LEITARTIKEL

Lehrstunde für China

Chinas große Ambition, zu einer weltweit führenden Technologienation aufzusteigen, erfährt im Rahmen des laufenden Handelsstreits mit den USA einen Realitätscheck besonderer Güte. Als Hingucker erweist sich dabei der Fall ZTE. Der Telekomausrüster...

Lehrstunde für China

Chinas große Ambition, zu einer weltweit führenden Technologienation aufzusteigen, erfährt im Rahmen des laufenden Handelsstreits mit den USA einen Realitätscheck besonderer Güte. Als Hingucker erweist sich dabei der Fall ZTE. Der Telekomausrüster und Smartphonebauer ist inmitten des Handelsstreits im Zusammenhang mit der Verletzung von US-Sanktionen zu Iran-Geschäften mit einer Sperre für Zulieferungen von US-Unternehmen belegt worden. ZTE ist bei Halbleitern und anderen wichtigen Bauteilen sowie dem Handy-Betriebssystem Android auf US-Adressen angewiesen und musste deshalb vorläufig die Produktion einstellen. Die akute Existenzbedrohung für den weltweit viertgrößten Telekomausrüster ist über einen im Rahmen der bilateralen Handelsgespräche erwirkten Kompromiss wieder abgemildert worden. Nach happiger Geldstrafe, einem Komplettaustausch der Managementriege sowie einer Reihe weiterer Auflagen darf ZTE erneut US-Komponenten beziehen und in stark angeschlagenem Zustand die Geschäfte wieder aufnehmen. Nun sind die lange ausgesetzten ZTE-Aktien wieder in den Handel zurückgekommen und signalisieren mit einem Kursabsturz von gut 40 %, dass die Gesellschaft zwar am Boden liegt, aber die Chance hat, sich wieder aufzurappeln. Wie man einen global aufgestellten Technologiekonzern nach einem mehrwöchigen Totalausfall des Geschäfts und vor allem dem schlagartigen Abgang der gesamten oberen Management-Hierarchie wieder flottbekommt, wird sicherlich eine interessante Case Study für einschlägige Business Schools abgeben. In China wiederum wird man insbesondere auf staatlicher Ebene einige Lehren aus dem Fall ziehen wollen. Klar ist, dass Peking ein manifestes Interesse daran hat, dem privaten Unternehmen mehr oder weniger diskret Beistand zu leisten. Schließlich spielt ZTE eine wichtige Rolle im fieberhaften Wettrennen mit den USA bei der Entwicklung von neuen Standards und Patenten im Rahmen der sogenannten 5G-Netzwerk-Technologie für die kommende Generation von Mobilfunkdiensten. Andererseits ist man wütend, wie ZTE mit großer Leichtfertigkeit und teilweise stümperhaftem Vorgehen auf die harmloseren ersten Strafauflagen wegen unlauterer Iran-Geschäfte reagierte und damit die vermeidbare drakonische Technologiesperre provozierte. Mit dem Ringen um einen Kompromiss zur Rettung von ZTE hat sich China nämlich in eine geschwächte Position bei Handelsgesprächen manövriert. Die mit dem Handelskonflikt zusammenfallende Umsetzung der Technologiestrafe dürfte sich aus amerikanischer Sicht als probates Druckmittel für ein weiter gehendes Entgegenkommen der chinesischen Seite bei den Handelsgesprächen erwiesen haben. Ob man sich damit vor dem Horizont eines langgesteckten industriepolitischen und strategischen Wettbewerbs um eine Führungsrolle in sensiblen Technologiebereichen einen Gefallen getan hat, steht auf einem anderen Blatt. China ist schmerzhaft vorgeführt worden, in welchem Maß die heimische Industrie auf amerikanische Technologie insbesondere im Halbleiterbereich angewiesen ist, und hat erkennen müssen, dass es sich damit erpressbar macht. Die Reaktionen auf dieses nun plakativ vor Augen gehaltene Manko fallen rasch und heftig aus. Peking mobilisiert gewaltige Mittel, um eine neue Offensive zum Heranzüchten einer hauseigenen Halbleiterindustrie in wesentlichen Bereichen herauszubilden. Jetzt wird Tempo wie nie zuvor gemacht. Gleichzeitig sieht man auch Chinas private Industrie zu einem noch weiter gehenden Schulterschluss mit staatlichen Instanzen aufgerufen, um sich im nationalen wie im eigenen Interesse für einen autarken Auftritt und eine Loslösung von US-Zulieferern zu rüsten. Chinas kapitalkräftige Technologieriesen wie Alibaba und Tencent fühlen sich geradezu galvanisiert, künftig Ressourcen in diese Bereiche zu stecken. Alibaba-Chef Jack Ma etwa hat gleich nach Verkündung der ZTE-Strafe dazu aufgerufen, sich von den Fesseln einer Abhängigkeit von US-Technologie zu befreien, und ist auch gleich via Übernahme eines kleineren chinesischen Chipherstellers mit gutem Beispiel vorangegangen. Chinas Rückstand in der Halbleitertechnik wird nun auch von privaten Tech-Champions in Angriff genommen. Damit könnte ein Turbo gezündet werden, der den Fall ZTE auf noch ganz andere Weise zu einem Lehrbuchfall für das amerikanische-chinesische Kräftemessen im Technologiesektor macht. —–Von Norbert Hellmann Egal, wie das Drama um US-Strafen gegen Telekomausrüster ZTE ausgeht – Chinas Industrie wird alles daransetzen, ihre Abhängigkeit von US-Komponenten zu reduzieren. —–