Musk schießt den Vogel ab
Die Liste der Standortmängel, die vor allem junge erfolgreiche Gründer hierzulande anprangern, ist lang. Neben einem wachsenden Fachkräftemangel ist es vor allem eine überkommene Kapitalmarktgesetzgebung, die aus ihrer Sicht den Innovationsstandort Deutschland behindert – und die Gefahr birgt, dass börsenreife Start-ups bei Gelegenheit doch lieber ins Gelobte Land ziehen. Die USA locken nicht nur mit viel Kapital, mit Risikobereitschaft und hohen Bewertungen, sondern auch mit prominenten Gründerstars, die „ihr“ Unternehmen von der Idee bis zum milliardenschweren Börsenwert fest in der Hand behalten haben. Allerdings zeigt sich dieser Tage, dass ein verklärter Blick auf diese Alleinherrscher nicht angebracht ist. Vermeintliche Lichtgestalten wie E-Auto-Pionier Elon Musk oder auch Meta-Chef Mark Zuckerberg haben der Financial Community vielmehr just überdeutlich die Schattenseiten großer Machtfülle vor Augen geführt. Das Treiben der beiden Unternehmenslenker lädt nicht zu Deregulierungsschritten am Kapitalmarkt ein, sondern sollte eher eine Debatte über neue Schranken und Leitplanken nach sich ziehen.
Das gilt insbesondere für Elon Musk, der schon in seiner exponierten Position als Gründer, CEO und Board-Mitglied von Tesla jegliche Fesseln einer gewöhnlichen Corporate Governance ablehnt, indem er vor allem auch die Regeln einer abgestimmten Kapitalmarktkommunikation missachtet. Legendär ist seine „Wochenendbotschaft“ zu einem möglichen Going Private von Tesla, die er an einem Freitagabend über Twitter in die Welt sandte, um das Ganze zu Beginn der Folgewoche mehr oder minder als Scherz wieder einzufangen. Die Folgen der in der Zwischenzeit erratischen Kursschwankungen der Tesla-Aktie scherten ihn dabei augenscheinlich nicht. Er fürchtete weder die Reaktion der US-Börsenaufsicht – die sich als zahnlos erwies – noch die des eigenen Boards, das von dieser Eskapade selbst überrascht wurde. Musk, der in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Aktienpakete verkauft und seinen Anteil an Tesla auf rund 15% zurückgefahren hat, sichert seine Macht als Großaktionär vor dem Hintergrund eines sonst sehr breit gestreuten Kapitals mit den Tesla-Statuten, die für grundlegende Entscheidungen eine Zweidrittelmehrheit vorsehen, die gegen den Willen des Großaktionärs kaum zu organisieren ist.
Alle Aktien – und damit alle Fäden in der Hand hat das unternehmerische „Ausnahmetalent“ nun bei Twitter. Dort schießt Musk den Vogel ab. Welche Rechtshändel der Ad-hoc-Rauswurf der gesamten Führungsriege noch nach sich ziehen wird, ist offen. Gegen die angekündigte Massenentlassung, die offenbar die Hälfte der Belegschaft treffen soll, haben die Mitarbeiter eine Sammelklage eingereicht, nachdem bekannt wurde, dass die Kündigungen im Wege einer formlosen Rundmail ausgesprochen werden würden. Die ehemaligen Twitter-Aktionäre, die für ein Unternehmen, dessen Wert von Analysten nüchtern auf rund 25 Mrd. Dollar geschätzt wurde, 44 Mrd. Dollar erhalten haben, muss dies nicht mehr kümmern. Allerdings diskreditiert Musks Vorgehen ganz Corporate Amerika, wenn die Übernahme und ein Management nach Gutsherrenart bei einer global bedeutenden Medienplattform folgenlos bleiben. Die bisherige Nutzer- und Content-Kontrolle bei Twitter mögen verbesserungswürdig sein, aber dass diese künftig der einsamen Entscheidung eines nunmehr mit der CEO-Rolle von gleich drei Unternehmen – Tesla, SpaceX und Twitter – befassten Glücksritters unterliegen sollen, stellt einen zweifelhaften Fortschritt dar.
Andernorts hat das mehr oder minder unkontrollierte Gebaren des Konzernlenkers für die Aktionäre direkt desaströse Folgen gezeitigt. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg drückt seine Vision vom „next big thing“ nicht nur damit aus, dass er sein Unternehmen in Meta umgetauft hat, sondern pumpt auch dreistellige Milliardensummen in ein Metaversum, das den Investoren inzwischen reichlich abgehoben erscheint. Zugleich wankt das von Sheryl Sandberg – die Zuckerberg den Rücken gekehrt hat – geschaffene Werbeimperium, so dass die explodierenden Kosten den Gewinn zur Hälfte auffressen. Ein Kurssturz war die Folge. Seit Jahresbeginn hat die Meta-Aktie sogar drei Viertel an Wert verloren. Zuckerberg, dem nur noch 13% des Meta-Kapitals gehören, gebietet aufgrund der speziellen Aktiengattung über 54% der Stimmrechte, hält also effektiv die Mehrheit in seinen Händen. Während sich Investorenstimmen mehren, die das Vertrauen in den Chef des sozialen Netzwerks verloren haben, bleibt Zuckerberg nahezu unangreifbar. Offenkundig braucht nicht nur die deutsche Kapitalmarktgesetzgebung ein Facelift, auch in den USA gibt es Reformbedarf.