Britische Finanzaufsicht

No Touch

Die britische Finanzregulierung ist von „Light Touch“ zu „No Touch“ mutiert. Der Fall Greensill Capital ist dabei nur einer von vielen Skandalen.

No Touch

Die britische Finanzaufsicht scheut den Durchgriff auf die Branche. Doch kann man es einem Aufsichtsbeamten verdenken, wenn er eine Firma, für die ein ehemaliger Premier­minister Klinken putzen geht, nicht ganz so genau unter die Lupe nimmt? Und wenn sie dann noch einer vermeintlichen Zukunftsbranche entstammt, für die in der City allenthalben die Trommel gerührt wird? Der Zusammenbruch des Fintech-Unternehmens Greensill Capital, das Theresa Mays Vorgänger David Cameron als Berater beschäftigte, sorgt in London zwar nicht nur für Schulterzucken. Aber es hätte auch niemand ernsthaft erwartet, dass die Financial Conduct Authority so etwas rechtzeitig unterbindet.

Der ehemalige Schatzkanzler George Osborne gab die Richtung vor, als er 2015 Martin Wheatley feuerte. Der Chef der Finanzaufsicht hatte sich in der Branche mit Sprüchen wie dem, dass er im Zweifelsfall zuerst schießen und dann Fragen stellen würde­, denkbar unbeliebt gemacht. Unter seiner Führung wurden Geldstrafen verhängt wie nie zuvor. Übergangschefin Tracey McDermott entschärfte zuerst das Senior Managers Regime, das es ermöglichen sollte, Personen, die in den Topetagen des Finanzgewerbes tätig sind, persönlich zu belangen. Die von Wheatley mit großer Fanfare angekündigte Überprüfung der Firmenkulturen der Banken wurde nach wenigen Monaten ohne Abschlussbericht eingestellt – angeblich auf Druck der Bank of England. McDermott trug ihr goldener Fallschirm zu Standard Chartered. Der Notenbanker Andrew Bailey, der mittlerweile an der Spitze der Bank of England steht, übernahm die Führung des Regulierers und ließ dabei von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er einer anderen Philosophie folgen würde als Wheatley. Als er schließlich den von ihm seit vielen Jahren angestrebten Posten als Gouverneur der Bank of England erhielt, forderte die City-Aktivistin Gina Miller eine Überprüfung seiner Ernennung und warf ihm in einer 36-seitigen Kampfschrift vor, bei der Finanzaufsicht am Steuer eingeschlafen zu sein.

Die Financial Conduct Authority entstand auf den rauchenden Trümmern der einst vom Labour-Schatzkanzler Gordon Brown ins Leben gerufenen Financial Services Authority. Der Zusammenbruch von Barings und der Skandal um Bank of Credit & Commerce International hatten Labour davon überzeugt, dass es mit Selbstregulierung allein nicht getan ist, wenn man Stabilität gewährleisten will. Doch die Finanzkrise belegte eindrücklich, dass „Light Touch“ nicht ausreicht. Mittlerweile ist die Nachfolgebehörde ebenso diskreditiert.

Seit Jahren entwickelt sich die Regulierung von „Light Touch“ zu „No Touch“. Der Regulierer verhält sich äußerst vorsichtig, um nicht in juristischen Auseinandersetzungen mit großen City-Kanzleien aufgerieben zu werden, während die Regelwerke immer dicker werden. Statt Prinzipien und möglichen Risiken geht es um die buchstabengetreue Einhaltung von Vorschriften, was zur Suche nach Schlupf­löchern ermutigt. Dabei konzentriert sich die Behörde nur noch auf das, wofür sie ein glasklares Mandat hat. Viel ist es offenbar nicht. Das Geschäftsgebaren der Global Restructuring Group der in der Finanzkrise verstaatlichten Royal Bank of Scotland, deren aggressive Verwertung von Sicherheiten nach der Finanzkrise viele Unternehmer um ihre Existenz brachte, gehörte nicht dazu. Bailey zufolge war das Geschäft weitgehend unreguliert, die Befugnisse­ der Aufsicht waren deshalb be­grenzt. Wie sich nach dem Kollaps von London Capital & Finance zeigte, waren Mini-Bonds auch kein Thema für die Aufseher, obwohl die nicht handelbaren Inhaberschuldverschreibungen von dem Finanzdienstleister als steuerbegünstigter Sparplan an Kleinanleger vermarktet wurden. Sie dürften geneigt gewesen sein, den Angaben der Firma zu glauben, die damit warb, dass sie von Baileys Behörde beaufsichtigt wurde, und erlitten am Ende einen Totalverlust. Auch der ehemalige Star-Fondsmanager Neil Woodford kam ungeschoren davon. Seine Vorliebe für illiquide Anlagen habe nicht im Widerspruch zu den geltenden Ucits-Regeln gestanden, erläuterte Bailey verdutzten Abgeordneten.

Von der Annahme, dass Finanzprofis wissen, was sie tun, und solche Geschäfte deshalb nicht so streng beaufsichtigt werden müssen, sollte man sich schleunigst verabschieden. Denn am Ende schlagen solche Skandale immer auf den Gesamtmarkt durch. In den vergangenen Jahren­ war nur keiner groß genug, um das Finanzsystem erneut ins Wanken zu bringen.

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