Larry Fink: Anwalt des Stakeholder-Kapitalismus
Larry Fink hat mich nicht gefragt, ob er als Treuhänder meines bei BlackRock angelegten Geldes einen Brief an die Chefs der größten Konzerne der Welt schreiben darf. Er hat auch nicht gefragt, ob ich seinen Ansichten und vor allem seinen Forderungen an die Unternehmenslenker zustimme. Für mich ist das kein Problem, da ich seine Sichtweise, Thesen und Anliegen weitgehend teile. Doch nicht wenige Investoren halten es für anmaßend, wenn BlackRock-Chef Fink als Treuhänder und Verwalter ihrer Vermögen den Unternehmerkollegen die Marschrichtung vorgibt. Denn was Fink den Unternehmen ins Stammbuch schreibt, ist nichts fürs Poesiealbum, sondern beeinflusst angesichts der Finanzkraft von BlackRock Strategie- und Investitionspläne der Unternehmen. Der vor 34 Jahren als Start-up gegründete Assetmanager ist heute mit verwalteten Kundengeldern von mehr als 10 Bill. Dollar, davon 6,6 Bill. Dollar in passiv investierenden Fonds, die Nummer 1 der Branche und zählt bei vielen börsennotierten Konzernen zu den größten Aktionären.
Finks zehnter CEO-Brief
„Die transformative Kraft des Kapitalismus“ hat Fink seinen diesjährigen Brief überschrieben. Als er sich vor zehn Jahren erstmals öffentlich an seine CEO-Kollegen in der Welt wandte, standen Finks Kritik am börsengetriebenen Kurzfristdenken und sein Werben für langfristige Geschäftsmodelle im Fokus. Im Lauf der Jahre kamen Themen wie Nachhaltigkeit, ESG und Purpose hinzu, die nun im Jubiläumsbrief zu einem Plädoyer für den Stakeholder-Kapitalismus kulminieren.
Shareholder als Stakeholder
Dass für die langfristig erfolgreiche Entwicklung und Wertsteigerung von Unternehmen die Interessen von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Regulatoren und Standortgemeinden zu berücksichtigen sind, ist zwar – zumal in Deutschland aufgrund der Tradition des „rheinischen Kapitalismus“ – auch schon den Apologeten des Shareholder-Value-Ansatzes geläufig gewesen. Doch so explizit wie Fink hat das bisher noch niemand aus der Wall-Street-Community vertreten. Sogar die Gründung eines „Center for Stakeholder Capitalism“ kündigt er an, das den Einfluss des Stakeholder-Dialogs auf den Shareholder Value wissenschaftlich erforschen und in der Praxis diskutieren soll.
BlackRocks klares Eintreten für die Dekarbonisierung ist mutiger, als es durch die europäische und deutsche Brille erscheint, wo dies längst Mainstream ist. Denn viele Anleger in BlackRocks Heimatmarkt, institutionelle ebenso wie private, stehen dem Null-Emissions-Ziel kritisch gegenüber oder bestreiten gar den Klimawandel beziehungsweise den Einfluss der Wirtschaft darauf. Es ist noch nicht so lange her, dass die USA unter ihrem damaligen Präsidenten Donald Trump das Pariser Klimaschutzabkommen aufgekündigt haben und erst unter Präsident Biden wieder zurückgekehrt sind. Für manche US-Bundesstaaten sind unverändert Kohlebergbau, Öl- und Gasförderung die Lebensader. Und so kann es nicht verwundern, dass am Tag der Veröffentlichung von Finks Brief das Treasury des Bundestaates West Virginia ankündigte, künftig bei der Verwaltung ihrer Gelder auf die Dienste von BlackRock zu verzichten.
^Dass BlackRock den wohlfeilen Worten zuweilen auch Taten folgen lässt, hat im zurückliegenden Frühjahr der Ölkonzern ExxonMobil spüren müssen, als der Assetmanager den aktivistischen grünen Hedgefonds Engine No. 1 dabei unterstützte, drei Board-Sitze zu erobern. Doch Kritikern aus dem Lager der Umweltaktivisten ist das zu wenig. Sie verweisen darauf, dass BlackRock bei eigenen Investments ihren hohen Ansprüchen nicht gerecht werde. Nach wie vor investiere BlackRock in die Öl- und Gasindustrie, im Dezember zusammen mit einem saudischen Assetmanager 15 Mrd. Dollar in das Pipelinenetz von Saudi Aramco.
Kritik der Republikaner
Die Argumentation BlackRocks bei diesem Thema erinnert an jene der Politik hierzulande: Die Transformation zur klimafreundlichen Wirtschaft mit dem Null-Emissions-Ziel werde nur gelingen, wenn man niemanden zurücklasse und die sozialen Folgen im Blick behalte. Deshalb lehnt es BlackRock ab, Kapital aus CO2-intensiven Anlagen oder ganzen Branchen komplett abzuziehen. Denn die Folge wären Energiepreise, die zur Spaltung der Gesellschaft beitrügen. Zu Letzterer beizutragen und Handlanger der politischen Linken zu sein, werfen republikanische Politiker dem sich zu den Demokraten bekennenden Larry Fink schon lange vor. In der Tat muss man fragen, ob es Aufgabe von Vermögensverwaltern ist, in politisch kontroversen Themen so dezidiert Partei zu ergreifen oder Fragen von sozialer oder Verteilungsgerechtigkeit zu adressieren. Nicht ohne Grund stellt Fink deshalb klar, dass die Verantwortung am Ende bei der Politik liege. Die Regierungen sollten marktübergreifend für eine einheitliche Taxonomie sorgen. Die Unternehmen könnten und sollten nicht Klimapolizei spielen. Der Kapitalismus – und damit BlackRock – könne aber als Motor dieser Veränderung wirken.
Demokratischer Kapitalismus
Finks Jubiläumsbrief zum Stakeholder-Kapitalismus lässt, zumal vor dem Hintergrund der Kritik an BlackRock, auch die Reflexion der eigenen Rolle und Macht erkennen. Ihre eigenen Stakeholder, sprich Kunden will BlackRock stärker einbeziehen. Man arbeite an Technologien, damit Kunden bei investierten Unternehmen unmittelbar ihre Stimmrechte ausüben könnten. Bei bestimmten institutionellen Kunden, insbesondere Pensionskassen, sei dies heute bereits möglich. Ziel sei es, dies irgendwann auch jedem privaten Anleger zu ermöglichen und damit zu einem „demokratischeren Kapitalismus“ zu gelangen. Angesichts der regulatorischen und vermutlich auch logistischen Hürden ist dies wohl ein ähnlich langfristig angepeiltes Vorhaben wie die Netto-null-Emissionen. Bis dahin wird Larry Fink mich als Anleger weiterhin ungefragt vertreten dürfen.
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