Im Blickfeld Chinas Immobilienkrise

Peking predigt einen Ausweg aus der Immobilienkrise

Chinas Regierung zeigt plötzlich Aktivismus, um die Immobilienkrise anzugehen. Ein staatliches Wohnungskaufprogramm und gelockerte Finanzierungsregeln sollen die Wende bringen. Vom echten „Gamechanger“ ist man aber noch weit entfernt.

Peking predigt einen Ausweg aus der Immobilienkrise

Peking predigt einen Ausweg aus der Immobilienkrise

Chinas Regierung zeigt Aktivismus, um die Immobilienkrise anzugehen. Ein staatliches Wohnungskaufprogramm und gelockerte Finanzierungsregeln sollen die Wende bringen. Vom echten „Gamechanger“ ist man aber noch weit entfernt.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Wohnungen sind zum Leben und nicht zum Spekulieren da. Das programmatische Bonmot des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zum parteipolitisch gewünschten Wesen des chinesischen Häusermarktes ist auch über die ersten Jahre der Immobilienkrise im Reich der Mitte aufrechterhalten worden. Nun aber ist es an der Zeit, davon Abstand zu nehmen. Bei den Verkündungen zum Volkskongress im März und nachfolgenden Politbürositzungen ist der Standardsatz aus dem Programm gewichen. Mittlerweile weiß man, warum. Kürzlich hat die Regierung ein als „historisch“ bezeichnetes Belebungsprogramm für den Immobilienmarkt vom Stapel gelassen.

Raus aus der Misere

Peking hat sich einem neuen Ansatz verschrieben, um aus der Misere rund um massiv überschuldete Immobilienentwickler, stark nachlassende Wohnungsverkäufe, stetig sinkende Häuserpreise und abbröckelnde Investitionen herauszufinden. Nun will man den riesigen Inventarüberhang an unverkauften Wohnungen bei den Immobilienentwicklern über ein staatliches Erwerbsprogramm abbauen und auch eine im Zweifelsfall spekulationsgetriebene Nachfrage nach neuen Immobilien wieder ankurbeln.

Zentralbank mischt mit

Lokalregierungen und Staatsunternehmen sind aufgefordert, ausgewählten Bauträgern unverkaufte Wohnungen abzunehmen und ihnen damit neue Liquidität zu verschaffen. Die Initiative wird mit einer Finanzierungslinie der Zentralbank in Höhe von 300 Mrd. Yuan (39 Mrd. Euro) unterfüttert.

Nach Angaben von Regierungsvertretern könnten aus der Fazilität des Währungshüters Bankkredite in einem Umfang von 500 Mrd. Yuan angestoßen werden. Diese sollen an Finanzierungsvehikel von Lokalregierungen und auch fern dem Immobiliensektor stehende Staatsunternehmen gehen, die von Peking dazu verpflichtet werden, bei dem Wohnungskaufprogramm mitzumachen.

Mut zu mehr Leverage

Die Zentralbank kündigte zudem an, bislang geltende Untergrenzen für Hypothekenzinsen beim Wohnungserwerb abzuschaffen. Darüber hinaus soll die Mindestanzahlungsrate für Erstkäufer im Wohnungsmarkt auf 15% und bei Zweitwohnungen auf 25% gesenkt werden. Die Privaten werden also ermuntert, sich mit mehr Leverage an den Immobilienkauf heranzuwagen. Davon verspricht man sich eine Ankurbelung der zuletzt alarmierend gesunkenen Hypothekenkreditnachfrage.

Es scheinen nun alle Hemmungen in Sachen Immobilienkaufrestriktionen zu fallen, mit denen man in früheren Jahren versucht hatte, die spekulative Wohnungspreisexplosion in Ballungsgebieten einzudämmen. In fast allen Städten werden die Beschränkungen für Wohnungskäufer gestrichen oder zumindest erheblich gelockert. Mit der Senkung von Mindestanzahlungen für fremdfinanzierte Wohnungen werden nun auch Anstandsgrenzen gesprengt, die man zur Wahrung der Finanzstabilität und Unterbindung des Spekulationstriebs unbedingt aufrechterhalten wollte.

Aktien schießen hoch

Die bereits Anfang Mai mit einer gezielten Medienkampagne in vagen Umrissen ventilierten Maßnahmen haben zumindest schon einmal ein Ziel erreicht. Die völlig am Boden liegenden Aktien chinesischer Immobilienfirmen konnten sich nämlich wieder kräftig aufbäumen. Der CSI 300 Real Estate Index schnellte binnen drei Wochen um nahezu 40% in die Höhe.

Zumindest an den Märkten scheint man sich also Hoffnungen zu machen, dass sich das neue Rettungspaket für den Immobilienmarkt als ein Durchbruch erweist. Allerdings gibt es auch Befürchtungen, dass die Hoffnungsrally nicht anhalten wird. Insbesondere das Aufkaufprogramm für leerstehende Apartmentanlagen erweist sich trotz gewaltig anmutender Summen bei näherem Hinsehen als eher mickrig.

Analysten winken ab

Während die Maßnahmen in der heimischen Presse und seitens der staatlichen Thinktanks pflichtschuldig bejubelt werden, zeigen sich die China-Ökonomen und Sektoranalysten von globalen Investmentbanken nicht sonderlich beeindruckt. Ihrer Ansicht nach bedarf es wesentlich größeren Einsatzes von staatlichen Mitteln, um die Maßnahmen als Gamechanger anzusehen, der den Weg aus der Immobilienkrise weist.

In einer Researchnotiz von Goldman Sachs wird vorgerechnet, dass der Staat etwa 7,7 Bill. Yuan, also knapp 1 Bill. Euro, in die Hand nehmen müsste, um den gewaltigen Inventarbestand auf das Niveau des Jahres 2018 zu bringen, als Chinas Wohnimmobilienmarkt noch voll im Schwange war.

Wenig Durchschlagskraft

Sind die jetzt angestoßenen Maßnahmen also letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein? In einer Beispielrechnung von Bloomberg Economics kommt man unter der Annahme, dass der Staat die Immobilien mit einem Abschlag von etwa 30% auf den gängigen Marktpreis erwerben wird, auf eine höchst geringe Durchschlagskraft des staatlichen Kaufprogramms. Damit könnten nur etwa 2% der zum Verkauf anstehenden oder noch im Bau befindlichen Neuwohnungsobjekte abgedeckt werden, heißt es.

Angesichts der teilweise prekären Verschuldungssituation chinesischer Lokalregierungen wird es alles andere als einfach sein, die bislang angedachte Erwerbsinitiative gewaltig aufzustocken. Hinzu kommt, dass die unter Margenenge und hohem Risikovorsorgebedarf leidenden chinesischen Großbanken ausreichend mitspielen müssen.

Schleppendes Tempo

Aber selbst wenn das Programm, wie von Marktteilnehmern erhofft, letztlich verdoppelt oder verdreifacht wird, ist das Problem des Inventarüberhangs damit nicht zu lösen. Die sogenannte Absorbierungsrate für Neuwohnungen ist zuletzt auf etwa 30 Monate angeschwollen, in Normalzeiten lag sie bei 12 bis 14 Monaten. Das heißt nichts anderes, als dass die Immobilienentwickler bei gleichbleibendem Verkaufstempo noch mehr als zwei Jahre brauchen würden, um den gegenwärtigen Bestand loszuschlagen.

Misstrauenszyklus

Unter diesen Umständen kann die Stabilisierung des Immobilienmarktes nur gelingen, wenn das Gros der Bauträger unabhängig vom staatlichen Einsatz das Neuwohnungsgeschäft wieder auf höhere Umdrehungen bringt. Dazu muss allerdings erst ein Misstrauenszyklus beim chinesischen Verbraucher und Apartmentkäufer in spe durchbrochen werden.

Diejenigen, die den Erwerb eines Eigenheims planen, um tatsächlich darin zu leben, müssen befürchten, dass der Bauträger ihrer Wahl, von einem Pleiterisiko einmal abgesehen, auch so bei der Fertigstellung der versprochenen Immobilienprojekte auf unbestimmte Zeit in Verzug bleibt. Diejenigen, die einen Wohnungskauf in erster Linie als Investitionsentscheidung ansehen, haben zumindest abseits führender Metropolen angesichts sich weiter abkühlender Preise gute Gründe, länger an der Seitenlinie zu verharren.

Fehlgeleitetes Interesse

In den Staatsmedien heißt es, dass der neue Aktionsplan bereits eine Sentimentwende erkennen lässt. So wird aufgeregt darüber berichtet, dass in Schanghai und Peking die Anfragen bei Immobilienmaklern sprunghaft angestiegen sind. Es mag sicher sein, dass in diesen überteuerten Märkten neue Spekulationsinstinkte geweckt werden. In normalen Regionen aber ist ein Turnaround nicht in Sicht. Vor allem aber muss man befürchten, dass sich das neu geschürte Interesse hauptsächlich auf Gebrauchtwohnungen bezieht, für die es kein Fertigstellungsrisiko gibt. Damit ist den Immobilienentwicklern freilich kein bisschen geholfen.