben. Dass sie inzwischen sogar Bier nach Russland liefern, hat man so vielleicht auch nicht erwartet. „Ich muss sagen, dass es tadellos schmeckt“, erzählte ein Moskauer Mittfünfziger, der wie die meisten Russen heutzutage lieber nicht namentlich genannt werden möchte, dazu kürzlich im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Und dass die Flaschen nicht 0,5, sondern 0,64 Liter beinhalten, mag als Kleinigkeit erscheinen. Ich empfinde das als angenehm.“