Im BlickfeldAutozulieferer in der Krise

Mit dem Rücken zur Wand

Die Automobilindustrie ist die Branche in Deutschland, die am stärksten von Insolvenzen gefährdet ist. Das trifft kleine und mittlere Unternehmen, die großen streichen Tausende Arbeitsplätze.

Mit dem Rücken zur Wand

Mit dem Rücken zur Wand

Die Automobilindustrie ist die am stärksten von Insolvenzen gefährdete Branche in Deutschland. Die Zulieferer streichen Tausende Arbeitsplätze.

Von Joachim Herr, München

Das Jahr 2024 war ein hartes für die Automobilzulieferer und ihre Beschäftigten. In den Schlagzeilen stehen die Größten der Branche, die den Abbau Tausender Arbeitsplätze angekündigt haben: Bosch, ZF, Continental und Schaeffler.

In ihrem Schatten tummelt sich die große Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die den Spagat zwischen den Anstrengungen für den stockenden Wandel zur Elektromobilität und der schwachen Nachfrage nicht bewältigen. Die weltweite Produktion von Personenwagen hat sich seit dem Sturz im Corona-Jahr 2020 zwar erholt, doch das Spitzenniveau von 73,5 Millionen Autos im Jahr 2017 ist noch ein großes Stück entfernt.

Jede sechste Insolvenz

Der Kreditversicherer Atradius stellt fest, dass die Autoindustrie die insolvenzgefährdeten Branchen anführt: „Jede sechste Großinsolvenz 2024 ist ein Automobilzulieferer.“ In der ersten Hälfte des Jahres nahm ihre Zahl um zwei Drittel zu. Mit einer Entspannung rechnet Atradius nicht. Im Gegenteil: 2025 werde die Insolvenzzahl der Autobranche um eine niedrige oder mittlere zweistellige Rate weiter steigen. Viele Firmen stehen mit dem Rücken zu Wand.

Zum Beispiel Recaro

Das vom Münchner Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima der deutschen Autoindustrie hat sich zum Jahresende 2024 weiter verschlechtert. Während der Indikator für die Geschäftslage im Dezember leicht auf -32,3 Punkte gestiegen ist, sind die Erwartungen nun noch deutlich pessimistischer: -37,1 Punkte nach -30,9 im November. Der Auftragsbestand vieler Firmen ist zu gering, um die Produktionskapazitäten auszulasten. „Mehr Unternehmen als bisher diskutieren über einen Stellenabbau“, sagt Ifo-Branchenexpertin Anita Wölfl.

Dass viele Betriebe trotz einer Insolvenz weitergeführt würden, begründet der Kreditversicherer Atradius damit, dass die Autohersteller einzelne Zulieferer unterstützten, die für die Fahrzeuge unbedingt gebraucht würden. So hatte Mercedes-Benz für das dritte Quartal 2024 von Finanzhilfen für Zulieferer berichtet. Die Chancen, dass neue Eigentümer das Geschäft weiterführen, hält Atradius für gering: „Es fehlt an Liquidität in der Wirtschaft, um solche Übernahmen finanzieren zu können.“

Eines der überregional bekannten Unternehmen, das 2024 aufgeben musste, ist die Recaro Automotive GmbH in Kirchheim unter Teck bei Stuttgart. Immerhin fand sich ein Investor für den Hersteller von Sitzen für Sportwagen. Anfang Dezember unterzeichnete der italienische Zulieferer Proma eine Vereinbarung zur Übernahme von Recaro. Nun soll der Betrieb wiederaufgenommen werden. Allerdings wird die Produktion der Sitze in Kirchheim geschlossen und nach Italien verlagert. Nur wenige der zuletzt rund 200 Mitarbeiter hierzulande behalten ihre Stelle.

Versäumnisse der Manager

Branchenfachmann Stefan Randak rechnet damit, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren viele kleine und mittlere Unternehmen auf der Strecke bleiben werden: „Vor allem die, die noch stark im Geschäft mit dem klassischen Verbrennungsmotor tätig sind.“ Randak leitet die Automotive-Sparte von Atreus, einem Anbieter von Interim-Management.

„Noch mehr Druck“

Für die Misere der Branche nennt er mehrere Gründe, an erster Stelle fehlende Produktabrufe der Autohersteller (OEMs). „Das Defizit reicht bis zu 90%“, sagt Randak der Börsen-Zeitung. Zulieferer haben in Fertigungskapazitäten und Vorprodukte investiert, doch die Kunden fragen weniger nach. Das trifft zum Beispiel Geschäftspartner für den E-Porsche Taycan, den Elektrobus VW Buzz und die S-Klasse von Mercedes-Benz. „Die Zulieferer bekommen deshalb Probleme mit der Kapazitätsauslastung, mit zu viel Personal und mit ihrer Liquidität“, stellt Randak fest.

Eine andere wesentliche Ursache der Schwierigkeiten ist aus seiner Sicht, dass es einige Autohersteller und eine Vielzahl von Zulieferern in den vergangenen Jahren versäumt hätten, ihre Organisation und Prozesse zu überprüfen und anzupassen und auf diese Weise die Kosten zu senken. „Viele sind ihre Überkapazitäten nicht angegangen.“ Oft hätten das Management und der Aufsichtsrat nicht richtig agiert oder zu spät reagiert. In der Branche sind etwa die Überkapazitäten von Volkswagen, Audi und ZF schon seit längerem bekannt.

Randak empfiehlt den Zulieferern zudem zusammenzuarbeiten und die expandierenden chinesischen Autohersteller als Kunden zu gewinnen. „Es wird noch wesentlich mehr Druck auf die Zulieferer geben“, sagt er voraus. Denn Randak erwartet größere Fusionen auf der Kundenseite in den nächsten Jahren und damit eine wachsende Marktmacht. Aktuelles Beispiel sind die japanischen OEMs Honda und Nissan, die Gespräche über einen Zusammenschluss führen.

„Wir haben Überkapazitäten“

Mehr als 12.000 Arbeitsplätze stehen im Bosch-Konzern auf der Kippe. Im Segment Mobility – das Unternehmen ist der größte Zulieferer der Welt – sind etwa 8.500 Stellen von einem Abbau bedroht. In der zweiten Hälfte des Jahres 2024 hätten sich die Märkte deutlich verschlechtert, sagte vor kurzem der für Personal zuständige Geschäftsführer Stefan Grosch in einem Pressegespräch. „Wir haben Überkapazitäten.“

Das liegt nicht nur an der schleppenden Entwicklung der Elektromobilität, vor allem in Europa. Betriebsräte werfen der Geschäftsführung rückblickend einen viel zu großen Optimismus vor. Bosch bekommt zudem eine Schwäche in der Elektronik- und Softwaresparte heftig zu spüren. Das automatisierte Fahren ist neben der E-Mobilität das Geschäft, das besonders unter der Nachfrageflaute leidet.

Stark verzögerter Wandel

„Wir sind für beide von deutlich höheren Stückzahlen ausgegangen“, sagte Bosch-Finanzchef Markus Forschner Mitte Dezember im Interview der Börsen-Zeitung. „Und wir erwarten auch nicht, dass die Nachfrage in den nächsten ein, zwei Jahren deutlich steigen wird.“

Die Autohersteller stellen nach den jüngsten Erfahrungen von Bosch viele Projekte zurück oder geben sie ganz auf: „Der Wandel zum elektrifizierten, softwaredefinierten Fahrzeug verzögert sich insgesamt enorm.“ Der Zusammenhang beider Eigenschaften wirkt sich jetzt fatal aus: Viele neue batterieelektrische Autos sind mit den modernsten Assistenzsystemen ausgestattet.

In Zeiten einer schwachen Nachfrage nimmt der Wettbewerbsdruck zu – nicht nur, weil die Autohersteller auf der verstärkten Suche nach Einsparungen jede Kostenposition durchleuchten. Exemplarisch ist die Lenkungssparte von Bosch, in der ebenfalls Arbeitsplätze in Deutschland gestrichen werden. Das Unternehmen begründet dies mit erheblichen Vorteilen von Konkurrenten in Europa, die in Ländern mit niedrigeren Löhnen und anderen geringeren Kosten produzieren.

Der Markt verschiebt sich

Bosch will deshalb Werke in diesen Ländern stärker auslasten, „um Lenksysteme zu wettbewerbsfähigen Preisen international anbieten zu können“. Hinzu kommt, dass sich der Markt verschiebt, wie Götz Nigge vom Vorstand des Geschäftssegments berichtet. In Asien nehme die Nachfrage zu, in Europa schwäche sie sich ab.

Der Konkurrent Continental erhofft sich von der Abspaltung des Segments Automotive die Rückkehr zu dauerhaft guten Erträgen. Der Vorstand vertraut auf mehr Flexibilität: Dank der Eigenständigkeit sollen alle Konzerngeschäfte näher an die Märkte und Kunden rücken. Geplant ist, das Autozulieferergeschäft bis Ende 2025 aus dem Konzern zu lösen. Für Conti, die gesamte Branche und ihre Beschäftigten wird auch 2025 ein hartes Jahr.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.