Italiens Krisenunternehmen

Milliarden für Zombies

Italiens neue Regierung muss sich mit Krisenbanken und Zombie-Unternehmen herumschlagen, in die der Steuerzahler schon Milliarden gepumpt hat, ohne dass je Besserung eintrat.

Milliarden für Zombies

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat von ihrem Vorgänger Mario Draghi eine ganze Reihe von ungelösten Problemen im Unternehmens- und Bankensektor „geerbt“, deren Lösung immer dringender wird. Je länger dies dauert, desto teurer wird es. Dennoch zeichnen sich in den meisten Fällen keine schnellen Lösungen ab.

Die zu 64 % staatliche Krisenbank Monte dei Paschi di Siena (MPS) hat gerade mit Mühe eine für ihr Überleben zentrale Kapitalerhöhung über 2,5 Mrd. Euro abgeschlossen. Das gelang nur deshalb, weil Rom massiven Druck auf diverse Banken- und Sparkassenstiftungen ausübte, sich trotz großer ökonomischer Zweifel an der Maßnahme zu beteiligen. Außerdem mussten exorbitant hohe Gebühren von 125 Mill. Euro an ein Bankenkonsortium gezahlt werden, das Bürgschaften übernommen hatte. Dabei muss der Steuerzahler, der die Bank bereits 2017 mit einer Kapitalspritze von 5,4 Mrd. Euro vor dem Konkurs gerettet hatte, mit 1,6 Mrd. Euro ohnehin den größten Batzen der Kapitalerhöhung zahlen.

Ohne die Kapitalerhöhung hätte die Bank die Kapitalanforderungen der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht erfüllen und den Abbau von 4 100 der 21 000 Stellen nicht finanzieren können, der zentral ist, um die Kosten zu reduzieren. Damit wäre der nach Ansicht vieler Beobachter ohnehin nicht realistische Strategieplan von CEO Luigi Lovaglio nicht zu erfüllen gewesen. Die nach den europäischen Regeln durchaus zu diskutierende Frage, ob die Bank nicht ein Fall für den dafür vorgesehenen Abwicklungsmechanismus ist, wurde nie geprüft.

Zwischenetappe

Dabei ist die Kapitalerhöhung ohnehin nur eine Zwischenetappe. Die drohende Rezession, die Verwicklung des Instituts in Rechtsstreitigkeiten mit Milliardenrisiken und der hohe Bestand an italienischen Staatsanleihen im Portfolio belasten die Bank. Die EU hat zwar die Frist für die Privatisierung gegen Auflagen bis 2024 verlängert. Doch potenzielle Investoren haben bisher alle abgewinkt. Wenn überhaupt, dann erscheint ein Verkauf nur mit erheblichen weiteren Zugeständnissen auf Kosten des Steuerzahlers realistisch. In der Zwischenzeit sind negative Überraschungen nicht ausgeschlossen. Schließlich hat die Bank bei diversen Kapitalerhöhungen in den letzten 14 Jahren bereits 25 Mrd. Euro verbrannt.

Ein Milliardengrab war die Geschichte der Fluggesellschaft Alitalia, die den Steuerzahler seit den siebziger Jahren mit mehr als 14 Mrd. Euro belastet hat. Im Oktober 2021 startete die ebenfalls staatliche ITA Airways, die zwar de facto in vielerlei Hinsicht identisch mit der Alitalia ist, de jure aber nicht deren Rechtsnachfolgerin ist. Brüssel gestattete Rom sogar, der neuen Gesellschaft mit weiteren 1,35 Mrd. Euro unter die Arme zu greifen. Doch das Geld ist fast aufgebraucht. Die Gesellschaft, die täglich 1 Mill. Euro verbrennt, soll bis Ende des Monats nach den bereits gezahlten 700 Mill. Euro noch einmal 400 Mill. Euro erhalten. Danach kann sie nur noch 250 Mill. Euro Staatsknete erhalten.

Die Suche nach einem Partner verzögert sich seit vielen Monaten – auch weil Draghi das Thema schleifen ließ und schließlich statt mit der favorisierten Allianz aus Lufthansa und der Reederei MSC Exklusivverhandlungen mit dem US-Investor Certares aufnahm. Damit wollte sich Rom einen möglichst großen politischen Einfluss bei der Airline sichern. Doch die Verhandlungen scheiterten, auch weil Certares keinen industriellen Partner präsentieren konnte. Dazu kamen interne Streitigkeiten bei ITA Airways, die zu einem Teilaustausch des Managements führten. Der neue Präsident Anto­nino Turicchi soll nun binnen zwei Monaten eine Lösung finden, und plötzlich ist die Lufthansa wieder Favorit. Doch je mehr Zeit vergeht, desto schlechter sind die Perspektiven für die angeschlagene Airline, die 2023 neue Flugzeuge erhalten soll, die ausgelastet werden müssen.

Die diversen italienischen Regierungen stopfen seit Jahren nur Löcher bei vielen hochdefizitären Unternehmen. Es fehlt eine stringente Industriepolitik. Nötige Kostensenkungen unterbleiben. Ein Großteil der Ex-Alitalia-Mitarbeiter etwa bezieht seit Jahren Kurzarbeitergeld. Die Kosten für die „Rettung“ der Zombie-Unternehmen zahlt der Steuerzahler, wie etwa bei zwei venezianischen Volksbanken, die 2017 an die Bank Intesa Sanpaolo gingen, die dafür aus Rom noch einen Risikoausgleich von 5 Mrd. Euro erhielt – obwohl die schlechten Risiken ohnehin der Staat übernahm. In diese Kategorie gehört auch die Volksbank von Bari, die 2020 nach jahrelanger Misswirtschaft vom Einlagensicherungsfonds der Privatbanken (Fitd) mit 1,2 Mrd. Euro gerettet wurde. Die staatliche Bank MCC übernahm dann für 430 Mill. Euro 98 % der nach wie vor tiefrote Zahlen schreibenden Bank. Eine Privatisierung steht noch immer aus und ist nach Überzeugung von Stefano Caselli, Bankenprofessor der Mailänder Universität Bocconi, nur dann möglich, „wenn Risiken für den Käufer ausgeschlossen werden, was den Steuerzahler belastet. Aber es gibt keine Alternative, und je länger man wartet, desto teurer wird es“, so Caselli.

Eine Horrorgeschichte ist aus Steuerzahlersicht auch das Ex-Ilva-Stahlwerk von Taranto, das größte in Europa. Es ist eine Geschichte von Privatisierungen, Verstaatlichungen, Reprivatisierungen und erneuten Verstaatlichungen, die zig Milliarden Euro gekostet haben. Wegen gigantischer Umweltschäden infolge toxischer Abgase, die seit Jahrzehnten emittiert wurden, erkrankten Tausende Menschen schwer. Die Zahl der damit verbundenen Todesfälle wird von Experten auf 7 500 geschätzt, und ökonomisch waren die heutigen Acciaierie d’Italia stets ein Desaster. Doch es geht weiter. Rom hat für den Konzern 1 Mrd. Euro zum Ausgleich der hohen Energiepreise lockergemacht und will für eine Aufstockung des Staatsanteils von 32 auf 60 % bis 2024 eine weitere Milliarde Euro bereitstellen. Die neue Regierung ist verärgert, weil der Miteigentümer, die Familie Mittal (ArcelorMittal), die die Geschäftsführung stellt, weitgehend autonom handelt und die Gelder lieber für das Stopfen von Finanzlöchern als für die Sanierung verwenden will. Und die Gewerkschaften haben zu Streiks aufgerufen. Sie fordern, dass das Unternehmen sofort verstaatlicht wird. Was dadurch besser würde, bleibt offen.

Schlingerkurs

Nicht ganz so dramatisch ist die Lage auf den ersten Blick bei Telecom Italia (TIM), aber nicht minder verzwickt. Seit Jahren schlingert der frühere Monopolist, der nach diversen Aufspaltungen, Übernahmen, Aktionärsstreitigkeit, Verkäufen und Häutungen nur noch ein Schatten früherer Zeiten ist, mehr oder weniger orientierungslos vor sich hin. Auch für Januar bis September wurde wieder ein Milliardenverlust vermeldet. Industrieminister Adolfo Urso sagte dieser Tage, die Privatisierung des Ex-Monopolisten im Jahr 1997 sei ein Fehler gewesen. Das Festnetz müsse staatlich kontrolliert werden. Wie das geschehen soll, ist auch innerhalb der Regierung umstritten. CEO Pietro Labriola hat einen Plan erarbeitet, der im Wesentlichen eine Aufspaltung des Unternehmens in eine Festnetz- und eine Dienstleistungssparte vorsieht. Die Festnetzsparte soll dem Plan zufolge in eine neue monopolistische Netzwerkgesellschaft mit dem mehrheitlich von der staatlichen Förderbank Cassa Deposit e Prestiti (CDP) kontrollierten Konkurrenten Open Fiber eingebracht werden. Ein Alternativplan der Regierung sieht die Komplettübernahme von TIM durch die CDP und den anschließenden Verkauf der Service-Sparte vor.

Rom geht es letztlich darum, dass eine mehrheitlich staatliche Netzwerkgesellschaft Zugriff zu den Milliardensummen aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm er­hält und den Glasfaserausbau vorantreibt. Doch der Teufel liegt im Detail. Es gibt nicht nur Zweifel, ob eine solche Aufspaltung, die in Europa einmalig wäre, sinnvoll ist. Es geht auch darum, wie die Festnetzsparte bewertet wird, wobei die staatliche CDP Interesse an einer niedrigen Bewertung hat, TIM-Großaktionär Vivendi (23,9%) aber an einer höheren. Bestandteil der Diskussionen ist auch, welche Sparte den Großteil des gewaltigen Schuldenbergs übernimmt. Außerdem gibt es womöglich kartellrechtliche Probleme. Es wäre vermutlich leichter gewesen, TIM und der italienische Staat hätten im Herbst das Angebot von KKR, das gesamte Unternehmen samt Schulden für 10,8 Mrd. Euro zu übernehmen, angenommen. Doch Draghi ließ KKR nach einer monatelangen Hängepartie Anfang des Jahres abblitzen.

Der Fall war ein weiteres katastrophales Beispiel für das ziellose Herumlavieren der diversen italienischen Regierungen. Draghi gelang es weder, eine Lösung für die Monte dei Paschi noch für die Acciaierie d’Italia, für ITA Airways oder TIM zu finden Die Rechnung für die diversen Hängepartien zahlt stets der Steuerzahler.

Von Gerhard Bläske, Mailand

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