Wirtschaftsstandort

Olympischer Geist in Deutschland

Fünf gescheiterte Bewerbungen stehen beispielhaft für die Schwierig­kei­ten, mit denen der Wirtschafts­standort Deutschland zu kämpfen hat.

Olympischer Geist in Deutschland

Während gerade die Olympischen Winterspiele in Peking laufen mit teilweise beachtlichen Erfolgen der deutschen Athletinnen und Athleten, werden sich die älteren Sportbegeisterten vermutlich alle noch an einen der größten Momente der deutschen Sportgeschichte erinnern. Am 4. September 1972 nahm die damals völlig unbekannte 16-jährige Schülerin Ulrike Meyfahrt während der Spiele in München am Hochsprung der Frauen teil. Die krasse Außenseiterin errang olympisches Gold und stellte den olympischen Rekord und später sogar noch den Weltrekord ein. Ganz Deutschland starrte gebannt über die Bildschirme ins Münchner Olympiastadion, und der Jubelschrei nach dem erfolgreichen Goldsprung dürfte den Zeitzeugen für immer unvergesslich sein.

Nachhaltigkeit in München

München 1972 gilt unter Historikern und Sportökonomen als ein Musterbeispiel für erfolgreiche Spiele, obwohl die „heiteren Spiele“, wie sie von Willi Daume damals tituliert wurden, für immer auch mit den Attentaten auf die israelischen Sportler verbunden sein werden. Die britischen Historiker Kay Shiller und Christopher Young haben ein beachtliches Buch über „München 1972: Die Olympischen Spiele als Zeichen des modernen Deutschland“ vorgelegt, in dem sie jedes winzige Detail der damaligen Olympiabewerbung wie auch der Durchführung der Spiele beleuchten. Nach heutiger Diktion waren die Spiele nachhaltig – fast alle Sportstätten werden noch heute genutzt. Auch die Infrastrukturwirkungen für die Stadt München sind bis heute außerordentlich positiv einzuschätzen – von der Nutzung des olympischen Dorfes als beliebte Studentenwohnheime bis hin zur Modernisierung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs. München wurde durch die Spiele zur Weltstadt mit einem extrem positiven Image – und nebenbei erhielt der FC Bayern das zum damaligen Zeitpunkt schönste und modernste Stadion der Welt als Spielort.

Bewerbungen scheitern

Doch seit den Spielen 1972 hat Deutschland seit nunmehr fünfzig Jahren keine Spiele mehr ausgerichtet. Die Bewerbung des gerade wiedervereinigten Berlin zur Ausrichtung der Spiele 2000 scheiterte ebenso wie später die von Leipzig, Hamburg und eben auch zweimal München.

War die erste Münchner Bewerbung noch an einem Konkurrenten in der Endausscheidung des Internationalen Olympischen Komitees gescheitert, so kam die zweite Bewerbung noch nicht einmal über einen Volksentscheid hinaus. Alle vier von den Spielen potenziell betroffenen Landkreise votierten gegen Olympia und nahmen damit die Chance, dass München als erste Stadt sowohl Sommer- wie auch Winterspiele ausrichten durfte. Diese besondere Ehre wird nun aktuell Peking zuteil.

Symbol für Standortprobleme

Fünf gescheiterte Bewerbungen sagen nicht nur einiges über die gewandelte politische Landschaft in Deutschland, sie stehen in gewisser Hinsicht auch beispielhaft für die Schwierigkeiten, mit denen der Wirtschaftsstandort Deutschland zu kämpfen hat. Im aktuellen „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank steht Deutschland derzeit auf Platz 22, hinter vielen anderen europäischen und asiatischen Staaten. Im „Germany Trade and Invest Index“ wird Deutschland zwar als stabiles und investorenfreundliches Land dargestellt. Andere Studien sind jedoch zum Teil äußerst kritisch: Zu hohe Steuern, marode Straßen und Brücken, schlechtes Internet und vor allem eine Bürokratie, die die Planung von Großprojekten fast unmöglich macht. Die Bauzeit des BER-Flughafens in Berlin oder die endlosen Diskussionen um Stuttgart 21 sind ein eindrucksvoller Beleg für diese Tendenz.

Technologieskepsis

Auch die Technologieskepsis ist in Deutschland stärker ausgeprägt als an anderen Wirtschaftsstandorten. Wenn es um künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und Digitalisierung geht, dann wird in politischen Diskussionen fast nur über die Risiken diskutiert. Für die Gen-Technologie ist der Wirtschaftsstandort Deutschland ohnehin schon verloren.

Zwar gibt es auch Sektoren, in denen vor allem in der jüngeren Generation eine höhere Technikakzeptanz vorliegt – etwa bei der Verwendung neuer Medien. Gleichwohl ist bei den großen Zukunftsfragen vorwiegend Pessimismus angesagt.

Diese eher skeptische Zurückhaltung zeigt sich auch bei der Durchführung und genereller Akzeptanz von Sportgroßveranstaltungen in Deutschland. Die Kritik an den Olympischen Spielen in Sotschi und Peking und auch an Fußball-Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien ist teilweise berechtigt. Über die anstehende Fußball-WM in Katar dürfte schon bald eine eher negative Berichterstattung beginnen, obwohl es auch hier positive Dinge zu berichten gäbe.

Chance für Deutschland

Aber warum nutzt Deutschland nicht einmal die Chance, der Welt zu zeigen, dass Sport sehr wohl mit Nachhaltigkeit, Demokratie und modernster Technik gut zu vereinbaren ist? Made in Germany könnte durchaus als positiver Standard auch für Sportveranstaltungen entwickelt werden.

Die Piktogramme und Farben der Spiele von München 1972 wurden vom legendären Grafiker und Designer Otl Aicher gestaltet. Sie stehen symbolisch für Neuanfang, Optimismus und Weltoffenheit. Ein wenig olympischer Geist von München würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland sicherlich guttun und vielleicht endlich im sechsten Anlauf den Weg zu einer erfolgreichen Olympiabewerbung ebnen.

Prof. Dr. Dirk Wentzel lehrt Volkswirtschaftslehre und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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