Nachhaltigkeit all überall
In das neue Jahr startet auch die Bundesregierung mit guten Vorsätzen. Mehr Nachhaltigkeit soll nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben, sondern sich auch im Regierungshandeln niederschlagen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will Wohlstand neu definieren. Einem Entwurf des Jahreswirtschaftsberichts 2023 zufolge soll nicht mehr allein das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator dienen. Mit insgesamt 34 Indikatoren will Habeck Wohlstand hierzulande neu vermessen. Auch die individuelle und damit gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt sollen mit einfließen und die Soziale Marktwirtschaft in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft verwandeln. Zu individuellen Faktoren zählt etwa die Nähe zur Bushaltestelle oder der Nitratgehalt im Wasser. Die Idee, nachhaltiges Denken in die Wohlstandsmessung einzuführen, ist nicht ganz neu. Ein Konglomerat von Indikatoren unterliegt naturgemäß einer Auswahl und Gewichtung. Politscher Einfluss ist programmiert. Volkswirtschaftliche Größen sind dagegen unbestechlich. Zudem fehlen belastbare Daten für neue Indikatoren.
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Noch ist es eine Empfehlung, aber Nachhaltigkeitsziele sollen über kurz oder lang auch in die Gesetzgebung einziehen. Schon heute gehört es zu Standard eines Gesetzentwurfs, dass die Auswirkung einer Novelle auf die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden angegeben wird – etwa Einnahmeausfälle aus einer Steuersenkung. Deklariert werden muss auch der „Erfüllungsaufwand“, säuberlich getrennt nach Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung. Oft beklagen Betroffene, die Angaben seien realitätsfremd. Aber immerhin ist die Folgenabschätzung Teil eines geordneten Verfahrens. Evaluierung als Standard für jedes Gesetz einzuführen, hat sich indessen nicht durchgesetzt.
Nun soll die Verbindlichkeit von Nachhaltigkeitszielen gestärkt werden. Bereits bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen sollen die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und die Ziele der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigt werden. Dazu haben Justizministerium und Kanzleramt eine Empfehlung ressortübergreifend für alle Ministerien ausgearbeitet. Neben der frühen Einbeziehung sollen auch Wechselwirkungen zwischen einzelne Zielen oder der Interessenkonflikte berücksichtigt werden. Die übliche Gesetzesbegründung in jedem Entwurf soll nun auch darlegen, wie das Reformvorhaben mit den Nachhaltigkeitszielen verbunden ist. In die Gesetzesfolgenabschätzung gehört damit künftig auch regelmäßig eine Nachhaltigkeitsprüfung. Die Ministerien müssen nun erste einmal „geeignete interne Verfahren“ entwickeln.
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Auch im Bundeshaushalt nimmt Nachhaltigkeit einen neuen Stellenwert ein. Der jüngste Spending Review des Finanzministeriums hat sich dem Thema gewidmet und damit einen neuen Kurs genommen. Bislang prüfte der Bericht punktuell, ob Haushaltsmittel wirtschaftlich effektiv und effizient eingesetzt worden sind. Der jüngst veröffentlichte Review 2021/2022 empfiehlt nun „Signaling“, „Tagging“ und „Analysing“ für den Bundeshaushalt in puncto Nachhaltigkeit. Auf Deutsch: beschreiben, verknüpfen und prüfen. Bei Aufstellung des Etats soll der Bezug zu Nachhaltigkeitszielen in der Vorbemerkung beschrieben werden. Verknüpft werden sollen die Nachhaltigkeitsziele mit einzelnen „Haushaltstiteln“, also konkreten Ausgabeposten. Geprüft werden soll schließlich, ob die Ziele erreicht wurden. Bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2024, die im Januar mit ersten Gesprächen der Staatssekretäre beginnt, startet dazu ein Pilotprojekt mit dem Umweltministerium und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 2025 sollen alle Ressorts die Nachhaltigkeitsziele in die Haushaltsaufstellung einbeziehen. Nicht zuletzt dürfte dies dem Bund bei der Emission nachhaltiger Bundeswertpapiere helfen: Denn das mögliche Emissionsvolumen des Bundes basiert nach internationalen Finanzmarktstandards auf den nachhaltigen Ausgaben des Vorjahres. Diese müssen aber bislang mühsam identifiziert werden.