Berlin

Mr. Aktie wird 100

„Europa muss auch in Finanzfragen souveräner werden“, forderte der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, Paul Achleitner, in einem Kolloquium für den früheren Bankmanager F. Wilhelm Christians.

Mr. Aktie wird 100

Gelegentlich braucht es Anlässe, um alte und gute Ideen zu beleben: Wie kann es gelingen, eine Aktien- und Kapitalmarktkultur in Deutschland und Europa zu entwickeln, die diesen Namen verdient? Diese Frage ist unverändert aktuell. Sie beschäftigte schon in den 1960er Jahren den langjährigen Vorstandssprecher und Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, F. Wilhelm Christians. Christians wäre am 1. Mai 100 Jahre alt geworden. In Berlin würdigte ihn die Deutsche Bank mit einem Finanzkolloquium im Atrium ihrer Niederlassung Unter den Linden. Christians hatte 48 Jahre für die Bank gearbeitet und gehörte dem Vorstand ungewöhnlich lange 23 Jahre an. Von 1976 an bildete er zusammen mit Wilfried Guth eine Doppelspitze, von 1985 bis 1988 mit Alfred Herrhausen. Von 1990 bis 1997 stand er an der Spitze des Aufsichtsrats. Christians verstarb 2004.

Der scheidende Aufsichtsratvorsitzende der Deutschen Bank, Paul Achleitner, nannte Christians einen herausragenden Vordenker seiner Zeit. Sein Renommee bezog der Banker demnach aus den Werten, für die er stand, und dem inneren Kompass, der ihn leitete. Der Jurist, der eigentlich Diplomat werden wollte, hatte weit über die Belange der Bank hinausgedacht. „Zu wenig Kapital in einem Meer von Geld“, lautet das titelgebende Zitat für das Kolloquium zu Ehren des früheren Spitzenmanagers. Die hierzulande unterentwickelte Eigenkapitalfinanzierung hatte den Banker schon früh beschäftigt und trug ihm die Marke „Mr. Aktie“ ein. Die Überlast an Kreditfinanzierung von Unternehmen, besonders des Mittelstands, die geringe Aktienquote in der Anlage für Altersvorsorge und ein „Volk der Sparer“ ohne Aktienbesitz sind immer noch traurige Realität. Lange Jahre war die Aktie gegenüber staatlich gefördertem Bausparen und vermögenswirksamen Leistungen benachteiligt. Dies änderte sich erst 1983.

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Wenig geändert hat sich indessen beim Bildungsnotstand in Finanzfragen, um Chancen und Risiken von Aktien gut zu analysieren. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zeigt sich offen für den Wunsch der Menschen nach mehr Finanzbildung, den Umfragen belegen. Für viele wiege das Risiko stärker als die Chance, konstatierte Stark-Watzinger mit Blick auf die geringe Neigung, sich in Anteilspapieren zu engagieren. Das Nachbarland Österreich hat es immerhin zu einer nationalen Finanzbildungsstrategie gebracht. In Deutschland dominieren der Föderalismus und die Kultusministerkonferenz. Daran kommt auch eine Bundesministerin nicht vorbei. Für Bundesbank-Vorstandsmitglied Sabine Mauderer sitzt die „German Angst“ bei der Vermögensbildung „noch fest in unserer DNA“. Dies müsse aber nicht so bleiben. Achleitner zog den großen Bogen von der Finanzbildung zur neuen sicherheitspolitischen Weltlage und zu den Kapitalmärkten: „Europa muss auch in Finanzfragen souveräner werden – und dazu gehört ein deutlich stärkerer Kapitalmarkt“, forderte er. Mr. Aktie hätte dies sicher gefallen.

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