Blickfeld Schwache Nachfrage

Kurzarbeit in der deutschen Lkw-Industrie

Die Nachfrage nach Lkw hat sich in Europa stark abgekühlt. Die Hersteller passen ihre Produktionskapazitäten an. Ein Teil der Beschäftigten von MAN in München ist in Kurzarbeit, Daimler Truck folgt demnächst.

Kurzarbeit in der deutschen Lkw-Industrie

Auf der Holperstrecke in Europa

Die Nachfrage nach Lkw hat sich stark abgekühlt. Die europäischen Hersteller passen ihre Produktionskapazitäten an. Daimler Truck und MAN nutzen das Instrument der Kurzarbeit.

Von Joachim Herr, München

Aus einer Normalisierung der Nachfrage wird Kurzarbeit. Vom 1. September an fährt Daimler Truck im Werk in Wörth bei Karlsruhe, der größten Lkw-Fabrik im Produktionsverbund des Konzerns, weniger Stunden. Rund 10.000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Inzwischen steht fest, dass die Kurzarbeit die Hälfte von ihnen trifft und zunächst auf sechs Monate beschränkt ist, wie eine Sprecherin von Daimler Truck berichtet. Das Instrument werde flexibel eingesetzt und nur am Standort Wörth.

Grund für die reduzierte Arbeit ist die flaue Nachfrage nach Lkw in Europa. Der Vorstand von Daimler Truck hatte auf eine Belebung in der zweiten Hälfte dieses Jahres gehofft. Doch Anfang August musste Konzernchef Martin Daum feststellen: „Der Markt bleibt bis Ende dieses Jahres schwach.“

Absatz um 40 Prozent gefallen

Die Produktion ist bei Weitem nicht ausgelastet. Der Absatz von Lkw der Marke Mercedes-Benz sackte in Europa im zweiten Quartal dieses Jahres um rund 40% ab. Besonders der deutsche Markt ist schwach, was Mercedes-Benz hart trifft: In der Heimatregion ist der Marktanteil der Marke doppelt so hoch wie in den anderen europäischen Ländern.

Die Konkurrenz bekommt die abgekühlte Gesamtkonjunktur freilich ebenfalls zu spüren. Traton, die Nutzfahrzeugholding von Volkswagen, meldete für Europa einen Rückgang des Absatzes im ersten Halbjahr um 9%, für den Auftragseingang sogar ein Minus von 28%. MAN, eine der vier Marken von Traton, leidet mit einem Rückgang der Lkw-Bestellungen um rund ein Drittel ebenfalls an der Flaute in Deutschland, ihrem wichtigsten Markt. „Die Kunden werden vorsichtiger, vor allem in Europa und in den USA“, kommentierte Christian Levin, der Vorstandschef von Traton, die jüngsten Geschäftszahlen.

Kurzarbeit von MAN in München

MAN passe seit einiger Zeit die Kapazitäten in München und im polnischen Werk in Krakau an, berichtet ein Sprecher des Münchner Unternehmens. Alle Instrumente der Flexibilisierung wie Arbeitszeitkonten seien frühzeitig genutzt worden. Im Münchner Werk gibt es Kurzarbeit – wie demnächst am Mercedes-Benz-Standort Wörth. Das gelte nicht für alle Beschäftigten. Einzelheiten nennt der Sprecher nicht. „Wir produzieren aktuell auf deutlich abgesenktem Niveau.“ In der Sommerpause ruhte die Fertigung gerade ohnehin drei Wochen lang.

Um mehr Aufträge zu gewinnen, hat MAN nach eigenen Angaben „ein Bündel von vertriebsfördernden Maßnahmen erarbeitet“. Kunden werden gezielt angesprochen. Die Hersteller sind allerdings bestrebt, die Preise stabil zu halten, um die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Die Margen stehen wegen der schwächeren Auslastung der Kapazitäten ohnehin unter Druck.

Volvo reagiert schon seit November

Auch der schwedische Konkurrent Volvo bezeichnet die Entwicklung in Europa als Normalisierung. Der Auftragsberg, den die Branche in den drei vergangenen Jahren vor allem wegen Engpässen in der Lieferkette angehäuft hatte, ist weitgehend abgetragen. Hinzu kommt, dass angesichts der Konjunkturschwäche das Transportvolumen abgenommen hat. „Große Flotten setzen ihre Ersatzbeschaffungen fort“, heißt es im Halbjahresbericht von Volvo. Kleinere Kunden hielten sich jedoch mit der Vergabe von Aufträgen zurück.

Volvo reagierte ziemlich früh auf die normalisierte Nachfrage. Das Unternehmen habe in Europa schon im November begonnen, die Kapazitäten anzupassen, berichtete vor kurzem Finanzvorstand Mats Backman in der Halbjahreskonferenz. Nach weiteren Veränderungen im ersten Quartal seien Nachfrage und Kapazitäten seit dem zweiten Dreimonatsabschnitt wieder im Gleichgewicht.

Marge sinkt deutlich

Der Vorstand von Daimler Truck zeigt sich fest entschlossen, gegen die Schwäche in Europa vorzugehen. Die Marge der Lkw der Marke Mercedes-Benz mit dem Absatzschwerpunkt Europa und Brasilien fiel im zweiten Quartal trotz eines kräftig erholten Geschäfts in Südamerika auf 6,5%. Im Vorjahr waren es 9,8%. „Damit sind wir nicht zufrieden“, gab Daum zu.

Vor drei Jahren vor dem Börsengang im Dezember 2021 hatte er den Investoren versprochen, die Profitabilität aller Segmente von Daimler Truck auf ein im Branchenvergleich stattliches Niveau zu heben. Auch in Phasen mit einer schwachen Konjunktur sollen die Margen relativ hoch bleiben.

„Der nächste logische Schritt“

Die reduzierte Arbeitszeit in Wörth, mit der Mercedes-Benz im September beginnt, stößt auf das Verständnis der Arbeitnehmerseite. „Nachdem die Arbeitszeitkonten in Wörth bereits im Minus sind, ist Kurzarbeit der nächste logische Schritt“, sagt Michael Brecht, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Daimler Truck.

Für den Fall, dass auch andere Standorte in Kurzarbeit gehen müssten, seien gleiche Konditionen für alle vereinbart worden. Brecht richtet den Blick aber schon auf bessere Zeiten: „Wichtig ist, dass wir diese Phase gut überstehen und bei anziehender Nachfrage wieder Gas geben können.“

Im Juni hatte der Betriebsratschef im Gespräch mit der Börsen-Zeitung auf die hohe Flexibilität hingewiesen und betont: “Ein strukturelles Problem hat Daimler Truck nicht." Schon da gab es etwas Unruhe in der Belegschaft. Das Auf und Ab der Konjunktur ist für viele allerdings nichts Neues. „Durch den Abschwung müssen wir durch“, sagt Brecht.

„Mehr als herausfordernd“

Daum weist außer auf flexible Arbeitszeiten auch auf andere Möglichkeiten hin, Ausgaben zu senken: zum Beispiel die Kosten für Energie und für Logistik. Der Materialfluss lasse sich optimieren. Die aktuelle Lage macht es für das Unternehmen schwieriger, eines seiner Ziele zu erreichen: Die Fixkosten sollen im nächsten Jahr 15% niedriger sein als 2019. „Das ist mehr als herausfordernd“, sagte Finanzchefin Eva Scherer, die seit April im Vorstand ist. Bis 2023 gelang eine Senkung um 6%. Wie die 15% dennoch erreicht werden sollen, will Scherer im November erläutern.