LeitartikelLkw-Industrie

Die Gesetze des Marktes

Die Lastwagenbranche kämpft mit der schwachen Nachfrage in Europa. Gleichzeitig muss sie den Wandel zu emissionsfreien Antrieben bewältigen. Das sind auch die Hauptthemen auf der Branchenmesse IAA in der nächsten Woche in Hannover.

Die Gesetze des Marktes

Lkw-Industrie

Die Gesetze des Marktes

Von Joachim Herr

Die Lastwagenbranche kämpft mit der schwachen Nachfrage in Europa. Das war bis vor Kurzem ganz anders.

Ziemlich lange sah es so aus, als wäre dieses Mal alles anders. Die Konjunktur in Europa und besonders in Deutschland zeigte vor etwa zwei Jahren erste Anzeichen der Schwäche. Doch das Geschäft der Lkw-Industrie lief und lief, obwohl die Branche im Ruf steht, ein zuverlässiger Frühindikator für Auf- und Abwärtsbewegungen der Wirtschaftslage zu sein.

Käufer mussten außergewöhnlich lange Wartezeiten für bestellte Lkw hinnehmen. Als Folgen der Corona-Pandemie und von Engpässen in Häfen und der Schifffahrt fehlte es den Herstellern hinten und vorn an Komponenten. Nicht nur mangelte es an Halbleitern, auch an Motoren, Reifen und Kunststoffteilen – sogar an Schrauben. Bestellungen nahmen die Truck-Produzenten in Europa und Nordamerika zeitweise nur selektiv an. Der Berg an Aufträgen türmte sich immer höher auf.

Ein Schlaraffenland

Die bis an den Rand gefüllten Auftragsbücher brachten der Branche längere Zeit eine hohe Auslastung der Produktion, obwohl die Bestellungen abnahmen. Das knappe Angebot machte es den Lkw-Herstellern zudem relativ leicht möglich, die Preise zu erhöhen – und nicht nur die gestiegenen Kosten für Material, Rohstoffe, Energie und Transport an die Kunden weiterzugeben. Die Profitabilität der Unternehmen nahm zu. Die Branche erlebte ein Schlaraffenland.

Nach dem Ende der Geschäftsphase unter Volldampf lautete das Schlüsselwort der Manager „Normalisierung“. Die Gesetze des Marktes mit einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage gelten wieder. Von einer Krise zu sprechen, wäre übertrieben. Das wird auch der Tenor auf der Branchenmesse IAA in der kommenden Woche in Hannover sein. Schwierig ist die Lage auf dem europäischen Lkw-Markt jedoch allemal, besonders in Deutschland. In Nordamerika sieht es noch besser aus. Asien ist seit längerem schwach – vor allem China –, spielt aber für die europäischen Konzerne Daimler Truck, Volvo und Traton bei weitem nicht so eine wichtige Rolle wie für die deutsche Autoindustrie.

Wieder in der Balance

In Europa bleibt die erhoffte Belebung der Lkw-Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte aus. Die Unternehmen reagieren – nicht hektisch, aber gezielt. Volvo hat schon Ende 2023 damit begonnen, die Abschwächung aufzufangen: Produktion und Nachfrage sind offenbar wieder in der Balance. Die deutschen Konkurrenten Daimler Truck und Traton nutzen hierzulande Kurzarbeit: die Marke Mercedes-Benz in ihrem größten Werk in Wörth, MAN in München, Nürnberg und Salzgitter.

Offen ist, ob das genügt oder ob solche Schritte in anderen Werken folgen. Die Schwierigkeit ist, die Marktentwicklung über drei, vier Monate hinaus einigermaßen zuverlässig abzuschätzen. Auf Flexibilität in der Produktion kommt es nun an.

Entscheidend sind die Gesamtkosten

Die Nachfrageschwäche trifft mit dem Wandel zu alternativen, emissionsfreien Antrieben zusammen. Ähnlich wie für die Pkw-Industrie bedeutet das eine starke Doppelbelastung der Unternehmen. Umsatz und Gewinn sinken, der Investitionsbedarf bleibt hoch. Das gilt vor allem für Daimler Truck und Volvo, die zweigleisig unterwegs sind: Sie setzen für die erste Zeit auf batterieelektrische Lkw, auf längere Sicht aber auch auf die Brennstoffzelle als Antrieb für Lkw im Schwerlastverkehr und auf langen Strecken. Dass die Konkurrenten in einem Joint Venture ihre Kräfte bündeln, ist sowohl technisch als auch finanziell gesehen sinnvoll.

Die Bestellungen für Elektro-Lkw nehmen kräftig zu, starten aber auf sehr niedrigem Niveau. Von den neu zugelassenen Nutzfahrzeugen in Europa im vergangenen Jahr hatten nur knapp 7% einen batterieelektrischen Antrieb. In der Klasse der Lkw mit einem Gesamtgewicht von mehr als 16 Tonnen ist es gerade einmal 1%. Verglichen mit Dieselfahrzeugen liegt der Anschaffungspreis zweieinhalb- bis dreimal so hoch. Entscheidend für die Kunden, zum Beispiel Speditionen, ist die Summe der Kosten während der gesamten Einsatzjahre eines Lkw – die sogenannten Total Costs of Ownership. Zur Parität mit dem Diesel und somit einer vergleichbar hohen Nachfrage ist der Weg noch weit. Die Gesetze des Markts gelten auch hier.

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