Nachhaltig mehr Beratung – mit oder ohne Regulierung
Nachhaltigkeitsberatung
Nachhaltig mehr Beratung – mit oder ohne Regulierung
Eine Zunahme an regulatorischen Vorschriften hat das Sustainability-Consulting-Geschäft getrieben. PwC geht davon aus, dass das Wachstum nicht von der Regulierung allein abhängen wird.
scd Frankfurt
Von Sebastian Schmid, Frankfurt
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist in den vergangenen Dekaden einen weiten Weg gegangen. Einer Studie von Mordor Intelligence zufolge dürfte das globale Marktvolumen in dem Segment im laufenden Jahr rund 17 Mrd. Dollar erreichen. Bis 2030 wird mit einer guten Verdreifachung auf knapp 54 Mrd. Dollar gerechnet. Ein enormer Wachstumsmarkt, der durch die Kehrtwende der US-Regierung im Klimaschutz womöglich deutlich gebremst wird. Die meisten Experten gehen allerdings nicht davon aus, dass die Dynamik umgekehrt werden kann.
Denn in weiten Teilen der Welt hat zumindest die Mehrheit der Konzerne mittlerweile eine Sustainable-Reporting-Strategie, wie aus einer Studie von KPMG hervorgeht. Im deutschen Bundestagswahlkampf mag das Thema zuletzt kaum eine Rolle gespielt haben. Die globale Bedeutung ist aber auch in der jüngeren Vergangenheit gewachsen.
Gespiegelt wird dieser Bedeutungsgewinn in den großen Beratungshäusern. „Ganz am Anfang – wir betreiben das Sustainability-Geschäft seit 30 Jahren – ging es vor allem um Umweltgutachten, Altlasten“, erinnert sich Rainer Kroker, Partner und Sustainability Leader bei PwC Deutschland. Es habe wenig Regulierung und Standardisierung gegeben – und damit auch noch kein Geschäftsmodell. Einem hohen Investitionsbedarf standen überschaubare Ertragsperspektiven gegenüber.
„Die Regulierung wurde dann natürlich zu einem Riesentreiber. Im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gibt es heute jede Menge rechtliche Themen. Auch mit der kommenden Greenwashing-Richtlinie wird es viele Litigation-Fragestellungen geben“, ist Kroker von einem steigenden Beratungsbedarf überzeugt.
ISSB holt auf
Im Prinzip ist der Umfang der Berichterstattungsanforderungen Jahr für Jahr gestiegen. „Das heißt, es kommt auch immer neuer Beratungsbedarf hinzu, entweder weil bereits erfasste Gruppen mehr bieten müssen oder weil neue Unternehmensgruppen erfasst werden“, erklärt Kroker. In großen Ländern wie Deutschland, Japan oder den USA gibt es im Prinzip keine größeren Unternehmen mehr, die auf eine Nachhaltigkeitsberichterstattung verzichten. Global sieht es indes ganz anders aus. Länder wie Venezuela, Zypern, Saudi-Arabien oder auch Israel hinken deutlich dem internationalen Schnitt hinterher (siehe Grafik).
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Die größte Adaption finden einer KPMG-Studie zufolge derzeit noch immer die Standards der Global Reporting Initiative (GRI) mit 77 (2022: 78)%. Allerdings holen die Vorgaben des jüngeren Sustainability Accounting Standards Board (SASB) auf, die nun über den International Sustainability Standards Board (ISSB) zum weltweiten Standard ausgebaut werden sollen. Bei den G250-Unternehmen kletterte ihr Anteil binnen zwei Jahren von 49 auf 56%.
Hochlauf durch CSRD
Auch wenn sehr viele Unternehmen bereits eine Sustainability-Abteilung haben, ihre Umweltauswirkungen erfassen und Fortschritte messen, wächst das Geschäft mit den zunehmenden Anforderungen weiter. „Durch die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) kam ein gewisser Hochlauf – auch aus Beratersicht“, erklärt Kroker im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Er habe beim Ausbau der Beratung schnell gemerkt, dass es für die Steuerung mehr Umsatz-, Profitabilitäts- und Mitarbeiterverantwortung benötige. Daher sei für den Bereich vor gut anderthalb Jahren eine eigene Business Unit gegründet worden, die zuletzt um mehr als 20% per annum gewachsen sei – „auch in diesem Jahr“. Die seit drei Jahren von Kroker geführte Sustainability-Mannschaft zählt mittlerweile rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – allein für Deutschland.
PwC setzt auf ganzheitlichen Ansatz
Der PwC-Manager ist der Überzeugung, dass eine echte Sustainability-Transformation sich nicht nur an den Reporting-Pflichten entlang entwickeln kann. Es brauche auch eine echte Energietransformation. PwC habe daher in ihrer Sustainability Unit nicht nur das Industrie- und Finanzgeschäft gebündelt, sondern auch Mitarbeiter einbezogen, die sich mit der Energietransformation auskennen – darunter Fachleute und Ingenieure für Wasserstofftechnologie oder Windenergie. Ziel sei es, eine ganzheitliche Beratung anbieten.
CSRD-Allianzen
Der regulierungsbedingte Anstieg überforderte zuletzt auch Teile der expandierenden Beraterzunft. Verschiedene Anbieter erklärten auf Nachfrage, man habe einzelne Kundenanfragen ablehnen müssen, weil die Kapazitäten nicht ausgereicht hätten. Kroker und PwC hatten deshalb zum Ende des Jahres „Kapazitätsengpässe bei der CSRD-Prüfung und -Beratung zu lösen, indem wir etwa Allianzen mit Partnern gebildet haben“. In Zukunft hofft das Unternehmen mit dem stärkeren Einsatz von Technologie (KI etc.) dem Kundenansturm Herr werden zu können.
Kroker ist überzeugt, dass besonders Familienunternehmen und kleinere Mittelständler mit den Berichtspflichten an ihre Grenzen stoßen könnten. „Die kapitalmarktorientierten Unternehmen – und da spielt die Größe fast keine Rolle, ob das jetzt Dax 40 oder Dax 100 ist – sind grundsätzlich gut vorbereitet. Sie haben einen Chief Sustainability Officer und eine Fachabteilung, die sich mit den Fragestellungen und Vorgängerregulierungen beschäftigen und auch in der Lage sind, die Anforderungen umzusetzen“, erklärt er.
EU-Vorgaben „zu komplex“
Obwohl PwC wie auch ihre Wettbewerber enorm von der Ausweitung der Regulierung und dem daraus erwachsenden Beratungsbedarf profitieren, steht das Unternehmen dem wachsenden bürokratischen Aufwand kritisch gegenüber. „Aus meiner Sicht müsste der Gesetzgeber massiv nachjustieren“, fordert Kroker. Dadurch, dass lediglich Richtlinien festgelegt würden, die dann in nationales Recht zu transformieren sind, würden nationale Flickenteppiche innerhalb der Europäischen Union generiert. Dieser Flickenteppich sei insbesondere dann sehr hinderlich, wenn Unternehmen jeden Landes aufgrund fehlender Standardisierung weitere Kriterien zugrunde legten. „Darüber hinaus ist insbesondere die CSRD und auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu komplex: zu viele Kennzahlen, zu viele Datenpunkte, zu wenig Fokussierung, zu wenig ausgerichtet auf Unternehmenssteuerung und steuerungsrelevante strategische Aspekte“, so Kroker.
„Wenig fokussiert“
Die Vielzahl von Kennzahlen übersteige inzwischen zum Teil den Umfang der klassischen Finanzberichterstattung. Das sei keine gute Botschaft. „Wir sehen ja, wie umfangreich eine Finanzberichterstattung ist und wer diese liest. 100 bis 300 Seiten zusätzlich für den Nachhaltigkeitsbericht als Teil des Lageberichts – das halte ich für wenig fokussiert und zielführend für die Unternehmenssteuerung.“ Die Berichtspflichten müssten deutlich entschlackt, vereinfacht und harmonisiert werden.
Kleine Unternehmen überfordert
Das Umdenken, mit dem Kroker in der Branche nicht allein ist, wird auch durch den Realitätscheck aus drei Jahrzehnten Beratung befeuert. Zu Anfang habe PwC in der Business Unit noch mutig das Motto ausgegeben „Nachhaltig ist das neue Profitabel“. Das mag in Teilen noch stimmen. So habe ein Arzneimittelhersteller die Produktionsstandortauswahl mit PwC unter Nachhaltigkeitskriterien vorgenommen. Im Ergebnis habe das auch unter wirtschaftlichen Aspekten eine schlaue Lösung erbracht. Doch viele kleinere und mittlere Unternehmen würden durch die Überberichterstattung sehr überfordert.
Thema Resilienz unterbelichtet
Aber auch wenn die Berichtspflichten an Bedeutung verlören, sehen die Berater nicht weniger Bedarf für ihre Dienstleistungen. Das Thema Resilienz sei etwa derzeit noch unterbelichtet in der Branche. Wie resilient ist ein Unternehmen gegenüber Naturereignissen, die eventuell kommen können? Wie sind die Werke aufgestellt? Welche Ausfälle sind zu befürchten? Das seien Themen, mit denen sich Unternehmen in den kommenden Jahren beschäftigen sollten, sagt Kroker. Denn diese Ereignisse können zum Teil extrem kostspielig für Unternehmen sein.
Hinzu komme die Energiewende, die allein Deutschland wohl irgendwo zwischen 400 Mrd. und 1,2 Bill. Euro kosten werde. „Momentan ist das Geschäft sehr stark regulierungsgetrieben, aber es wird künftig viel Geschäft jenseits der Regulierung geben, eben weil es unmittelbare finanzielle Folgen hat, wenn man sich nicht entsprechend nachhaltig aufstellt.“