BlickfeldFranzösischer Staat als Aktionär

Mit dem Staat an Bord

Frankreich setzt auf staatliche Beteiligungen, um seine nationale Souveränität zu schützen. Von Macron nach seiner Wahl eingeleitete Privatisierungen wurden durch Corona gestoppt. Seitdem hat ein Umdenken eingesetzt.

Mit dem Staat an Bord

In Frankreich schlägt die Stunde der Patrioten

Der französische Staat sieht sich in seiner Rolle als Aktionär legitimiert

Von Gesche Wüpper, Paris

Andere Länder, andere Sitten. Während die Bundesrepublik gerade ihre Beteiligung an der Commerzbank reduziert hat, ist der französische Staat in den vergangenen Monaten auf Einkaufstour gegangen. Bereits im Vorjahr hatte er den Stromversorger EDF (Electricité de France) wieder komplett verstaatlicht. Im Juni dann hat die Agentur für Staatsbeteiligungen Agence des participations de l'Etat (APE) erst 700 Mill. Euro für die strategischen Aktivitäten von Atos geboten und anschließend mit Nokia den Kauf von 80% des Kapitals der Unterwasserkabelsparte Alcatel Submarine Networks vereinbart.

Fast zeitgleich kündigte APE eine Beteiligung von 10% an der belgischen Gruppe John Cockerill Defense (JCD) an, um den einst unter dem Namen Renault Trucks Defense bekannten Hersteller gepanzerter Kampffahrzeuge Arquus nicht aus den Augen zu verlieren.

Schutz der nationalen Souveränität

Allein diese vier Operationen verdeutlichen das vielleicht wichtigste Leitmotiv des französischen Staats als Aktionär: Strategisch wichtige Unternehmen schützen, die essenziell für die nationale Souveränität Frankreichs sind. Die vor genau 20 Jahren gegründete, an rund 85 Unternehmen beteiligte APE ist jedoch nicht das einzige Vehikel, mit dem der französische Staat in das Kapital von Unternehmen einsteigen kann. Dafür stehen auch die beiden staatlichen Förderbanken Bpifrance und Caisse des Dépôts et Consignations zur Verfügung.

Die großen Krisen der vergangenen Jahre, allen voran der Ukraine-Krieg und die Energiekrise, hätten dem Staat als Aktionär wieder seine Legitimität zurückgegeben, meint APE-Chef Alexis Zajdenweber. Denn sie hätten vielen Unternehmen gezeigt, dass ein langfristig orientierter Aktionär in Krisenzeiten entscheidende Unterstützung geben könne. Während der Covid-Pandemie habe sich zudem herausgestellt, dass die Beteiligungsagentur finanziell wichtige Mittel mobilisieren könne.

RN und LFI wollen Autobahnbetreiber wieder verstaatlichen

„Aber natürlich hat der Staat keine unbegrenzten Mittel und muss als Aktionär wie der gesamte öffentliche Dienst enthaltsam und sparsam mit den Staatsgeldern umgehen“, sagte er in einem Interview mit AFP. Immerhin ächzt Frankreich unter einer Staatsverschuldung von zuletzt 3,2 Bill. Euro, entsprechend 110,7% des Bruttoinlandsproduktes (BIP), und einem Haushaltsdefizit, das 2024 auf 6% anzusteigen droht. Neueste Zahlen zur Staatsverschuldung will das Statistikamt Insee am 27. September veröffentlichen.

Trotz der desolaten Haushaltslage ist nicht sicher, ob die neue Regierung von Premierminister Michel Barnier dem Beispiel Italiens folgen und Staatsbeteiligungen versilbern wird. Allein die Beteiligungen der APE an 85 Unternehmen waren Ende Juni gut 180 Mrd. Euro wert, 27 Mrd. Euro mehr als ein Jahr zuvor. Bei den zehn börsennotierten Unternehmen waren es Ende Juli 52,75 Mrd. Euro. Doch mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) und der linksextremen La France Insoumise (LFI) haben bei den vorgezogenen Parlamentswahlen zwei Parteien stark abgeschnitten, die die privatisierten Autobahnbetreibergesellschaften wieder verstaatlichen wollen.

Corona-Krise hat Privatisierungen gestoppt

Auch innerhalb der Partei von Präsident Emmanuel Macron scheint seit der Corona-Krise ein Umdenken eingesetzt zu haben. Denn der Ausbruch der Pandemie hatte die von ihm nach seiner Wahl 2017 eingeleiteten Teilprivatisierungen wieder gestoppt. Seinerzeit hatte Macron im Wahlkampf versprochen, Anteile an staatlichen Unternehmen zu verkaufen, um damit einen 10 Mrd. Euro schweren Fonds für die „Industrie der Zukunft“ mitzufinanzieren. Kurz zuvor hatte der Rechnungshof die Rolle des Staates als Aktionär kritisiert und eine Reduzierung der uneinheitlichen Beteiligungen gefordert.

Doch aus dem deshalb erwarteten Privatisierungsreigen wurde nichts, zumindest nicht in dem Umfang, wie es viele Beobachter damals erwartet hatten. Zwar brachte Frankreich Ende 2019 die staatliche Lottogesellschaft Française des Jeux (FDJ) erfolgreich an die Börse und reduzierte so die staatliche Beteiligung von 72% auf 21,1%. Andere Beteiligungen wurden ebenfalls reduziert, zumindest ein wenig. Bei dem Versorger Engie von 28,8% auf 23,6%, bei dem Triebwerkshersteller Safran von 14% auf 11,5% und bei Renault von 20% auf 15%. 2015 hatte die sozialistische Regierung von Präsident François Hollande die Beteiligung an dem Autobauer überraschend auf 20% erhöht, um auf der Hauptversammlung einen Antrag abzuwenden, der die durch ein damals neues Gesetz vorgesehene automatische Erteilung von Stimmrechten für langfristige Aktionäre hätte verhindern können.

Gewerkschaften fürchten Privatisierungspläne für ADP

Die nach der Wahl Macrons zunächst geplante, aber umstrittene Privatisierung des Pariser Flughafenbetreibers ADP jedoch wurde nach Ausbruch der Covid-Pandemie endgültig auf Eis gelegt. Eine damals für möglich gehaltene Privatisierung weiterer Regionalflughäfen erfolgte ebenfalls nicht. APE-Chef Zajdenweber versicherte zwar zu Beginn des Jahres, dass es keine Pläne gäbe, die ADP-Privatisierung wieder anzugehen. Doch einige Gewerkschaften fürchten, dass das Dossier wieder aktuell werden könnte, wenn ADP-Chef Augustin de Romanet demnächst das Unternehmen verlässt. Für ihn und die Chefs vier anderer wichtiger Staatskonzerne, darunter La Poste und die SNCF, müssen in den kommenden Monaten Nachfolger gefunden werden.

Liste schützenswerter Bereiche

Anzahl, Bedeutung und Umfang von Beteiligungsverkäufen hätten sich in den vergangenen Jahren verringert, sagt APE-Chef Zajdenweber. Als Gründe nennt er die verschiedenen Krisen und die Frage der nationalen Souveränität. „Das Verständnis dessen, was ein Unternehmen ist, in dem der Staat Aktionär bleiben sollten, hat sich mit Sicherheit mit den Krisen erweitert“, meint er. Dadurch gebe es weniger Möglichkeiten, Beteiligungen zu verkaufen.

Liste strategisch wichtiger Firmen

Zajdenwebers Vorgänger Martin Vial hatte diese bereits eingegrenzt. 2017 erstellte er eine Liste der als strategisch eingestuften Firmen, an denen der Staat beteiligt bleiben sollte. Dazu gehören die Bereiche Verteidigung, Atom, Energie und öffentlicher Dienst. Frankreich hat in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder solche Listen schützenswerter Bereiche verfasst. Neben Verteidigung und Sicherheit finden sich darauf Kommunikation, Biotechnologie, Impfstoffe, Halbleiter, Weltraumaktivitäten, Drohnen, künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Robotertechnik und Datenspeicherung sowie Lebensmittelsicherheit, Presse, kritische Technologien, aber auch Spielcasinos.

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